# taz.de -- BSW-Strategie in Sachsen und Thüringen: Nicht ohne Sahra Wagenknecht
       
       > Nach den Landtagswahlen kündigt das BSW an, es wolle mitregieren. Doch
       > wie? Da klingen die Landesvorsitzenden unterschiedlich.
       
 (IMG) Bild: Hat klare Bedingungen für Koalitionen in Sachsen und Thüringen: Sahra Wagenknecht in Berlin bei der Pressekonferenz am Montag
       
       Berlin/Dresden/Erfurt taz | Montagvormittag nach der Wahl. Das BSW spielt
       aus dem Stand eine Schlüsselrolle bei den komplexen Regierungsbildungen im
       Sachsen und Thüringen. In Dresden kann es nur eine Regierung ohne die
       rechtsextreme AfD geben, wenn BSW mit im Boot ist, eine Partei, die ein
       paar Monate alt ist und 71 Mitglieder hat. Aber passt zusammen, was
       zusammenpassen muss? Will das BSW überhaupt regieren?
       
       In Berlin sagt die sächsische Parteichefin Sabine Zimmermann als
       Allererstes: Frieden. Das Thema brenne „den Menschen unter den Nägeln“.
       Wenn das BSW mitspielen solle, dann müssten CDU und SPD „grundsätzlich ihre
       Politik verändern“. Das klingt auftrumpfend. Es ist Tag eins nach der Wahl.
       Noch hat Sachsens CDU-Chef und bisheriger Ministerpräsident Michael
       Kretschmer das BSW noch nicht zu Sondierungen eingeladen. Niemand erwartet,
       dass man jetzt schon Kompromisslinien skizziert. Aber wenn nicht alles
       täuscht, rührt Zimmermann schon mal Beton an.
       
       Mit der „Friedensfrage“ meint das BSW, dass jede Landesregierung, an der
       sich die junge Partei beteiligt würde, die für 2026 geplante Stationierung
       von US-Raketen ablehnen müsse. Weniger Waffen für die Ukraine, mehr
       Diplomatie. Das [1][sagt Parteichefin Sahra Wagenknecht, die neben
       Zimmermann] in die Kameras schaut. Das müssten dann auch Michael Kretschmer
       und Mario Voigt, der CDU-Landesvorsitzende in Thüringen. „Das Friedensthema
       ist für uns unverhandelbar“, so Wagenknecht. Das klingt nicht nach Beton,
       sondern nach Granit.
       
       Man muss solche Sätze am Tag danach immer in Anführungszeichen setzen. Aber
       in der gemeinsamen Pressekonferenz ist unüberhörbar: Wagenknecht und
       Zimmermann benutzen andere Worte als Katja Wolf.
       
       ## Koalitionsgespräche auf Augenhöhe?
       
       Die Thüringer BSW-Chefin und selbstbewusste Ex-Oberbürgermeisterin von
       Eisenach klingt anders. Sie betont, dass, wenn BSW mitregiert, es für die
       Thüringer „spürbar besser werden“ müsse. Beim öffentlichen Nahverkehr, bei
       der Infrastruktur im ländlichen Raum und bei der Schulpolitik.
       
       Dass Mario Voigt Appelle gegen Raketen und gegen Waffen für die Ukraine
       unterschreiben und vertreten muss, hört man von Wolf nicht. Genau genommen
       nennt sie Raketen oder Waffenlieferungen an die Ukraine gar nicht. Diese
       Wortwahl deutet schon mal die Richtung an: Wolf, die ja aus der Linkspartei
       ausgetreten ist, um eine Regierung ohne AfD in Erfurt zu ermöglichen, zieht
       keine Mauern hoch. Wagenknecht und an ihrer Seite Zimmermann sehr wohl.
       
       Allerdings steht das BSW Sachsen auch [2][vor einer ziemlich
       herausfordernden Situation]. Die neue Fraktion will sich am Dienstag
       treffen. Sonntagabend bei der BSW-Wahlparty in einem Dresdner Hotel weiß
       Parteichefin Zimmermann noch nicht, wo. Man hat ja keine eigenen Räume.
       Alles ist frisch, neu, improvisiert. Nur drei der BSWler haben Erfahrung
       mit Parlamenten. Zimmermann war lange für die Linkspartei im Bundestag.
       Lutz Richter und Janina Pfau waren beide bis 2019 für die Linkspartei im
       Dresdner Landtag. Aber die meisten sind neu dabei.
       
       Diese zusammengewürfelte Truppe – ein Viertel der Partei sitzt jetzt im
       Landtag – bekommt es bei Sondierungen mit der CDU zu tun, die seit 34
       Jahren regiert. Keine einfache Situation. Auch jene, die ein paar
       raketenkritische Sätze eher für Spielmaterial bei den Deals um Kompromisse
       und nicht für „unverhandelbar“ halten, sehen das Risiko, dem geölten
       Machtapparat der CDU und auch der SPD nicht auf Augenhöhe zu begegnen.
       
       Lutz Richter ist Vizelandeschef des BSW Sachsen und ein Politprofi, der im
       sächsischen Landtag Obmann der Linken im NSU-Untersuchungsausschuss war. Er
       sieht in Sachen Mitregieren für die neue BSW-Fraktion Vor- und Nachteile.
       So könnten eigenen Ministerien auch einiges erleichtern. Der 50-jährige
       Richter will sich im Landtag für mehr direkte Demokratie einsetzen.
       
