# taz.de -- Protest an der Berliner Volksbühne: Theater der verpassten Chancen
       
       > Das Theaterduo Vinge und Müller sagt die Intendanz der Volksbühne ab,
       > auch wegen der Etatkürzungen. Zeit, dass Kultursenator Joe Chialo
       > handelt.
       
 (IMG) Bild: Übergangslösung für Intendanz der Volksbühne gescheitert: Die Fassade der Volksbühne im Rahmen des Aktionstag #BerlinistKultur
       
       Krise als Chance. So formulieren es die, denen eine Krise nichts anhaben
       kann. Die, die weich fallen werden, weil sie abgesichert sind. Vor allem
       finanziell.
       
       [1][Als „Chance“] bezeichnet der Berliner Kultursenator Joe Chialo (CDU)
       [2][die aktuelle Haushaltskrise], die seinen Verantwortungsbereich
       besonders hart trifft: 130 Millionen Euro, das sind rund 13 Prozent des
       [3][Kulturetats]. Die Proteste dagegen sind laut: Seit Wochen demonstrieren
       Kulturschaffende lautstark vor dem Bundestag, veranstalten Trauermärsche
       durch die Stadt und drücken ihre Verzweiflung in sozialen wie herkömmlichen
       Medien aus.
       
       Einen drastischen Schritt ging nun das norwegisch-deutsche Theaterduo
       Vegard Vinge und Ida Müller, das ursprünglich als Interimsleitung für die
       Berliner Volksbühne vorgesehen war, nachdem deren Intendant René Pollesch
       Anfang des Jahres überraschend verstorben war. Vinge und Müller sollten das
       Traditionshaus bis 2027 übernehmen, sagten dies nun aber ab. Ein Grund
       seien die aktuellen Haushaltskürzungen, geht aus einem Schreiben der
       Künstlerischen Betriebsdirektorin, Celina Nicolay, an die Belegschaft
       hervor.
       
       Schon nach der Ankündigung, dass Vinge und Müller die Interimsintendanz der
       Volksbühne übernehmen würden, wurde Kritik daran laut, dass den als
       „radikal“ geltenden KünstlerInnen Leitungserfahrung fehle. Ihre an
       Überforderung, Anarchismus und der „Lust an der Destruktion des Theaters“
       orientierte Kunst habe sich zudem noch nicht auf großen Bühnen bewiesen,
       schrieb hierzu erst unlängst taz-Autorin Katrin Bettina Müller.
       
       Bis zu zwölf Stunden können Vorstellungen des Duos dauern, das mit seiner
       Arbeit regelmäßig an die Ekel- und Schmerzgrenzen des Publikums, gerne auch
       über sie hinaus geht. „Ihr ‚Zwölfspartenhaus‘ bei den Festspielen oder die
       Ibsen-Inszenierungen am Prater der Volksbühne gehören zum Eindrücklichsten
       und Verstörendsten, was man in Berlin in den letzten Jahren auf der Bühne
       sehen konnte“, schreibt die Berliner Zeitung. Eigentlich nicht die
       schlechteste Voraussetzung.
       
       ## Haus mit Starbesetzung
       
       Besonders für ein Haus wie die Volksbühne, das dafür bekannt ist, Theater
       radikal zu denken: Unter der 25 Jahre währenden Intendanz Frank Castorfs
       machte das Haus viele Schlagzeilen. Größen wie Corinna Harfouch, Martin
       Wuttke, Kathrin Angerer, Sophie Rois und Alexander Scheer bespielten die
       Bühne, Regisseure wie Christoph Marthaler, Christoph Schlingensief und René
       Pollesch sorgten für vielbesprochene Inszenierungen.
       
       Nur lässt sich auf diesem auch internationalen Ruhm nicht ausruhen. Seit
       Castorfs Weggang kränkelt das Haus, rappelt sich immer wieder auf, trotz
       Missbrauchsvorwürfen und dank bedeutender Arbeiten von Künstlerinnen wie
       Constanza Macras und Florentina Holzinger.
       
       Letztere sorgte erst unlängst wieder an zwei Abenden mit ihrer Oper
       „Sancta“ für ein ausverkauftes Haus. Doch die Produktionskosten für so ein
       Bühnenspektakel sind hoch. Zwei Millionen Euro, die der Volksbühne nach den
       Sparmaßnahmen weniger zur Verfügung stünden, fallen da ins Gewicht.
       
       „Wenn Krise einen Bruch in Kontinuität und Normalität bedeutet, dann
       entsteht durch Lebensübergänge eine Weiche für den weiteren Lebensweg. Hier
       entscheidet sich, ob ein Bruch zu einem Durchbruch oder einem Zusammenbruch
       führt“, hieß es im Deutschlandfunk.
       
       Doch Krise als Chance? Dafür müsste der Kultursenator die Verantwortung
       auch mal übernehmen. Er sollte aktiv auf die von den Kürzungen Betroffenen
       zugehen und die Krise managen, statt nur zu bedauern, was er zwar nicht
       direkt mitverantwortet, aber immerhin entschieden hat.
       
       Gerade wirkt es nicht so, als habe er einen Plan, wie es weitergehen soll,
       die Leitungsabsage an der Volksbühne ist nur das aktuellste Beispiel. „Ja,
       nichts ist okay!“, würde René Pollesch jetzt vielleicht sagen und die Lage
       der Kultur treffend zusammenfassen.
       
       4 Dec 2024
       
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