# taz.de -- Norbert Horst „Lost Places“: Enkeltrick mit Todesfolge
       
       > Leichenfunde in Essen, geheimnisvolle „Lost Places“. Norbert Horst war
       > einst Kriminalbeamter. In seinem neuen Krimi gibt es etliche Rätsel.
       
 (IMG) Bild: Spurensicherung am Tatort
       
       Wenn man die Romane von Norbert Horst mit einem leichten Extragruseln
       liest, so liegt das wahrscheinlich auch daran, [1][dass der Autor einst
       selbst Kriminalbeamter und an Mordermittlungen beteiligt war,] mithin also
       einer ist, der aus erster Hand weiß, wozu Menschen fähig sind.
       
       Für die meisten Leute wäre es wohl nur schwer vorstellbar, einen
       Arbeitsalltag zu haben wie Kommissar Deniz Müller vom Essener KK 11 in
       Horsts neuem Roman „Lost Places“: Ständig muss Müller zu „Leichensachen“
       fahren; der Roman beginnt damit, dass ein obdachloser Mann tot in einem
       Zelt im Wald gefunden wird. Es handelt sich nicht um einen gewaltsamen Tod,
       aber weil die Möglichkeit immerhin besteht, muss trotzdem erst einmal die
       Polizei kommen.
       
       Auch die nächste Leichensache wirkt unverdächtig: Eine alte Frau ist allein
       in ihrer Wohnung gestorben, neben sich noch den sorgsam vorbereiteten
       Apfelschnitz. Die Dame hatte, bestätigt ihr Arzt, schon lange Herzprobleme,
       und dennoch hat Deniz Müller ein seltsames Gefühl. Eine alte Freundin,
       Staatsanwältin Camilla Lopez, die über ein phänomenales Gedächtnis verfügt,
       bestätigt sein Unbehagen, denn ein Foto der Leiche erinnert sie an einen
       anderen Todesfall, mit dem sie vor Jahren zu tun hatte.
       
       ## „Urbexer“ und „Lost Places“
       
       In einem parallelen Handlungsstrang recherchiert der Journalist Alex Rahn
       im Milieu der „Urbexer“, jener Menschen, die es sich zur Mission gemacht
       haben, lost places zu erkunden und ihre Erlebnisse an verlassenen Orten im
       Internet zu teilen. Ein einschlägiger Kontakt erweist sich als sehr
       hilfreich für Alex’ Zwecke; doch nach einer ersten gemeinsamen Exkursion
       meldet der junge Mann per SMS: „Leiche gefunden. Melde es der Polizei“, tut
       das aber nicht und bleibt verschwunden …
       
       Horst erzählt zu ziemlich gleichen Anteilen aus Sicht der drei
       Hauptcharaktere Deniz, Camilla und Alex und blickt dazwischen auch durch
       die Augen verschiedener Nebenfiguren, von denen etliche zunächst Rätsel
       aufgeben, da ihre Funktion für die Story sich nicht immer gleich
       erschließt.
       
       Wie in einer Art Erzählpuzzle fallen nach und nach alle Teile an ihren
       Platz, das ist gut und fesselnd gemacht. In der Behandlung der
       Hauptfiguren, das kann dann doch für leichte Irritation sorgen, hat der
       Autor sich etwas zu offensichtlich große Mühe gegeben, auf Diversität zu
       achten. Deniz Müller ist halb türkisch, halb deutsch, und Camilla Lopez
       hatte einen dunkelhäutigen kubanischen Großvater, was ihr Liebhaber zum
       Anlass nimmt, sie mit süß duftendem Milchkaffee zu vergleichen.
       
       Sowohl Deniz’ als auch Camillas familiäre Zusammenhänge werden ausführlich
       erläutert, haben aber absolut keine Funktion für die Handlung. Bei allen
       anderen Figuren wird der persönliche Hintergrund nicht erwähnt. Was gut
       gemeint ist, kann durch Überbetonung unwichtiger Ausnahmemerkmale leicht
       zum Othering werden; aber vielleicht steht es der Rezensentin auch gar
       nicht zu, dazu eine Meinung zu haben.
       
       ## Die blauen Latexhandschuhe
       
       Zurück zum Anfang: Dass der Autor selbst einmal zu den Freunden und
       Helfern zählte, bürgt auch insofern für inhaltlichen Mehrwert, als er
       nebenbei Details in den Roman einfließen lässt, die den PolizistInnenalltag
       anschaulich und authentisch machen. So fällt dem Journalisten Alex zum
       Beispiel auf, dass sein alter Kumpel Deniz dünne blaue Latexhandschuhe in
       den Taschen seiner Jeans bei sich trägt.
       
       Wenn Deniz zu einer Leichensache gerufen wird, schnappt er sich stets
       seinen „Einsatzrucksack“, bevor er sich auf den Weg macht (leider wird
       nicht erklärt, was drin ist). Und es ist im Gebäude des KK 11 absolut nicht
       egal, in welchen Mülleimer man zu welcher Zeit sein altes Butterbrotpapier
       schmeißt. So etwas mag zwar zur Kategorie „unnützes Wissen“ zählen, aber
       gerade deshalb macht es Spaß.
       
       17 Sep 2024
       
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