# taz.de -- Wirtschaftswende von Kanzler Merz: Wie zu Kohls Zeiten
       
       > Die Aussichten für die Unternehmen sind düster. Und die neue
       > Bundesregierung? Hat wenig Ideen und setzt auf alte Rezepte gegen die
       > Krise.
       
 (IMG) Bild: „Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt“? Das VW-Werk in Wolfsburg im Sommer 2023
       
       Es ist alt, aber gerade deswegen ist das Lied die perfekte Begleitmusik für
       die neue Bundesregierung: „Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt, wir
       steigern das Bruttosozialprodukt“, sang die Band Geier Sturzflug Anfang der
       1980er Jahre. Der Song war die musikalische Untermalung zur Regierung des
       Christdemokraten Helmut Kohl und seines Versprechens vom „Aufschwung“.
       
       Mehr als 40 Jahre später scheinen die alten Hits wieder aktuell.
       Bundeskanzler Friedrich Merz, ebenfalls CDU, hat den Bürger:innen eine
       „Wirtschaftswende“ versprochen – und verlangt wie einst Helmut Kohl mehr
       Fleiß und Anstrengung von den Bürger:innen. Nach zwei Jahren Rezession soll
       es bergauf gehen. „Wir werden deshalb alles daransetzen, Deutschlands
       Wirtschaft wieder auf Wachstumskurs zu bringen“, kündigte Merz in seiner
       Regierungserklärung an. „Wir wollen regieren, um das Versprechen vom
       Wohlstand für alle zu erneuern.“
       
       Doch schnell dürfte die Wende zu mehr Wachstum kaum gelingen, die
       Aussichten sind düster. Die „Wirtschaftsweisen“, das ökonomische
       Beratergremium der Bundesregierung, sagten am Mittwoch in ihrem
       [1][Frühjahrsgutachten] für dieses Jahr Stagnation, also Nullwachstum,
       voraus. Andere Ökonom:innen gehen sogar davon aus, dass der Schrumpfkurs
       2025 weitergeht.
       
       Das hieße drei Jahre Rezession hintereinander – das gab es in der
       Geschichte der Bundesrepublik noch nie. Und langsam schlägt sich das auf
       dem Arbeitsmarkt nieder. Im Schnitt erwarten die Wirtschaftsweisen 2025 gut
       2,9 Millionen Erwerbslose, wieder 150.000 mehr als im Jahr zuvor. Das hatte
       es zuletzt 2013 gegeben, kurz nach der Finanzkrise.
       
       ## Krisenbewältigung mit Ludwig Erhard?
       
       Für Friedrich Merz und seine Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU)
       ist das ein echtes Problem. Reiche setzt bei der Bewältigung der Krise auf
       die Ideen Ludwig Erhards, der zwischen 1949 und 1966 Wirtschaftsminister
       und Bundeskanzler war. Dessen Soziale Marktwirtschaft werde ihr Ministerium
       künftig wieder viel klarer vertreten, kündigte sie vielfach an.
       
       „Sie will die Entfesselung des Marktes mit ein bisschen Sozialem“, sagt der
       linke Bremer Ökonom Rudolf Hickel. „Gleichzeitig stellt sie die Weichen für
       einen Abbruch der ökologischen Transformation, die ihr Vorgänger Habeck
       richtigerweise angegangen ist“, ärgert sich der emeritierte
       Wirtschaftsprofessor. Branchen wie die Stahlindustrie, die sich bereits auf
       eine Umstellung auf Wasserstoff eingestellt hätten, zögerten mit
       Investitionen, weil Reiche bei der Energieversorgung verstärkt auf den
       Neubau von fossilen Gaskraftwerken setzt.
       
       „Nicht nur Trumps Zollpolitik verunsichert, auch die Unklarheit, wie die
       Koalition den ökologischen Umbau erfolgreich weiterbetreiben will“, betont
       Hickel.
       
       Die Handelspolitik der USA legt eine weitere Ursache für Deutschlands
       anhaltende Konjunkturschwäche offen: die zu große Exportorientierung.
       Deutschlands wirtschaftliche Stärke – und Millionen Jobs – hängt zu großen
       Teilen von Lieferungen ins Ausland ab. Gut zehn Prozent der Exporte gehen
       an den [2][Handelspartner Nummer 1, die USA.] 
       
       ## Der US-Präsident und das Zittern in den Konzernzentralen
       
       Wenn ein US-Präsident damit seine Zocker-Spielchen treibt, fängt in den
       Konzernzentralen von VW, Siemens oder SAP das Zittern an. Die globale
       Konjunktur durch Kriege und Konflikte weltweit weiter geschwächt – zusammen
       mit der schwachen Binnennachfrage ist das ein toxischer Mix für
       Deutschland.
       
       Nicht nur Unternehmen, auch Bürger:innen scheuen mit Blick auf die
       unsicheren Zeiten hohe Ausgaben. Die Baukonjunktur liegt am Boden. Zu den
       konjunkturellen Miseren gesellen sich strukturelle. Die Infrastruktur in
       Deutschland – ob die digitale oder Straßen und Schienen – ist veraltet. Die
       Manager:innen in den deutschen Autokonzernen haben zu spät erkannt,
       dass der Elektromobilität die Zukunft gehört.
       
       Auch in der für Deutschland wichtigen Chemieindustrie hat die Umstellung
       auf eine klimafreundliche Produktion gerade erst begonnen. Immerhin will
       Deutschland bis 2045 klimaneutral sein – das sind nur noch 20 Jahre.
       
