# taz.de -- Detlef Diederichsen Böse Musik: Richtig Schotter mit Johan Röhr und KI
       
       > Kaum einer kennt Schwedens meistgestreamten Musiker: wie sich in der
       > Anonymität mit KI viel Geld verdienen lässt.
       
 (IMG) Bild: Mischpult in einem Tonstudio
       
       Früher, liebe Kinder, wollten junge Menschen, die von einer Karriere in der
       glitzernden Welt des Popgeschäfts träumten, reich und berühmt werden. Heute
       wollen sie immer noch reich werden, aber anonym bleiben. Nicht etwa weil
       sie gemäß der alten Techno-Ideologie das Starsystem als überkommen und
       eitel ablehnen, sondern weil sich in der Anonymität viel besser munkeln und
       eben reich werden lässt.
       
       Vorhang auf für Johan Röhr, einen schwedischen Komponisten, auf dessen
       Story ich durch Fabian Schuetzes immer interessanten [1][Newsletter „Low
       Budget High Spirit]“ stieß. Im März veröffentlichte die schwedische
       Tageszeitung Dagens Nyheter eine Recherche, die Röhr als Schwedens
       meistgestreamten Musiker identifizierte. Obwohl kaum jemand seinen Namen
       kennt, ist er mit rund 15 Milliarden Streams unter den 100 meistgestreamten
       Künstler*innen weltweit, liegt vor Michael Jackson, Mariah Carey und
       Metallica und rückt immer näher an die Beatles heran.
       
       Allerdings veröffentlicht er nie unter seinem bürgerlichen Namen: Dagens
       Nyheter hat Röhr als Urheber hinter mindestens 656 Künstlernamen
       ausgemacht. Unter diesen Pseudonymen vertreibt er seine Musik fast
       ausschließlich über [2][Spotify], wo seine Tracks auffallend präsent sind
       in vielen offiziellen Playlists des Streamingdienstes. Laut Dagens Nyheter
       finden sie sich in mindestens 144 Listen mit insgesamt über 62 Millionen
       Followern, wobei sie in elf dieser Listen mehr als ein Fünftel der gesamten
       Titel stellen.
       
       In der Liste „Stress Relief“, die allein 1,45 Millionen Follower hat,
       lassen sich 41 der 270 Stücke Johan Röhr zuordnen. Offensichtlich hat der
       Mann Spotify richtig verstanden.
       
       ## Richtig viel Geld zu verdienen
       
       Denn trotz des Dauergejammers von Künstler*innen alten Schlags über die
       Mikroturnouts des Streaminggiganten lässt sich hier richtig Geld
       verdienen – vorausgesetzt, man ist fleißig und hat einen hohen Output, der
       für die Tophits unter den Playlists geeignet ist. Und das sind die Listen,
       die die Soundtapete für Frisiersalons und Arztpraxen liefern, die in die
       Kopfhörer strömen, sind die Kund*innen beim Workout oder auf dem
       Laufband.
       
       Dagens Nyheter hat natürlich versucht, mit Johan Röhr zu sprechen.
       Abgelehnt. Auch seine Produktionsfirma wollte sich nicht äußern, selbst
       Spotify persönlich reagierte auf Anfragen zu seinem heimlichen Star mit
       Schweigen. Keine Interviews, keine Fotosession, geschweige denn eine
       herzerwärmende Homestory – keine Bravo-Starschnitte von Johan Röhr werden
       in absehbarer Zeit die globalen Jugendzimmer schmücken.
       
       Wahrscheinlich arbeiten Röhr und Spotify strategisch eng zusammen. Die von
       ihm gelieferten Tracks unter Quatschpseudonymen bereiten den Boden für
       KI-generierte Musik, mit der sich Spotify endlich und endgültig von
       lästigen Labels, nörgelnden Verwertungsgesellschaften und aufsässigen
       Künstleregos abkoppeln kann. Sogar das Kuratieren der Listen wird immer
       mehr den Algorithmen übertragen, wie „Low Budget High Spirit“ zuletzt
       meldete. Mittlerweile werden viele „Editorial Playlists“ nicht mehr
       aktualisiert, die bisher dafür zuständigen Mitarbeiter*innen in
       Scharen gefeuert.
       
