# taz.de -- Bürgerentscheid zur Abwahl: Kein Bürgermeister des Vertrauens
       
       > Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert ist umstritten, politisch hat er
       > kaum noch Rückhalt. Am 25. Mai können ihn die BürgerInnen abwählen.
       
 (IMG) Bild: Umstritten: Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert bei einer Abstimmung in der Sitzung der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung
       
       Das Potsdamer Rathaus ist eine Baustelle. Buchstäblich und im übertragenen
       Sinn. Bürger:innen warten monatelang auf Termine für neue Führerscheine
       oder Personalausweise, das Jugendamt ist so unterbesetzt, dass der
       zuständige Beigeordnete vergangenen Herbst sein Amt niederlegte, weil er
       die Verantwortung für die Zustände nicht mehr tragen wollte, Bauherren
       können sich stundenlang über traumatische Erlebnisse mit dem Bauamt
       austauschen. Die Verwaltung hat nicht Schritt gehalten mit der wachsenden
       Stadt. Da ist die einfachste Baustelle vielleicht das Rathaus selbst.
       
       Erbaut von 1902 bis 1907, wird das imposante Gebäude derzeit
       generalsaniert, neue Haustechnik, neuer Raumzuschnitt, neue Fassade.
       Natürlich unter Berücksichtigung des Denkmalschutzes, die Holztreppen, die
       getäfelten Säle, die Schmuckelemente aus Sandstein, logisch. An einem
       sonnigkalten Montagmorgen führen Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert,
       SPD, sowie die zuständigen Mitarbeiter:innen aus dem Städtischen
       Immobilienservice und der Stadtverwaltung Journalisten und Stadtverordnete
       durch das Haus, um den Sanierungsfortschritt zu demonstrieren. Die
       örtlichen Zeitungen hatten Beobachtungen von aufmerksamen Anwohnern
       gemeldet, die nur selten Arbeiter auf der Baustelle gesehen haben wollten;
       Stadtverordnete stellten den Zeitplan infrage und dass der Auszug
       sämtlicher Mitarbeitenden während der Bauzeit wirklich nötig gewesen sei.
       
       Also will Schubert, dunkelblauer Anzug, kariertes Hemd, blaue Krawatte und
       Urlaubsbräune zu silbergrauem Seitenscheitel, Transparenz schaffen, die
       Entscheidungen der Verwaltung erklären, wieder einmal. Das Gebäude,
       berichten die beiden Frauen vom Immobilienservice, habe Überraschungen
       bereitgehalten, Decken, die im Verlauf der letzten 120 Jahre so oft
       umgebaut worden seien, dass sie am Ende gar nicht mehr tragfähig waren. Und
       die Decke der Kuppel in der Eingangshalle war ursprünglich nicht hell,
       sondern dunkelblau, das hätten Farbanalysen ergeben. Dann, sagt Schubert
       mit einem gequälten Lächeln, werde sie selbstverständlich wieder
       dunkelblau, auch wenn das historische Blau doch ziemlich dunkel sei. Das
       denkmalgeschützte Rathaus, engagierte Bürger:innen, kritische
       Stadtverordnete – das ist Potsdam.
       
       Am Abend desselben Montages steht Schubert hinter einem weißen Stehtisch in
       einer Turnhalle im Kirchsteigfeld und liest ein Flugblatt. Selber Anzug,
       nur die Krawatte ist ab und der oberste Hemdknopf offen. Die Turnhalle
       füllt sich mit Menschen, am Ende werden etwa 250 in Stuhlreihen und auf
       Turnbänken sitzen und wissen wollen, was es mit der neuen
       Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete in dem Viertel am Stadtrand auf
       sich hat. Schubert hält sich im Hintergrund an diesem Abend, lässt seine
       Fachleute aus der Verwaltung reden. Im Kirchsteigfeld leben 5.051 der rund
       189.000 Potsdamer Einwohner:innen, bei der Bundestagswahl im Februar haben
       sie mit 31 Prozent mehrheitlich für die AfD gestimmt. Jetzt hängen wieder
       Plakate der Rechtsextremisten an den Straßenlaternen: „SPD raus“, knallt es
       in großen weißen Buchstaben, „Schubert abwählen!“ Die
       Informationsveranstaltung beginnt ruhig, wird aber schnell aggressiver.
       
