# taz.de -- Lithiumabbau in Portugal: Die Zukunft wird abgebaggert
       
       > Ein Dorf wehrt sich gegen den Verkauf seiner Ländereien für den
       > Lithiumabbau. Wer bei dem Geschäft mit einer „klimaneutralen Zukunft“
       > verliert.
       
       Paulo Pires ist gerne hier draußen auf den Wiesen rund um Covas do Barroso.
       Der 50-Jährige hat um die Mittagszeit seine 190 Schafe hierher getrieben.
       Jetzt schaut er den Tieren beim Weiden zu. Die Hauptarbeit verrichten seine
       vier Hunde, denen Pires hin und wieder Befehle zuruft. Der Schäfer hat
       heute seinen neunjährigen Sohn Gonçalo dabei, der die letzten Ferientage
       genießt. Dem Kleinen macht es sichtlich Spaß, seinem Vater zur Seite zu
       stehen. „Er soll nur lernen“, sagt Pires. Lernen fürs Leben, „falls er, so
       wie ich, hier bleiben will“. Der Schäfer wird nachdenklich. Denn was er
       sieht, die Weiden, die Wälder, die dünn besiedelte Hügellandschaft rund um
       diesen 300-Seelen-Ort in Nordportugal sind bedroht.
       
       „Dort hinter dem Hügel, dort wollen sie alles zerstören“, sagt Pires. Mit
       „sie“ meint er die internationale Bergbaugesellschaft Savannah Resources.
       Was Pires und den anderen Einwohnern hier Tradition und Heimat ist, gilt
       der „Company“ – wie hier alle nur sagen – als riesiges Geschäft. Die
       größten Lithiumvorkommen Europas sollen hier bei Covas do Barroso und den
       umliegenden Dörfern im Boden schlummern. Das Alkalimetall Lithium, das
       „weiße Gold“, wie es die Presse getauft hat, ist der wichtigste Bestandteil
       bei der Herstellung von Batterien.
       
       Und die Umstellung von Verbrennern auf E-Mobilität lässt den Bedarf in die
       Höhe schnellen. 27 Millionen Tonnen lithiumhaltiges Gestein sollen rund um
       Covas do Barroso lagern. In Montalegre – 35 Kilometer weiter im Norden –
       sollen es weitere 15 Millionen Tonnen sein. Savannah Resources plant,
       jährlich Lithium für eine halbe Million Autobatterien abzubauen. Die Minen
       in Covas do Barroso sollen nicht nur den nachfolgenden Generationen eine
       klimaneutrale Zukunft sichern, sie sollen Europa auch unabhängiger machen
       vom Importgeschäft mit dem Metall[1][: Die größten Lithiumvorkommen der
       Welt lagern in Südamerika.]
       
       Was nach den vorgesehenen bis zu 14 Jahren Bergbau in Covas do Barroso
       zurückbleiben wird: bis zu einem Dutzend 150 Meter tiefe Löcher mit einem
       Durchmesser von bis zu 600 Metern. „Strategisch wichtig für die Zukunft
       nennen sie das, was sie hier machen wollen. Aber was für eine Zukunft ist
       das, wo sie alles kaputt machen?“, fragt der hagere Schäfer.
       
       Die Minen brächten Luftverschmutzung, Staub und Lärm, befürchtet Pires.
       Große Straßen und andere Infrastruktur müssten gebaut werden. Der
       Wasserverbrauch bei der Auswaschung des Minerals aus dem Gestein mittels
       giftiger Chemikalien sei horrend, und die bisher kristallklaren Flüsse
       würden kontaminiert.
       
       Es ist September, der Herbst deutet sich an. An den alten Bäumen reifen die
       Kastanien. Äpfel warten darauf, geerntet zu werden. Hier und da beginnt das
       sommerliche Grün des Laubs dem Gelb und Rot des Herbstes zu weichen. Die
       Morgen sind kalt und neblig, mittags ist es sonnig, aber nicht mehr so
       heiß. „Três meses de inferno, nove meses de Inverno“, was so viel heißt
       wie: „Drei Monate Hölle, neun Monate Winter“, beschreibt ein Sprichwort das
       Klima hier.
       
       Neben seiner Tätigkeit als Schäfer bestellt Pires mehrere Felder. Dort baut
       er Kartoffeln und Gemüse an. Das dient der Selbstversorgung, während das
       Fleisch der Schafe Geld ins Haus bringt. Pires wurde in Deutschland
       geboren, wo sein Vater in der Gegend von Düsseldorf auf dem Bau arbeitete.
       Als er ein Jahr alt war kamen seine Eltern ins Dorf zurück. „Ich bin nie
       wieder weg. Ich habe hier kein schlechtes Leben“, sagt er und hofft, dass
       der kleine Gonçalo – so er denn will – auch noch hier leben kann.
       