       Mit dem [3][beschlossenen 500 Milliarden Euro schweren Finanzpaket] scheint
       nun immerhin Geld für staatliche Investitionen zur Verfügung zu stehen.
       Auch wenn die Summe gewaltig erscheint, ist sie bei genauer Betrachtung zu
       klein: 100 Milliarden Euro gehen an die Länder, weitere 100 Milliarden in
       den Klima- und Transformationsfonds. Die Investitionen werden auf zwölf
       Jahre gestreckt. Dem Bund bleiben 25 Milliarden pro Jahr – angesichts des
       Investitionsstaus ist das nicht gerade überdimensioniert. Wohin genau Geld
       fließt, wird sich erst in den kommenden Monaten klären.
       
       ## Merz und die Viertagewoche
       
       Um mehr Wachstum zu erreichen, will die Regierung mehr Abschreibungen auf
       Investitionen ermöglichen und die Steuern senken, ein Strompreispaket soll
       die Energiepreise für Unternehmen drücken. Die Bürokratie soll eingedämmt
       werden, Verwaltung digitalisiert, Genehmigungsverfahren vereinfacht werden.
       
       Während Unternehmen allerlei zu erwarten haben von der neuen Regierung,
       [4][stellt Merz an die Bürger:innen Anforderungen]. „Wir müssen in
       diesem Land wieder mehr und vor allem effizienter arbeiten“, sagte er bei
       einer Veranstaltung des CDU-Wirtschaftsrats. „Mit Viertagewoche und
       Work-Life-Balance werden wir den Wohlstand dieses Landes nicht erhalten
       können.“ Dabei wird in Deutschland schon mehr gearbeitet als früher.
       
       „Insgesamt arbeiten die Deutschen mit 55 Milliarden Stunden im Jahr 2023 so
       viel wie nie zuvor“, sagt Svenja Flechtner, Juniorprofessorin für Plurale
       Ökonomik an der Universität Siegen. Doch in der Diskussion über Arbeitszeit
       wird gerne auf die sinkende durchschnittliche Stundenzahl pro Kopf
       hingewiesen. „Das ist irreführend, denn sie suggeriert, dass die Deutschen
       fauler geworden seien und fleißiger werden müssten“, sagt die Ökonomin. Die
       Durchschnittszahl sinkt, weil immer mehr Menschen erwerbstätig sind.
       
       „Was Merz sagt, ist abstrus“, findet auch Ökonom Hickel. „Wenn Firmen
       massenhaft Jobs abbauen, ist das doch nicht die Folge von zu kurzer
       Arbeitszeit, sondern die eines Nachfrageproblems bei den Unternehmen, das
       auch infolge eines verpennten Strukturwandels verursacht wurde.“
       
       Auch Svenja Flechtner hält die wirtschaftspolitischen Vorhaben der
       Bundesregierung für „keinen großen Wurf“. Statt auf sozial-ökologischen
       Umbau setze Schwarz-Rot auf das Kleinklein vieler Maßnahmen. Zum Beispiel:
       „Arbeitsanreize“ schaffen, wie es im Koalitionsvertragsdeutsch heißt. Für
       Überstunden soll keine Einkommensteuer mehr gezahlt werden müssen –
       allerdings nur, wenn Beschäftigte Vollzeit arbeiten. Das hat bestenfalls
       einen kurzfristigen Effekt, ist Flechtner überzeugt. „Nachhaltig ist das
       nicht.“
       
       ## Schwarz-Rot setzt auf Trickle-down-Ökonomie
       
       Von Überstundenanreizen würden vor allem Männer profitieren, denn sie
       arbeiten häufiger Vollzeit als Frauen. „Ob jemand nach 40 Stunden
       geleisteter Arbeit wirklich noch produktiv ist, ist fraglich“, betont
       Flechtner. Und fordert, für mehr Erwerbsarbeit von Frauen zu sorgen. Dafür
       benötige Deutschland eine umfassende und gute Kinderbetreuung sowie
       Entlastungen für Pflegende.
       
       Mit der jetzt geplanten Überstundenregelung werde nur die ohnehin
       bestehende Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen und die
       geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in den Familien gefördert. Auch das
       Ehegattensplitting, das die Alleinernährer-Familie begünstigt, wird nicht
       angetastet. Ohne mehr Erwerbsarbeit von Frauen wird der die Unternehmen
       belastende Fachkräftemangel bestehen bleiben, sagt Flechtner.
       
       Die Politik der Koalition folgt der „Trickle-down-Ökonomie“, laut der vom
       wachsenden Wohlstand der Reichen genug für die anderen heruntertropft
       („trickle down“). „Wir wissen aus der Forschung, dass Trickle-down nicht
       funktioniert“, sagt hingegen Ökonomin Flechtner. Gewinne führten nicht
       automatisch zu höheren Löhnen. Und ob Firmen investieren, hänge nicht
       primär von den gezahlten Steuern ab. „Das ist viel komplexer“, sagt sie.
       
       Für Investitionen seien etwa eine gute Infrastruktur vor Ort oder die
       Verfügbarkeit von Fachkräften verantwortlich. Und natürlich das
       wirtschaftliche Umfeld. Und Flechtner hat noch einen weiteren Hinweis für
       die Wirtschaftspolitik: „Städte und Gemeinden finanziell zu stärken, bringt
       unter Umständen viel mehr, als Unternehmen pauschal zu entlasten.“
       
       23 May 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/fileadmin/dateiablage/gutachten/fg2025/FG2025_Gesamtausgabe.pdf
 (DIR) [2] /Studie-zu-Deutschlands-Aussenhandel/!6073247
 (DIR) [3] /Schiene-Strasse-Schule/!6074315
 (DIR) [4] /Friedrich-Merz-und-die-Viertagewoche/!6086380
       
       ## AUTOREN
       
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 (DIR) Kai Schöneberg
       
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