# taz.de -- Bündnis Sahra Wagenknecht: Oh diese Lücke, diese entsetzliche​
       
       > Die Kritik an der neuen populistischen Partei ist berechtigt. Aber für
       > den Erfolg des BSW tragen Linke und Ampel eine Mitverantwortung.
       
 (IMG) Bild: Sahra Wagenknecht bei der Wahlparty in Erfurt
       
       Es klafft eine Lücke im deutschen Parteiensystem, sie ist groß. Und es gibt
       eine neue Partei, die es offenbar schafft, diese zu füllen. Wählerinnen,
       die frustriert sind von der Ampel-Koalition, aber in der CDU und der
       Linkspartei keine Alternative sehen und auch nicht die extrem rechte AfD
       wollen, können nun das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) wählen.
       
       [1][Zwar sind die Ergebnisse für das BSW bei den Landtagswahlen in Sachsen
       und Thüringen nicht so astronomisch hoch], wie es zwischenzeitlich
       prognostiziert worden war. Aber von null auf zweistellig, das ist ein
       erklärungsbedürftiges Ergebnis für eine Partei, die sich erst vor acht
       Monaten gründete.
       
       Was ist das für eine Lücke und wo klafft sie?
       
       Angetreten war das BSW, um die AfD zu schwächen. [2][Nachwahlbetrachtungen]
       zur Wählerwanderung zeigen: Das BSW ist tatsächlich die einzige Partei, an
       die die AfD insgesamt Stimmen verloren hat. Noch mehr wurde die neue Partei
       aber von Menschen gewählt, die vorher die Linke oder Ampel-Parteien gewählt
       haben. Viele haben die Wahl laut Umfragen außerdem genutzt, um ihren
       Protest auszudrücken: nicht nur in der Friedensfrage, sondern auch in der
       Sozialpolitik.
       
       Inhaltlich stellt sich die Partei breit – man könnte auch sagen
       widersprüchlich – auf. Man will sozialpolitisch links sein und nostalgisch,
       aber auch kleine Selbstständige vertreten. Man ist restriktiv in der
       Migrationspolitik, will aber auch linke Wählerinnen einbinden. Wenn man neu
       ist und nicht vorbelastet durch schmutzige Realpolitik, kann man sich diese
       Widersprüchlichkeit erlauben. Das Rezept ist für deutsche Verhältnisse
       ungewohnt, [3][im europäischen Vergleich] ist das BSW aufreizend normal.
       
       Partei neuen Typs 
       
       Es ist aber nicht nur die inhaltliche Ausrichtung und die Zuspitzung auf
       eine Vorsitzende, die das BSW erfolgreich macht, sondern auch seine
       Organisationsweise.
       
       [4][Viele hatten Sahra Wagenknecht einen solchen Erfolg niemals zugetraut.]
       Als sie und ihre Getreuen die Linkspartei verließen, eilte ihr der Ruf
       voraus, dass sie zwar in Talkshows reden, aber keine Partei führen und
       organisieren kann. Das mag stimmen. Aber sie hat das erkannt und Menschen
       gefunden, die das für sie übernehmen.
       
       Dann glaubten viele, dass die neue Kaderpartei wegen ihrer restriktiven
       Art, Mitglieder aufzunehmen, im Wahlkampf große Nachteile haben würde. Wer
       würde die vielen Plakate kleben, Veranstaltungen organisieren und
       Marktstände betreuen?
       
       Auch diese Prognose hat sich als falsch erwiesen. Das BSW ist nicht trotz,
       sondern wegen ihrer wenigen Mitglieder erfolgreich. Das demokratisch
       bewährte Modell der Mitgliederpartei aus der alten Bundesrepublik ist nicht
       mehr attraktiv, gerade in Ostdeutschland mit seiner geringen
       Parteieinbindung kommt eine Partei gut an, die vorgibt, anders als die
       anderen zu sein.
       
       Zwei Dinge machen die Partei gefährlich 
       
       In der Migrationspolitik ist das BSW mittlerweile auf einer traurigen Linie
       mit AfD, CDU und Teilen der Ampel. Gefährlich machen das BSW aber zwei
       andere inhaltliche Festlegungen: Ihr Umgang mit der AfD und ihre
       Ukraine-Politik. Thüringens Landeschefin Katja Wolf hat angekündigt,
       vernünftigen Anträgen der AfD im Landtag zuzustimmen. Das ist ein weiterer
       Tritt gegen die Brandmauer, die ohnehin nur noch aus ein paar wackeligen
       Pfeilern besteht. Dem Wahlgewinner, der AfD, eröffnet das neue
       Möglichkeiten, die anderen Parteien im neuen Landtag vor sich herzutreiben.
       