       Eine Bürgerinitiative hat Flugblätter verteilt, eines gegen die Unterkunft,
       eines, das gegen einen Aufruf des Potsdamer Bündnisses „[1][Potsdam!
       bekennt Farbe]“ polemisiert. Das Bündnis, dem die Stadt, fast alle Parteien
       sowie zivilgesellschaftliche Gruppen angehören, hat zur Teilnahme an der
       Versammlung aufgerufen, damit sie „nicht nach rechts kippt“. Das sei, steht
       auf dem Flugblatt, ein Skandal. Die Flugblätter setzen den Ton, auch wenn
       Einzelne gegenhalten. Ein Stadtverordneter der AfD ist gekommen. Er wohnt
       zwar nicht im Kirchsteigfeld, bekommt aber trotzdem viel Applaus.
       
       ## Abgehängt in der Stadt der Reichen
       
       Falls auch die Rechtsextremen ihre Anhänger in die Turnhalle organisiert
       haben, haben sie es geschickter gemacht als die Demokraten. Aber vielleicht
       mussten sie das auch gar nicht. Denn auch das ist Potsdam: Bürger:innen
       in den Neubau-Randbezirken wie Kirchsteigfeld, Schlaatz oder Stern, die
       sich abgehängt fühlen in dieser Stadt der Reichen, überforderte
       Lehrer:innen in unterfinanzierten Schulen mit hohem Anteil an Kindern,
       die nicht ausreichend Deutsch sprechen, um am Frontalunterricht
       teilzunehmen. Viel zu wenig bezahlbarer Wohnraum.
       
       Verwaltung, Kommunalpolitik, Stadtgesellschaft – sie alle ziehen beständig
       an diesem Netz aus Arm und Reich, Hohenzollernresidenz und DDR-Provinz,
       Wachstum und Lebensqualität. Das führt zu Konflikten, und die haben in
       Potsdam ein Gesicht: Mike Schubert.
       
       2018 für insgesamt acht Jahre gewählt, würde Schuberts Amtszeit regulär im
       kommenden Jahr enden, doch so lange wollen die Stadtverordneten nicht
       warten. Sie werfen ihm vor, immer wieder ihre Beschlüsse nicht umzusetzen,
       etwa die Tarifbindung in den städtischen Kliniken samt
       Tochtergesellschaften.
       
       Dazu kam, dass Schubert es liebt, große Schlagzeilen zu produzieren – indem
       er etwa eine Lösung für den jahrelangen Streit um den [2][Neubau der
       Garnisonkirche] auf dem Gelände des ehemaligen Rechenzentrums ankündigte,
       in dem sich inzwischen Ateliers, Vereine und Kreative angesiedelt haben,
       als „soziokreatives Zentrum“. Doch der groß präsentierte Kompromiss
       zerbröselte zwischen den Interessengruppen. Bundesweit in die Nachrichten
       gerieten die Stadtverwaltung und Schubert, als sie [3][ein Einreiseverbot
       für den rechtsextremen Österreicher Martin Sellner] nach Deutschland
       verhängten – welches das Potsdamer Verwaltungsgericht später wieder
       einkassierte. Punktsieg für Sellner.
       
       Die Stimmung in Potsdam wurde schlechter, als Schubert
       Mitarbeiter:innen einen erratischen und zum Teil cholerischen
       Führungsstil vorwarfen. Zum endgültigen Zerwürfnis zwischen
       Stadtverordneten, Verwaltung und OB kam es mit der „VIP-Ticket-Affäre“:
       Schubert hatte sich von Sportvereinen Tickets schenken lassen, im Zuge der
       Affäre stellte sich eine große Nähe zwischen Oberbürgermeister und
       einzelnen Sportvereinen heraus. Schubert beendete die Ermittlungen der
       Staatsanwaltschaft mit der Zahlung von 34.000 Euro.
       
       Doch damit rettete sich Schubert nicht, im Frühjahr 2024 startete die
       Stadtverordnetenversammlung einen ersten Versuch, ihn abzuwählen. Er
       scheiterte, weil plötzlich ruchbar wurde, dass die Stimmenmehrheit nur
       mithilfe der AfD zustande kommen würde. Doch das Thema war in der Welt.
       