       Lange hofften die Menschen in Covas do Barroso, dass die Behörden den
       Abbau aus Umweltgründen stoppen würden. Doch ein Umweltgutachten fiel im
       Mai 2023 zu Gunsten des Bergbaus aus. Von Wasseraufbereitung und einer
       Wiederaufforstung der riesigen Gruben ist in dem Gutachten die Rede. Für
       Savannah Resources ist dieses Papier ein wichtiger Schritt nach vorn. Für
       die Menschen hier aber, sagt Pires, „eine Katastrophe“. Der Lithiumabbau
       wäre „das Ende“.
       
       Benziner und Dieselfahrzeuge einfach durch E-Fahrzeuge zu ersetzen, sei
       nicht die Lösung, ist sich Pires sicher. Er glaubt, dass es für den
       Planeten nur dann eine Zukunft gibt, „wenn wir unser Konsumverhalten
       radikal ändern“. Alle zwei Jahre ein neues Handy, alle vier, fünf Jahre ein
       neues Auto, das sei nicht nachhaltig, auch ohne fossile Brennstoffe nicht.
       Pires redet von einer „Verkehrswende“, vom Ausbau des öffentlichen Nah- und
       Fernverkehrs. „Und wie viel Diesel wird verbrannt, alleine um die Minen zu
       betreiben?“, fragt er.
       
       Weiter oben am Hügel stehen ein paar Häuser. Romainho heißt der Ortsteil
       von Covas do Barroso, der aus einer Handvoll Häuser und einem
       holzbefeuerten Gemeinschaftsofen besteht, in dem jeder – wie seit
       Jahrhunderten – sein Brot backen kann. „Hier sind wir ganz direkt von den
       Plänen betroffen. Unsere Häuser sind keine 250 Meter von einer der
       geplanten Minen entfernt“, sagt Maria Loureiro.
       
       Die 56-Jährige sitzt mit ihren drei Enkeltöchtern im Erdgeschoss ihres
       Hauses, von wo aus eine Treppe hinauf in die Wohnung im ersten Stock führt.
       Hinter ihr lagern frisch geerntete Zwiebeln und Kartoffeln, daneben Säcke
       mit Trockenfutter für ihre zehn Kühe. „Ein Drittel unserer Ländereien liegt
       dort, wo das Lithium abgebaut werden soll“, sagt sie. Verkauft hat sie
       nicht, obwohl die „Company“ einen Vertreter schickte, um ihr ein Angebot zu
       unterbreiten. „Warum soll ich das Land verkaufen, das uns seit Generationen
       ernährt?“, fragt sie.
       
       Anders als viele im Ort ist Loureiro nie weggezogen. Nur ihr Mann arbeitete
       über ein Jahrzehnt lang jeden Herbst für zwei Monate in Südfrankreich bei
       der Weinernte. Jetzt fürchtet das Paar eine Enteignung, wenn die Mine
       wirklich kommt. Denn dann könnte sie zu einem Projekt von öffentlichem und
       strategischem Interesse erklärt werden. Das wäre verheerend für die
       Familie: Auf ihren zwei bis drei Hektar Ackerland stehen alte Olivenbäume
       und wachsen Gemüse und allerlei Pflanzen, die neben dem Weidegras als
       Kuhfutter dienen. „Selbst wenn sie das Land nach sechs, sieben Jahren
       Bergbau wieder aufforsten, wird das nie wieder sein wie jetzt“, ist sich
       Loureiro sicher.
       
       Ob und wann sie die Arbeiten zum Lithiumabbau anfangen? Wer bei Savannah
       Resources anruft, bekommt die lapidare Antwort: „Die Gesellschaft gibt
       keine Interviews.“
       
       Menschen wie Paulo Pires und Maria Loureiro sind der Grund dafür, dass die
       UN-Ernährungsorganisation FAO auf die Region in Nordportugal aufmerksam
       geworden ist. Seit 2018 ist die Gegend rund um Covas do Barroso
       Welterbestätte der Landwirtschaft, die einzige in Portugal. Das Gebiet „ist
       seit Tausenden von Jahren von Menschen bewohnt und weist heute ein durch
       menschliche Aktivitäten in der Land-, Forst- und Weidewirtschaft geprägtes
       Muster auf. Darüber hinaus gibt es eine Reihe sehr bedeutender und relativ
       intakter Umweltgebiete“, lautet die Begründung. Das Wechselspiel von
       Landwirtschaft und Beweidung sei entscheidend für den Erhalt dieser
       einzigartigen Landschaft.
       
