# taz.de -- Rassistische Brandstiftung in Solingen: Wurde das Motiv vertuscht?
       
       > Im Prozess zum Anschlag auf ein von Migrant:innen bewohntes Haus
       > mehren sich Hinweise auf rechtsextremes Motiv. Anwältin klagt die Polizei
       > an.
       
 (IMG) Bild: Der Tatort: Ausgebranntes Wohnhaus in Solingen im März 2024
       
       Wuppertal taz | Im Prozess [1][um Brandstiftung im nordrhein-westfälischen
       Solingen und den Tod einer Familie aus Bulgarien] hat Nebenklagevertreterin
       Seda Başay-Yıldız Strafanzeige gegen Wuppertals Polizeipräsidenten Markus
       Röhrl gestellt. Es bestehe der Verdacht, dass der ranghöchste Polizist der
       Region Bergisches Land „wichtige Beweismittel im Verfahren vorenthalten“
       habe, sagte Başay-Yıldız der taz am Freitag im Landgericht Wuppertal.
       
       Die Anzeige richte sich außerdem gegen „drei weitere Beamte“, die bei der
       Durchsuchung des Wohnhauses des mutmaßlichen Täters dabei waren – „und
       weitere, mir namentlich nicht bekannte Beamte“, erklärte die Anwältin.
       
       Polizeipräsident Röhrl hatte gemeinsam mit seinen Beamten knapp zwei Wochen
       nach der Tat [2][einen heute 40-Jährigen Verdächtigen präsentiert] – und
       erklärt, Hinweise auf ein fremdenfeindliches Motiv gebe es nicht. Dies
       seien „gute Nachrichten“, die eine „große Erleichterung“ bedeuteten. „Der
       Brandanschlag hat schlimme Erinnerungen an Solingen 1993 und Verunsicherung
       hervorgerufen“, sagte Röhrl am 10. April 2024.
       
       Der Polizeipräsident bezog sich dabei auf den von vier Rechtsextremen vor
       knapp 32 Jahren am 29. Mai 1993 verübten Brandanschlag auf das Solinger
       Haus der türkischstämmigen Familie Genç. Dabei waren fünf Frauen und
       Mädchen getötet und mehr als ein Dutzend weitere Familienmitglieder zum
       Teil lebensgefährlich verletzt worden.
       
       Im jetzt laufenden Prozess aber zeigt sich: Die Entwarnung der Wuppertaler
       Polizei war womöglich vorschnell und politisch motiviert. Denn erst auf
       Drängen von Nebenklagevertreterin Başay-Yıldız tauchen immer mehr Indizien
       auf, die sehr wohl auf einen rechtsextremistischen Hintergrund des
       Angeklagten Daniel S. schließen lassen können. So wurden im Gerichtssaal am
       Freitag erstmals Bilder neonazistischer Literatur gezeigt, die im Wohnhaus
       des mutmaßlichen Täters gefunden wurden, darunter Hitlers für den
       Nationalsozialismus grundlegende Propagandaschrift „Mein Kampf“.
       
       ## „Skandalöse Ermittlungen“
       
       Außerdem fanden sich Pamphlete, die offenbar Hitlers langjährigen
       Vertrauten Hermann Göring, dessen erste Frau Carin und die
       nationalsozialistische Wehrmacht verherrlichen. Auch auf einer bei S.
       vorgefundenen Festplatte, deren Inhalt Anwältin Başay-Yıldız erst in diesem
       März zur Verfügung gestellt wurde, gab es 166 hetzerische Bilddateien sowie
       menschenverachtende und beleidigende Kommentare gegenüber schwarzen
       Menschen und Jüd:innen. Und an der Wand der Garage des Hauses hing offenbar
       ein Auszug des als volksverhetzend eingestuften „Lied eines Asylanten“.
       
       Belastend scheint auch die Handy-Kommunikation des Angeklagten: Zwar hat
       der das Gerät wohl selbst vernichtet – doch ein mit dem Handy verknüpftes
       Google-Konto, das Başay-Yıldız auswerten konnte, zeige, dass der im
       Nationalsozialismus gern gehörte Schlager wie „Erika“, aber auch das „Lied
       der Wehrmacht“ konsumiert habe, so die Nebenklage-Vertreterin.
       
       Deren bitteres Fazit: Mehr als „skandalös“ seien die Ermittlungen der
       Polizei. Vielmehr sei „die Öffentlichkeit bewusst getäuscht“ worden, als
       „der Polizeipräsident behauptete, dass es sich nicht um ein politisches
       Motiv handelte“ – dieser Eindruck habe „offensichtlich um jeden Preis“
       vermieden werden sollen.
       
       Verärgert und konsterniert reagierte auch der Vorsitzende Richter Joachim
       Kötter. „Das stößt bitter auf“, erklärte er am Freitag in der laufenden
       Gerichtsverhandlung. „Ich muss Ihnen zugestehen“, sagte er zu der Anwältin,
       „dass das nicht passieren darf.“ Schließlich werde sonst bei einer
       gerichtlich angeordneten Durchsuchung „jeder Abstellraum akribisch
       untersucht“.
       
       ## Vorwurf: vierfacher Mord und 21-facher versuchter Mord
       
       Die Verteidigung machte dagegen deutlich, dass sie bei Ihrer bisherigen
       Linie bleiben will: Danach könnte [3][das belastende rechtsextreme Material
       auch der Lebensgefährtin des Angeklagten] oder dessen Vater „zugeordnet
       werden“. Auch die Staatsanwaltschaft hatte bisher argumentiert, Hintergrund
       der Brandstiftung sei ein Streit mit der Eigentümerin des angezündeten
       Hauses, in dem der Angeklagte selbst einmal gewohnt hat. Anwältin Seda
       Başay-Yıldız beantragte dagegen, dass das gesamte belastende rechtsextreme
       Material im laufenden Prozess bewertet wird. Weitere Nebenklage-Vertreter
       schlossen sich ihren Anträgen an.
       
       Schließlich geht es in dem Prozess nicht nur um die vier Toten der aus
       Bulgarien stammenden Familie – die Eltern wurden nicht einmal 30 Jahre alt,
       ihre Kinder waren erst 2021 und 2023 geboren worden. Der Angeklagte muss
       sich auch wegen Mordversuchs an weiteren 21 Menschen verantworten. Darunter
       war auch ein Paar, das mit dem 18 Monate alten Sohn aus dem dritten Stock
       sprang, nachdem das hölzerne Treppenhaus des von ihnen mit bewohnten
       Altbaus nach Entzündung von mindestens einem Liter Benzin wie eine Fackel
       gebrannt hatte.
       
       „Meine Mandanten“, sagte Anwältin Başay-Yıldız deshalb in dem Prozess, in
       dem das Urteil ursprünglich schon im März gesprochen werden sollte, „wollen
       Aufklärung“ – egal, wie lange es dauere. Der Prozess wird nächste Woche
       fortgesetzt. Eigentlich sollte im April das Urteil fallen, aber nun werden
       weitere Termine angesetzt.
       
       4 Apr 2025
       
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 (DIR) Andreas Wyputta
       
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