       ## Elendige Debatte
       
       „Wir haben das Abwahlverfahren am Anfang für ein Schmierentheater
       gehalten“, sagt Isabelle Vandre, die für die Linken in der Potsdamer
       Stadtverordnetenversammlung sitzt, und, seit Neuestem, im Bundestag.
       Inzwischen unterstützt die Fraktion das Abwahlverfahren, wie alle anderen
       außer der SPD. Die 35-jährige Frau, groß, blond, schwarzer Pulli, sitzt in
       einem Café in der Potsdamer Innenstadt und trinkt Kaffee mit Hafermilch. So
       richtig eifrig wirkt sie nicht, als sie ihre Gründe dafür erklärt, eher
       nachdenklich. Und den gemeinsamen Aufruf gegen Schubert von 8 der 10
       Parteien im Potsdamer Rathaus haben die Linken nicht unterschrieben. Denn
       gesellschaftspolitisch, vor allem im Umgang mit Geflüchteten, stehe sie
       hinter vielen von Schuberts Positionen, „er ist super in der Verteidigung
       demokratischer Werte“. Auf den großen Kundgebungen etwa gegen das
       „[4][Treffen von Potsdam]“, auf dem Rechtsextreme darüber schwadronierten,
       wie sich Menschen aus dem Deutschland schmeißen ließen, habe er immer die
       richtigen Worte gefunden.
       
       Erste Zweifel daran, ob Mike Schubert als Oberbürgermeister weiter tragbar
       sei, kamen ihr im vergangenen Herbst bei einer Bürgerversammlung. Da sei er
       ständig darauf angesprochen worden, ob er überhaupt noch eine Mehrheit
       unter den Stadtverordneten habe und ob er handlungsfähig sei, wo seine
       Verwaltung doch nicht mehr hinter ihm stehe. Da habe sie gedacht: „Wie
       können wir inhaltlich über die Probleme der Stadt streiten, wenn es immer
       nur um diese Personalie geht“, sagt Vandre, „wie können wir diese elendige
       Debatte beenden?“ Ende des Jahres sei dann völlig klar gewesen: „So geht es
       nicht weiter.“ Da hatte Schubert, zusammen mit seinem Finanzbürgermeister
       Burkhard Exner einen Sparhaushalt vorgelegt, der die Träger von Sport,
       Kultur und Jugendarbeit in der Stadt in Panik versetzte. Nüchtern hatten
       die beiden vorgerechnet, dass die Stadt wegen der absehbaren Investitionen
       in die Wärmewende in den nächsten drei Jahren [5][50 Millionen Euro sparen
       müsse].
       
       Für zahllose unabhängige Theater, soziokulturelle Einrichtungen,
       Sportvereine und Jugendprojekte hätte dies das Aus bedeutet. Museen dachten
       laut über verkürzte Öffnungszeiten, Konzerthaus und Theater über ein
       eingedampftes Programm nach. Eine aufgeregte Berichterstattung und Dutzende
       von Krisentreffen später blieb von dem Sparzwang erst mal nichts mehr
       übrig.
       
       Die Potsdamer Öffentlichkeit staunte. Entweder der weihnachtliche
       Sparhammer war vollkommen überdimensioniert und die verursachte Aufregung
       unnötig, oder der neu vorgelegte Haushalt versteckt Finanzlöcher und ist
       nicht finanzierbar, eins von beidem. „Potsdam hat einen Besseren oder eine
       Bessere an der Stadtspitze verdient. So schnell wie möglich“, kommentierten
       die Potsdamer Neuesten Nachrichten.
       
       Wenn es nach den Stadtverordneten geht, wird die Amtszeit Schuberts am 25.
       Mai beendet. Dann werden 143.000 wahlberechtigte Potsdamer:innen ihr
       Kreuzchen pro oder contra Verbleib ihres Oberbürgermeisters im Amt machen.
       Stimmt eine Mehrheit der Wählenden, mindestens jedoch 25 Prozent der
       Wahlberechtigten, für die Abwahl, muss Schubert gehen und den Weg frei
       machen. Es müssten also mindestens 35.750 Wahlberechtigte gegen Schubert
       stimmen – und dies die Mehrheit der abgegebenen Stimmen bilden.
       