       Wälder, Wiesen und Äcker wechseln sich an den Hängen der felsigen Berge ab.
       Jahrhunderte alte Natursteinmauern begrenzen die einzelne Ländereien. Die
       Landstraßen zwischen den Dörfern mit ihren Steinhäusern – meist aus dem 18.
       Jahrhundert – sind so eng, dass bei Gegenverkehr zwei Fahrzeuge oft nur mit
       Mühe aneinander vorbeikommen.
       
       Während der Anbau von Kartoffeln, Getreide und Gemüse und Futtermittel
       hauptsächlich auf eigenem Land stattfindet, weiden die Tiere großteils auf
       den baldios, dem brachliegenden Gemeindeland. „In Covas do Barroso machen
       diese kommunalen Ländereien fast zwei Drittel des gesamten Landes aus“,
       erklärt Aida Fernandes. Die baldios werden nicht etwa vom Rathaus
       verwaltet, sondern von den Bewohnern selbst. Die 45-jährige Fernandes ist
       seit 2019 die gewählte Präsidentin der Versammlung der Dorfbewohner, die
       über Nutzung dieser Ländereien wacht. Auch sie führt ihre Kühe täglich auf
       das kommunale Land.
       
       „Ich bin in die Landwirtschaft hineingewachsen, habe nie etwas anders
       machen wollen“, sagt die Frau, die als Zwölfjährige bereits Traktor zu
       fahren lernte, auf die Frage, warum sie nicht studiert habe. Fernandes
       sitzt oft stundenlang da und sinniert, während sie darauf achtet, dass die
       Kühe nicht weiterziehen. „Für die Bergbaugesellschaft und einen Teil der
       Presse bin ich eine radikale Aktivistin“, sagt sie und grinst.
       
       Längst ist die Mutter zweier Töchter weit über die Region hinaus bekannt
       geworden dafür, dass sie das Gemeindeland verteidigt. Seit sieben Jahren
       geht der Kampf gegen den Lithiumabbau nun schon. Damals – 2017 – wurden die
       Anwohner auf ungewöhnliche Aktivitäten oben am Wald aufmerksam. Dort
       besteht seit Langem eine Lizenz zum Abbau von Feldspat und Quarz,
       allerdings nur auf wenigen Hektar. Umgesetzt wurden die Pläne aber nie.
       
       „Keiner wollte uns sagen, was die Fahrzeuge und die Leute dort machen, bis
       dann jemand aus dem Dorf, der in Großbritannien lebt, in der britischen
       Wirtschaftspresse etwas über geplanten Lithiumabbau fand“, erinnert sich
       Fernandes. Zwei Monate später wurde dies offiziell bestätigt: „Erst war von
       wenigen Hektar auf dem Gebiet der geplanten Feldspat- und Quarzmine die
       Rede, dann von über 300 und jetzt von 540 Hektar. Gefragt, ob wir das
       wollen, hat uns nie jemand“, beklagt sich Fernandes über die
       undurchsichtige Erweiterung der alten Abbaulizenzen, nun für Lithium.
       Fernandes gehörte zu den ersten, die den Widerstand organisierten.
       
       Mittlerweile ist die örtliche Initiative gegen den Lithiumabbau mit anderen
       in Portugal und im benachbarten Spanien vernetzt; vier Sommer in Folge
       hielten sie in Covas do Barroso ein Protestcamp ab. „Von überall her
       kommen Teilnehmer, auch aus dem Ausland“, sagt Fernandes zufrieden. Die
       spektakulärste Aktion: „Wir haben sieben Monate am Stück dort oben
       Maschinen für Probebohrungen blockiert“, berichtet Fernandes.
       
       Immer, wenn die Arbeiter in der Früh anrückten, waren die Dorfbewohner
       bereits da. „Schließlich zogen sie ab und die Gesellschaft erklärte die
       Arbeiten erfolgreich für beendet“, fügt sie hinzu. Die Politik von Savannah
       Resources sei es, ständig Berichte über ihre Aktivitäten und angebliche
       Erfolge sowie weitere Lithiumfunde zu verbreiten: „Das führt zum Steigen
       der Börsenkurse in London“, will Fernandes beobachtet haben.
       
       „Wenn wir die Welt um jeden Preis mit Lithiumabbau retten müssen, warum
       graben sie dann nicht in Frankreich oder Deutschland, warum immer im armen
       Süden?“, will Fernandes wissen. „Sie wollen uns mit Arbeitsplätzen locken,
       aber erstens brauchen wir die hier nicht. Alle haben Arbeit. Zweitens
       schafft eine Mine nur wenige Stellen. Der Abbau findet hauptsächlich
       maschinell statt.“
       
       Das Dorf profitiere wesentlich mehr von der zunehmenden Bekanntheit als
       landwirtschaftliches Welterbe und durch die intakte Natur. Das bringe immer
       mehr Besucher in die Region, und das wiederum Investitionen und Arbeit.
       Derzeit entsteht ein Restaurant am Ortseingang von Covas do Barroso. Der
       Betreiber, Filip Gomes, ist der Sohn aus erster Ehe von Fernandes’ Mann.
       Der 28-Jährige war sechs Jahre in London, wo er als Küchenchef arbeitete.
       Jetzt ist er mit seiner Lebenspartnerin zurück in der Heimat und investiert
       sein Erspartes in ein altes Haus aus dem 18. Jahrhundert am Ortseingang,
       das sie als Ruine gekauft haben.
       