       Genauso gefährlich ist die Ukraine-Politik des BSW. Bei fast jedem ihrer
       Auftritte relativiert Wagenknecht russische Kriegsverbrechen. Von möglichen
       Koalitionspartnern verlangt sie eine Ablehnung der Stationierung von
       US-Raketen. Selbst wenn man sich in den Ländern bei den anstehenden
       Verhandlungen auf Formelkompromisse einigen sollte, birgt der Erfolg des
       BSW die Gefahr, dass auch die Parteien, die an der Seite der Ukraine
       stehen, irgendwann einknicken.
       
       Doch bei aller Kritik am BSW darf eines nicht untergehen: Es sind die
       bürgerlichen Parteien von Grünen bis zur CDU, aber auch die Linke, die mit
       ihrer Politik die Lücke gerissen haben, die das BSW füllt. Der Erfolg des
       BSW hat viele Mütter: Zuallererst die Politik der Ampel, das Gefühl, in
       ökonomisch und politisch unsicheren Zeiten von einer Koalition regiert zu
       werden, die handlungsunfähig ist und sich trotzdem für alternativlos hält.
       
       Besonders in der Friedensfrage hat die Ampel das Unbehagen in der
       Bevölkerung unterschätzt. Viele Menschen verstehen nicht, dass die Ampel
       Milliarden für einen Krieg bereitstellt, der oft aussichtslos scheint, und
       zeitgleich bei der Sozialpolitik spart. Auch der Kanzler hat offenbar nicht
       verstanden, wie groß die Kriegsangst ist, als er die Stationierung der
       US-Raketen ohne größere Debatte oder ein gemeinsames europäisches Abkommen
       beschloss. Der Kanzler und die Ampel schaffen es nicht, ihre
       Ukraine-Politik zu erklären. So sind viele Menschen bereit, einfache
       populistische Antworten auf geopolitische Fragen zu glauben.
       
       Man mag den Ruf nach Frieden und Dialog mit Putin für naiv und gefährlich
       halten. Man muss aber anerkennen, dass diese Wahlen auch Protestwahlen für
       eine andere Ukraine-Politik waren.
       
       Die Widersprüche werden wachsen 
       
       Aber auch die Linke ist für einen Teil der Lücke verantwortlich: Auf
       Bundesebene hat man sich von der Spaltung schlechter erholt als
       Wagenknechts Truppe, dabei hatte man sie immer für den mangelnden Erfolg
       verantwortlich gemacht. Eine eindeutige Haltung zum Ukraine-Krieg, die
       Pazifismus und Solidarität mit dem überfallenen Staat überzeugend
       miteinander verbindet, hat die Partei immer noch nicht, vielleicht ist es
       auch nicht möglich. Das BSW will das gar nicht erst und hat es deshalb
       leichter.
       
       In Thüringen kommt dazu, dass die Linke als Partei des Ministerpräsidenten
       als Protestpartei nicht mehr infrage kam. Sie wird mitverantwortlich
       gemacht für die instabilen politischen Verhältnisse der vergangenen Jahre.
       Für die Linke ist das ein Dilemma: Sie ist nun als Regierungspartei und als
       Oppositionspartei gescheitert und hat in beiden Feldern eine
       linkskonservative Konkurrenz bekommen.
       
       So viel zu den Lücken, die das BSW erkannt hat. Aber kann die neue Partei
       sie ausfüllen?
       
       Das inhaltlich Diffuse, die geringen Mitgliederzahlen – viele Faktoren, die
       im Wahlkampf von Vorteil waren, werden nach den Wahlen zur Herausforderung.
       Eine Partei mit Fraktion und möglicherweise sogar Ministerien braucht
       Personal, die vielen UnterstützerInnen drängen darauf, einzutreten. Sollte
       die Partei Teil einer Koalition mit einer knappen Mehrheit im Erfurter oder
       Dresdner Landtag werden, muss das heterogene Bündnis aus Politikneulingen,
       Ex-Grünen und Ex-Linken, Unternehmern und Fernsehmoderatoren
       zusammengehalten werden und disziplinierte Fraktionen bilden. Da wird es
       schwieriger, von Berlin oder aus dem Saarland die Kontrolle zu behalten.
       
       Die Widersprüche innerhalb des BSW werden zunehmen. Die Landesverbände
       werden Verantwortung übernehmen wollen, und Koalitionen mit jenen Parteien
       schmieden, die Wagenknecht im Wahlkampf noch als „Sumpf“ beschimpft hat.
       Die Vorsitzende dagegen wird sich mit Realpolitik nicht schmutzig machen
       und vor allem als neue Oppositionspartei in den Bundestagswahlkampf ziehen
       wollen.
       
       Ob das zusammengeht? Wenn die Ampel-Regierung so weitermacht, vermutlich
       schon.
       
       2 Sep 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Landtagswahlen-Sachsen-und-Thueringen/!6033434
 (DIR) [2] https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2024-09-01-LT-DE-SN/umfrage-bsw.shtml
 (DIR) [3] /Buendnis-Sahra-Wagenknecht/!6029233
 (DIR) [4] /BSW-Wahlkampf-in-Thueringen/!6029511
       
       ## AUTOREN
       
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