       ## Blöde Pseudonyme
       
       Stattdessen testet Spotify in Großbritannien und Australien bereits ein
       Tool, das aus Stichworten, die Nutzer*innen ihm füttern, aus dem Stand
       Listen kreiert. Jede*r Nutzer*in ihr/ sein eigener Redakteur*in: ein
       Traum!
       
       Nur bei den Pseudonymen der Fake Artists sollte sich Spotify noch mal auf
       den Hosenboden setzen: Minik Knudsen, Csizmazia Etel oder Elsa Enestam –
       das klingt doch arg nach jener Mühle, die für Kleinwagen Typennamen wie
       „Captur“, „Qashqai“ oder „Aygo“ ausspuckt.
       
       23 Apr 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://lowbudgethighspirit.com/
 (DIR) [2] /Streit-um-Streaming-Modelle/!5737347
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Detlef Diederichsen
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Pseudonyme
 (DIR) Spotify
 (DIR) Künstler
 (DIR) wochentaz
 (DIR) Kolumne Böse Musik
 (DIR) Schwerpunkt Künstliche Intelligenz
 (DIR) Spotify
 (DIR) Kolumne Böse Musik
 (DIR) Spotify
 (DIR) Musik
 (DIR) Schwerpunkt Künstliche Intelligenz
 (DIR) Fake News
 (DIR) Schlagloch
 (DIR) Kolumne Böse Musik
 (DIR) elektronische Musik
 (DIR) Spotify
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Nazimusikschwemme auf Streamingportalen: Jawoll, mein Streamer
       
       KI-generierte Songs mit Nazitexten fluten Plattformen wie Spotify.
       Algorithmen sorgen für große Verbreitung. Wer gebietet dem Wahnsinn denn
       Einhalt?
       
 (DIR) Von Spotify zur Waffenschmiede: Missbrauch von Musikgerät
       
       Der Musik-Streamingdienst Spotify ist der Musik selbst nicht zuträglich.
       Aber ordentliche Gewinne macht er, die er in fragwürdige Industrien steckt.
       
 (DIR) Probleme beim Musikstreaming-Boom: The Winner Takes It All
       
       Spotify hat 95 Prozent Marktanteil am Musikstreaming in Deutschland. Welche
       Gefahren darin liegen, erläutert ein investigatives Buch von Liz Pelly.
       
 (DIR) Seltsame Regelungen bei Copyrights: Sie essen lieber alles selbst
       
       Die Gema verklagt ChatGPT, um Tantiemen zu kassieren. Aber warum zeigt sie
       bislang kein Interesse, Produzenten ein Stück vom Kuchen abzugeben?
       
 (DIR) KI-Songs erobern die Charts: Künstlich verlängerte Sommerhits
       
       Zwei KI-Songs sind nun in den Charts platziert. Bisher stört sich niemand
       an „Verknallt in einen Talahon“ und „Zo Zomer“, trotz fadem Beigeschmacks.
       
 (DIR) ChatGPT-Identitätsklau: Wenn Software zu träumen beginnt
       
       ChatGPT habe ihm seine Identität geklaut, sagt Sebastian Schnitzenbaumer.
       Er will die KI-Firma verklagen. Ein Fall, der ins Grundsätzliche weist.
       
 (DIR) Einheitsbrei und Kultur-Sparmaßnahmen: Klick Kultur Kapitalismus
       
       Kultur wird immer austauschbarer, gleichzeitig knausern Regierungen bei der
       Kulturförderung. Das spielt autoritären Kräften in die Hände.
       
 (DIR) Geld verdienen mit Musik: Da bleibt nur die Fußgängerzone
       
       Weder Festanstellung im Orchester, noch Schlagerhit gelandet: Warum lässt
       sich der Mittelbau der Musikbranche nicht per Paypal-Button bezahlen?
       
 (DIR) Künstliche Intelligenz in der Musik: Vielleicht komponiert die KI besser
       
       Schon lange verbindet sich in der Musik menschliches Schaffen mit
       maschineller Hilfestellung. Warum sollen dann nicht auch KI-Werke
       preiswürdig sein?
       
 (DIR) Musikstreaming mit KI: Wie das Jüngste Gericht, nur anders
       
       Künstliche Intelligenz verändert das Streaming von Musik. Unser Autor hat
       für Playlists von Algorithmen keinen Bedarf.