       Am Sonntagabend im Dresdner Hotel skizziert Richter Kriterien für das BSW.
       Man müsse unbedingt versuchen, die Schuldbremse zu verändern. Und um den
       Ärztemangel in der Provinz zu beheben, könne man eine Landarztprämie ins
       Auge fassen. Das BSW, so Richter, sei eine Partei für die ländlichen
       Regionen. Die Linkspartei habe sich auf urbanes Publikum verengt und völlig
       den Draht zur Provinz verloren. Deswegen sei Richter im Januar 2024 zum BSW
       gewechselt. Die Wahlergebnisse geben Richte recht. Die Linkspartei ist zu
       einer Partei der Zugezogenen in den Metropolen Dresden, Chemnitz, Leipzig
       geworden.
       
       Aber glaubt Richter wirklich, dass sich Sahra Wagenknecht wirklich für die
       Dörfer in Sachsen interessiert? Naja, sagt er lachend, dafür sind wir ja
       da. Der Riss zwischen BSW und Linkspartei ist Richter sehr vertraut. Seine
       Frau Ina ist noch Genossin in der Linkspartei und im Stadtrat in Pirna.
       
       ## Reicht eine Stimme?
       
       In Thüringen ist die Situation ein bisschen anders. Zwar sah es am
       [3][Sonntag in den ersten Prognosen so aus], als könnten CDU, BSW und SPD
       ebenfalls koalieren, doch das änderte sich bis zum vorläufigen Endergebnis.
       Nun ist klar: Es fehlt eine Stimme für die Mehrheit.
       
       Doch selbst wenn die eine Stimme hinzukäme, etwa weil ein Linker zum BSW
       überläuft: Stabil wäre eine solche Koalition nicht. Einzelne Abgeordnete
       könnten viel Druck ausüben. Und gerade bei jungen Parteien wie dem BSW sind
       Fraktionsaustritte durchaus möglich. So verlor zum Beispiel die Thüringer
       AfD in ihren ersten beiden Legislaturen je drei Fraktionsmitglieder.
       
       Um die AfD sicher zu umgehen, braucht es doch die alte Linke um den
       bisherigen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow. Vielleicht entwickelte sich
       deshalb keine ausgelassene Stimmung auf der BSW-Wahlparty im Erfurter
       Dompalais. Und so gaben auch manche Mitglieder zu: Das BSW-Ergebnis von 16
       Prozent sei gut, aber 20 Prozent, wie in den Umfragen, wäre schöner
       gewesen.
       
       Wie in Sachsen sind auch in Thüringen die meisten der zukünftig 15
       Fraktionsmitglieder politische Neulinge. Das sagt am Rande der Wahlparty in
       Erfurt auch Steffen Quasebarth, bis Juni Moderator beim MDR in Thüringen,
       seitdem Platz 3 auf der BSW-Liste. „Die 15 Leute, die jetzt von uns in den
       Landtag kommen, kennen persönlich nur wenige der anderen Abgeordneten. Ich
       glaube, es ist wichtig, dass wir uns zunächst einmal in Gesprächen
       kennenlernen, um Vertrauen aufzubauen.“ Macht Quasebarth sich keine Sorgen?
       Nein. Das sei zwar eine Herausforderung, aber das BSW habe „ein
       Expertenteam im Hintergrund“.
       
       Auch andere zukünftige BSW-Abgeordnete geben sich auf der Wahlparty betont
       sorglos: „Wir haben ja auch erfahrene Personen dabei“, sagt zum Beispiel
       Sigrid Hupach. Sie selbst gehört da sicher dazu. Hupach war von 2013 bis
       2017 für die Linke im Bundestag. Ansonsten fallen immer wieder die Namen
       Katja Wolf oder auch Tilo Kummer.
       
       Kummer saß von 1999 bis 2019 für die Linke im Thüringer Landtag. Nun ist er
       Landesgeschäftsführer des BSW und muss viel organisieren. Weil er die
       meiste Fraktionserfahrung hat, soll er die neue aufbauen: Geschäftsordnung
       festlegen, Vorstand wählen und Mitarbeitende einstellen. Parallel dazu
       stehen der weitere Parteiaufbau an – und Sondierungsgespräche.
       
       Dafür hat das BSW Thüringen schon ein Sondierungsteam aufgestellt. Wer
       dabei ist, will die Partei noch nicht sagen. Aber: Alle seien aus
       Thüringen. Anders als in Sachsen war die CDU seit zehn Jahren zwar nicht
       mehr in der Landesregierung – hat aber trotzdem einige Erfahrung in
       Sondierungsgesprächen. Zudem ist über CDU-Chef Voigt bekannt, wie gerne er
       Ministerpräsident werden möchte.
       
       ## Sondierungsgespräche mit Oskar
       
       Wer die Macht im BSW Sachsen haben wird, ist weiter hundertprozentig klar.
       Allerdings gibt es eine Fünfer-Gruppe, die die Sondierungen mit der CDU
       vorbereiten und die Haltelinien fixieren wird. Zimmermann und ihr Co-Chef,
       der Unternehmer Jörg Scheibe, werden in dem Team sein. Zudem jemand vom BSW
       aus Berlin und laut Gerüchten auch Oskar Lafontaine, Ex-SPD-Chef,
       Ex-Linkspartei-Chef und Wagenknechts Ehemann. Wagenknecht, so kann man
       deuten, will den Daumen drauf haben. Die SPD in Sachsen dürfte darüber,
       wenn es stimmt, nicht erbaut sein.
       
       Am Montag in Berlin bekräftigt sie, dass sie bei Verhandlungen natürlich
       eine Rolle spielen will. Nicht in Expertengruppen, aber bei den „großen
       Linien“ wie Waffen und Raketen. „Wer mit uns koalieren will, muss mit mir
       sprechen“, sagt Wagenknecht.
       
       2 Sep 2024
       
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