# taz.de -- SPD in der Krise: Der schwere Weg zur Groko
       
       > Die SPD steckt in ihrer größten Krise, während die CDU als Wahlsieger die
       > Regierungsbildung vorantreibt. Merz drängt auf schnelle
       > Sondierungsgespräche.
       
 (IMG) Bild: Keine rosige Zukunft für die SPD: Saskia Esken und Lars Klingbeil auf dem Weg zur Pressekonferenz am 24. Februar
       
       Berlin taz | Ganz Ostdeutschland ist braun! Ganz Ostdeutschland? Nein, ein
       kleiner Wahlkreis geht an die SPD, nämlich Potsdam-Mittelmark-Teltow. Dort
       wählen die Menschen den Kandidaten Olaf Scholz direkt in den Bundestag. Man
       kann es schon als Situationskomik bezeichnen, dass der Kanzler und
       Spitzenkandidat, mit dem die Sozialdemokratie am Sonntag die größte
       Wahlniederlage ihrer Geschichte erlebte, das einzige Direktmandat in den
       östlichen Bundesländern sichert. Doch nach Lachen ist Scholz und den
       Sozialdemokraten derzeit nicht zumute.
       
       [1][Der noch amtierende Bundeskanzler], der am Tag nach der Wahlniederlage
       aussieht, als hätte er die Sozialdemokraten vor gut 160 Jahren mitgegründet
       und seitdem keine Nacht geschlafen, übernimmt am Montag in der
       Parteizentrale erneut die Verantwortung für das „bittere“ Ergebnis. Künftig
       will er als einfacher Abgeordneter mithelfen, dass die SPD in diesem Land
       als Stimme der Gerechtigkeit wahrgenommen werde.
       
       [2][Scholz ist also bald weg von der großen Bühne], aber reicht das?
       SPD-Parteichef Lars Klingbeil überraschte schon am Sonntagabend auf der
       SPD-Wahlparty – sie glich eher einer Beerdigung – mit der Ankündigung: Die
       SPD brauche eine organisatorische, programmatische und personelle
       Neuaufstellung. Er selbst wolle Parteichef bleiben und will am Mittwoch
       auch für den Fraktionsvorsitz kandidieren.
       
       Also kein Rücktritt, sondern Machtakkumulation. Und Co-Parteichefin Saskia
       Esken zog am Montag nach und erklärte, dass auch sie im Amt bleiben wolle.
       Die Parteispitze, die maßgeblich den Wahlkampf prägte, will also
       weitermachen. Kritik kommt von den Jusos, doch auch parteiintern wird
       heftig getuschelt, wenn auch nicht öffentlich
       
       Denn noch ist die SPD in Schockstarre. Mit 16,4 Prozent ist die Partei
       erstmals unter die 20-Prozent-Marke gefallen. Die Fraktion, die sich am
       Dienstag zum ersten Mal trifft, hat 87 Mitglieder verloren und schrumpft
       auf 120 Sitze.
       
       ## Viele müssen diese historische Niederlage verdauen
       
       Viele Genoss:innen müssen diese historische Niederlage erst einmal
       verdauen. „Das Wahlergebnis ist übelster Mist, diplomatischer kann ich es
       nicht sagen“, meint die sächsische Parteivorsitzende Rasha Nasr. Nasr zieht
       über die Landesliste wieder in den Bundestag ein, doch ihr Wahlkreis, der
       sich von der barocken Altstadt Dresdens bis zu den Plattenbauten in Prohlis
       erstreckt, geht erstmals an die AfD. Die SPD müsse dieses Wahlergebnis nun
       zum Anlass nehmen, gründlich zu analysieren, welche Themen liegen gelassen
       wurden, sagt Nasr. Doch viel Zeit zum Nachdenken bleibt der SPD nicht.
       
       Denn die weltpolitische Lage mit einem feindlich gesinnten Russland im
       Osten und einer auf Konfrontation getrimmten Trump-Regierung im Westen ist
       turbulent, Deutschland als größte Volkswirtschaft Europas braucht schnell
       eine stabile Regierung. Und die einzige demokratische Zweiterkoalition, die
       derzeit geht, ist eine wenn auch arg gerupfte Große Koalition. Es muss also
       beides gleichzeitig passieren: Selbstfindung und Annäherung.
       
       Das künftige Kraftzentrum der SPD, Lars Klingbeil, sieht die Notwendigkeit,
       dass die Partei schnell handlungs- und entscheidungsfähig sein müsse.
       Betont aber: „Ob die SPD in eine Regierung eintritt, steht noch nicht fest.
       Der Ball liegt bei Friedrich Merz, auf die Sozialdemokratie zuzukommen.“
       
       Wahlsieger und CDU-Chef Friedrich Merz will bereits kommende Woche mit den
       Sondierungsgesprächen beginnen und spätestens Ostern mit einer
       Regierungsbildung fertig zu sein. „Wir bieten der SPD gute, konstruktive
       und vertrauensvolle Gespräche an“, rüstet Merz bereits rhetorisch ab. Und
       auch der sächsische CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer forderte am
       Montag, dass die Union „mit Demut und Verantwortung“ in die Verhandlungen
       mit der SPD gehen solle. Es dürften jetzt keine Vorfestlegungen gemacht
       oder roten Linien gezogen werden. Demonstrativ lobte er SPD-Chef Klingbeil
       als Politiker, „den wir über viele Jahre kennen und schätzen und mit dem es
       auf jeden Fall diese Vertrauensbasis gibt“.
       
       ## Über die Wahlrechtsreform will Merz noch einmal sprechen
       
       Die neue Zuvorkommenheit der CDU ist auch dem Wahlergebnis geschuldet. Die
       hatte auf ein Ergebnis deutlich über 30 Prozent gesetzt – und landete bei
       28,5 Prozent, das zweitschlechteste Ergebnis ihrer Geschichte.
       