       1998 hatten die Potsdamer:innen schon einmal einen Oberbürgermeister
       abgewählt, den Sozialdemokraten Horst Gramlich. Seine Kritiker warfen ihm
       „Entscheidungsschwäche, mangelnde Führungsqualitäten, Unfähigkeit, für die
       Stadt zu werben“, sowie „Bürgerferne“ und „Weltfremdheit“ vor. Über 87
       Prozent der Einwohner:innen stimmten gegen ihn.
       
       Diese Zahl hat der Politologe Jochen Franzke schnell parat. Er ist
       Lehrbeauftragter am Kommunalwissenschaftlichen Institut der Universität
       Potsdam und arbeitet in einem Neubau auf dem Babelsberger Campus der Uni.
       „Das Amt des Oberbürgermeisters in einer kreisfreien Stadt ist attraktiv“,
       sagt Franzke, „man hat keinen direkten Chef und kann etwas gestalten“. Es
       stelle aber auch eine „wahnsinnige Überforderung“ dar. Der OB müsse die
       professionelle Verwaltung der Stadt leiten und die Beschlüsse der
       ehrenamtlich arbeitenden Stadtverordneten „umsetzen, gegebenenfalls
       korrigieren, wenn sie gegen Gesetze verstoßen“. Zudem müsse er die Stadt
       repräsentieren und rechtlich vertreten.
       
       Franzke hält viel von der kommunalen Selbstverwaltung, „eine der wenigen
       freiheitlichen Traditionen, die wir in Deutschland haben.“ Aber die
       komplexen Aufgaben einer Stadt mit knapp 200.000 Einwohnern, die sich an
       den Klimawandel anpassen müsse, die eine Verkehrs- und Wärmewende
       organisieren muss und sich auf die sich immer weiter ausdifferenzierten
       Lebenswelten ihrer Einwohner:innen einstellen – das stelle auch für die
       Stadtverordneten eine Überforderung dar. „Es ist klar, dass es da leicht zu
       Konflikten kommen kann“, sagt Franzke.
       
       Unklar hingegen ist, welche Rolle die Regierungspartei SPD bei den
       Konflikten spielt. Wer versucht, in die Potsdamer Kommunalpolitik oder die
       Sozialdemokratische Partei hineinzuhören, der muss zunächst einmal
       versprechen, nicht namentlich zu zitieren. Dann wird darauf verwiesen,
       dass, nach 35 Jahren SPD-Regierung in Stadt und Land, natürlich in allen
       Gremien und Institutionen Sozialdemokraten säßen, die davon überzeugt
       seien, sie selbst seien als OB auch geeignet. Oder besser. So sei
       schließlich der erste Versuch, Schubert abzuwählen, von seinem Parteifreund
       Pete Heuer ausgegangen, ehemals Vorsitzender der
       Stadtverordnetenversammlung, heute Romanautor. Und Brandenburgs
       Ministerpräsident Dietmar Woidke steht in Fragen von Flüchtlings-,
       Gesellschafts- und Umweltpolitik seinem populistischen Koalitionspartner
       BSW näher als dem liberalen Schubert. Von „dort oben komme ganz bestimmt
       keine Unterstützung“, heißt es.
       
       Dazu passt, dass Finanzminister und Vize-Ministerpräsident Robert Crumbach
       (BSW) schon mal den jüngst aus dem Bundesarbeitsministerium verabschiedeten
       Hubertus Heil als neuen OB-Kandidaten für Potsdam vorgeschlagen hat, was
       dieser als „groben Blödsinn“ konterte. Ebenfalls als Nachfolger im Gespräch
       sind die glücklose Ex-Bauministerin Klara Geywitz (SPD), Brandenburgs
       Kulturministerin Manja Schüle (SPD) sowie die im Streit mit Schubert nach
       Flensburg geflüchtete parteilose ehemalige Bildungsbeigeordnete Noosha
       Aubel.
       
       Die Liste an teils prominenten Nachfolger:innen ist also lang. „Wenn er
       gehen muss“, sagt die Linke Isabelle Vandre, „dann sollte ihm eine Person
       aus der Stadtgesellschaft folgen.“ Und was, wenn die Potsdamer:innen in
       diesem knochentrockenen Mai lieber ihre Gärten gießen und das Quorum nicht
       erfüllen? Oder ihren OB gar nicht so schlimm finden und im Amt lassen?
       
       Sollte er nicht abgewählt werden, sagt Vandre, könne es trotzdem nicht so
       weitergehen wie bisher.
       
       24 May 2025
       
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