       Mittlerweile ist das Dach gedeckt, Fenster und Türen sind gesetzt, die
       Wände im Innern verkleidet, der Boden im Rohzustand fertig, Kabel und
       Wasserleitungen verlegt. Noch bleibt einiges zu tun. „Aber bis zum
       Jahresende wollen wir aufmachen, auch wenn dann die Wohnung im Obergeschoss
       wohl noch nicht fertig ist“, sagt Gomes, der gerade den Estrich verlegt, um
       dann den Fußboden aufbringen zu können.
       
       Die Idee des jungen Paares: lokale Produkte verarbeiten. „Gemüse und
       Fleisch direkt aus dem Ort, das ist am nachhaltigsten“, sagt Gomes, der nun
       befürchtet, dass ihm der Lithiumabbau einen Strich durch die Rechnung
       macht. „150.000 Euro haben wir investiert“, sagt der junge Mann.
       
       Wer in Covas do Barroso Befürworter des Bergbaus sucht, sucht vergebens.
       Selbst die Ortsvorsteherin Lucia Mo und mit ihr der Bürgermeister in
       Boticas, zu deren Kreis Covas do Barroso gehört, lehnen die Pläne ab. Für
       die 56-Jährige, die als technische Assistentin im Gesundheitszentrum im
       Kreisstädtchen Boticas arbeitet, bricht mit den Bergbauplänen eine ganze
       Welt zusammen. Was sie will: „Die traditionelle Lebensweise schützen und
       verbessern.“
       
       Dabei setzen sie und die Politik in Boticas auf die Bekanntheit der Region
       durch die Ernennung [2][zum landschaftlichen Welterbe]. Mit öffentlichen
       Geldern ist zum Beispiel bereits ein Zentrum für Natur und Biodiversität
       entstanden, das unter anderem Wanderungen für Touristen anbietet. „Das
       Zentrum liegt direkt am Fluss Beça. Dieser würde wohl durch den Abbau von
       Lithium oben in Montalegre kontaminiert“, befürchtet Mo.
       
       Sie und die anderen Ortsvorsteher im Kreis gehören der konservativen
       Sozialdemokratischen Partei (PSD) an. Diese regiert jetzt auch in Lissabon,
       nachdem die Sozialisten die Wahlen im vergangenen Frühjahr verloren. Unter
       anderem war daran auch der Verdacht gegen Regierungsmitglieder schuld, sie
       hätten ihr Amt zur Vorteilsgewährung in Zusammenhang mit der Vergabe von
       Lizenzen zum Lithiumabbau im Norden Portugals missbraucht.
       
       Auch wenn bisher niemand verurteilt wurde, bleibt der Korruptionsverdacht
       im Raum. Die Sozialisten unter dem [3][zurückgetretenen António Costa]
       versprachen sich vom Bergbau Einkünfte, die das durch die Eurokrise
       gebeutelte Land wieder auf die Beine bringen soll. „Was die neue Regierung
       will? Ich weiß es nicht“, sagt Mo. Der Chef ihrer PSD, Portugals neuer
       Premier, Luís Montenegro, schweige sich weitgehend aus. In der
       Vergangenheit hat er sich in Interviews für den Lithiumabbau ausgesprochen.
       
       Mo hat längst das Vertrauen in die große Politik verloren: „Wir haben alles
       versucht, um die Pläne zu stoppen“, sagt sie. Die Bürger und die Verwaltung
       hätten Einsprüche gegen das positive Umweltgutachten der Behörden aus dem
       Frühjahr 2023 eingereicht, die Gemeinde hat vor Gericht geklagt, die
       Bewohner zogen mehrmals nach Lissabon, um dort zu protestieren. Alles hat
       bisher nichts genutzt: Der Ball liegt weiterhin beim Bergbauunternehmen,
       und das schweigt sich über seine Pläne beharrlich aus.
       
       „Was zurückbleibt, ist Frust“, sagt Mo. „Aber ich habe immer noch ein
       bisschen Hoffnung, dass sich das Ganze doch noch irgendwie abwenden lässt –
       auch wenn das immer unwahrscheinlicher ist“, fügt sie dann bedrückt hinzu.
       
       11 Oct 2024
       
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