       Noch vor der Wahl hatte die Union in einem Sofortprogramm 15 Punkte
       aufgelistet, die sie sofort nach Regierungsbildung umsetzen will, darunter:
       die Rückabwicklung des Heizungs- und des Cannabisgesetzes sowie des
       Bürgergeldes. Auch über die Wahlrechtsreform will Merz noch einmal
       sprechen.
       
       Als wichtigste Themen sieht der künftige Kanzler jedoch die Außen- und
       Sicherheitspolitik sowie Migration und die wirtschaftliche Lage im Land,
       besonders die Zukunft der Industrie. „Ich bin zuversichtlich, dass es uns
       gelingt, Lösungen zu finden“, sagte Merz in Richtung SPD. Klare Bedingungen
       formulierte er am Montag nicht mehr. Allerdings lägen die Vorschläge der
       Union zur Migrationspolitik weiterhin auf dem Tisch. Gemeint ist der
       Fünfpunkteplan, der unter anderem Zurückweisung von Geflüchteten an der
       Grenze vorsieht. Die SPD hatte im Januar ihre Zustimmung verweigert mit
       Verweis auf die europarechtlichen Schwierigkeiten.
       
       [3][Ein weiteres schwieriges Thema zwischen SPD] und Union wird das Thema
       Verteidigung, genauer wie man die absehbar steigenden Ausgaben bezahlt.
       2028 sind die 100 Milliarden aus dem Sondervermögen der Bundeswehr
       aufgebraucht. Wenn eine unionsgeführte Regierung, wie angekündigt, künftig
       2 Prozent und mehr des Bruttoinlandsprodukts in Verteidigung stecken will,
       bräuchte sie mindestens 80 Milliarden Euro zusätzlich – entweder aus dem
       Haushalt oder über neue Schulden.
       
       Deftige Kürzungen bei Rente, Gesundheit oder Pflege dürften mit der SPD
       nicht zu machen sein. Zumal Generalsekretär Matthias Miersch schon eine
       weitere Hürde eingezogen hat – die SPD-Mitglieder sollen über den
       Koalitionsvertrag entscheiden.
       
       ## Grünen sind aufgeschlossen für eine Grundgesetzänderung
       
       Bleiben also neue Kredite für steigende Ausgaben, die allerdings durch das
       Grundgesetz streng gedeckelt sind. Für eine Reform der grundgesetzlichen
       Schuldenbremse ist eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag notwendig – und
       die ist nach der Konstituierung des neuen Bundestages ohne Stimmen von
       Linken oder AfD nicht mehr möglich. Viel spricht also für ein neues
       Sondervermögen, einen Schattenhaushalt, der mit einer einfachen Mehrheit
       im Bundestag beschlossen werden kann.
       
       Auf Nachfrage wollte Merz allerdings nicht ausschließen, noch mit der
       Mehrheit des alten Bundestags Änderungen im Grundgesetz zu beschließen. Das
       neue Parlament tritt voraussichtlich Ende März zusammen, es bliebe also nur
       ein knapper Monat Zeit für Verhandlungen mit den FDP-Abgeordneten, die
       gerade ihre Büros räumen, sowie mit SPD und Grünen, deren Anhänger Merz
       noch einen Tag vor der Wahl als „Spinner“ bezeichnet hatte. Die Grünen
       wären aufgeschlossen für eine Grundgesetzänderung, genauso wie die SPD.
       
       Überhaupt dürfte die Union mit Klingbeil, der die SPD mehr auf Wirtschaft
       und weniger auf Bürgergeld trimmen will, und Verteidigungsminister Boris
       Pistorius, der für einen konsequenten Aufrüstungskurs steht, gut
       zurechtkommen.
       
       Andere SPD-Fraktionsmitglieder haben aber deutliche Zweifel, dass die
       Annäherung an die Union ein Selbstläufer wird wird. „Der Weg zu Merz ist
       extrem weit für die SPD“, glaubt Ralf Stegner. Auch der brandenburgischen
       Abgeordneten Maja Wallstein fehlt derzeit noch die Fantasie für eine Groko
       unter einem Kanzler Merz. „Er hat Wähler:innen verächtlich gemacht und
       als linke Spinner geschimpft. Wie soll ich jemanden zum Kanzler wählen, der
       die Menschen, die mich gewählt haben, beleidigt?“, fragt sich Wallstein.
       Außerdem nimmt sie Merz bis heute übel, dass er Ende Januar im Bundestag
       eine Mehrheit mit der AfD gesucht und gefunden hat. „Sein Kuscheln mit den
       Rechtsextremen war unfassbar schädlich und wirkt noch lange nach.“ Denn
       wenn man Rechtsextremen die Hand reiche, stärke das am Ende nur diese.
       
       Auch Wallstein musste ihr 2021 errungenes Direktmandat an im Wahlkreis
       Cottbus-Spree-Neiße an die AfD abtreten.Insgesamt hat die SPD 720.000
       Menschen an die extrem Rechten verloren, den weitaus größeren Teil aber,
       nämlich fast 1,8 Millionen, an die CDU.
       
       Linke Sozialdemokraten wie Wallstein und Nasr glauben, dass es ein Fehler
       war, dass im Wahlkampf vor allem über Migration gesprochen wurde. Nasr
       fordert: „Wir müssen zurück zu unseren sozialpolitischen Wurzeln.“ Man
       müsse Merz Zugeständnisse abverhandeln. Doch insgeheim hofft sie:
       „Hoffentlich verkaufen wir uns nicht zu billig.“
       
       24 Feb 2025
       
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