# taz.de -- KI-Songs erobern die Charts: Künstlich verlängerte Sommerhits
       
       > Zwei KI-Songs sind nun in den Charts platziert. Bisher stört sich niemand
       > an „Verknallt in einen Talahon“ und „Zo Zomer“, trotz fadem
       > Beigeschmacks.
       
 (IMG) Bild: Deutscher KI-Sommerhit: Verknallt in einen Talahon von Butterbro
       
       „Wo fahr ich hin? … Wird es Spanien / Oder doch Frankreich/Oder ganz weit
       weg / Vielleicht Australien … Nur nicht Somalia“ – so lautet der aus dem
       Niederländischen übersetzte Refrain des Benelux-Tiktok- und Spotify-Hits
       [1][„Zo Zomer“]. Ansonsten beschäftigt sich das Lied primär mit dem Fakt,
       dass es „fast schon Sommer“ sei. Und so reiht sich damit der Song des
       bisher als Enigma auftretenden Sängers John De Koning in die lange
       Tradition von Sommerhits ein, für die es bekanntermaßen außer Stimmung und
       Hitze wenig braucht.
       
       Naja, Glück braucht es obendrein, denn immerhin buhlen alljährlich etliche
       Lieder mit generischen Texten aus dem Themenkomplex Gebräunte
       Haut-Meer-Tanzen-Fernweh um den sprichwörtlichen Platz an der Sonne.
       [2][Dieses seit Jahrzehnten vorliegende Style Sheet, branchenintern gerne
       als „Erfolgsrezept“ bezeichnet], täuscht indes darüber hinweg, dass sich in
       der Zwischenzeit etwas an der Sommerhit-Front getan hat.
       
       Dieses Jahr sind erstmals KI-generierte Tracks in die Charts eingesickert.
       [3][Das sollte nicht überraschen, denn künstliche Intelligenz hat in Form
       von ChatGPT und Midjourney längst Eingang in die Kreativbranche genommen.
       KI wird hier als Tool, da wiederum als neuer Urheber genuiner Inhalte
       genutzt.]
       
       ## Uh Oh Udio
       
       Seit dem 10. April steht mit Udio der gleichnamigen Firma ein komfortabel
       nutzbarer Generator zur Verfügung, der mit einfachen Text- und
       Genreangaben Musik (künstlich) generiert. Die Ergebnisse der Maschine sind
       erstaunlich: Nicht nur in ohnehin stark vorformatierten Feldern der
       Popmusik überzeugt das Tool, Udio spuckt ohne Zögern auch formidable
       deutsche Indiesongs à la Hamburger Schule aus.
       
       Die Vermutung liegt nahe, dass „Zo Zomer“ von John De Koning ebenfalls mit
       Udio (oder verwandten Produkten wie Musicfy) erstellt wurde. Abgesehen von
       der ungeschliffenen, gelegentlich glitschenden Soundästhetik ist die
       Verwechslungsgefahr mit „echten“, also human-produzierten Songs groß; wie
       zeitgleich auch an anderer Stelle zu beobachten ist. Denn was den
       Niederländern ihr De Koning ist, ist den Deutschen der Schlagersong
       „Verknallt in einen Talahon“.
       
       Wenngleich es einen gewichtigen Unterschied gibt: Während De Koning (oder
       der Programmierer dahinter) nicht als KI-generiert geoutet wurde, stellt
       der österreichische Produzent Butterbro ohne Umschweife klar, dass bei
       seinem Hit k[4][ünstliche Intelligenz die Hauptrolle übernommen hat].
       
       ## Alles verworren um Butterbro
       
       So erschien die Single, die sich mittlerweile auf Platz 83 der Deutschen
       Single-Charts tummelt, gleich unter dem Alias „Butterbro feat. Udio“. Das
       kostete den Produzenten Butterbro wiederum eine bessere Chartsplatzierung.
       Immerhin stieg der Track letzte Woche sogar auf Platz 48 der Charts ein,
       woraufhin Spotify das Lied für einige Tage aus dem Programm nahm – und nach
       einem Tiktok-Rant wieder reinsetzte. Die Umstände sind etwas verworren.
       
       „Verknallt in einen Talahon“ klingt indes weniger nach Sommerhit als mehr
       nach Conny Froboess oder France Gall, vulgo Schlager. Interessant: Wo vor
       60 Jahren mal von Backfischen und Halbstarken die Rede war, heißt es heute
       Chayas und eben Talahon, wie der Titel bereits verrät.
       
       Bei Talahon (arabisch für „Komm her“) handelt es sich um eine
       Eigenbezeichnung arabisch-türkischer Jung-Männer, die diesen Sommer
       Hochkonjunktur hat und sogar für das Jugendwort des Jahres nominiert ist.
       Man könnte das als gelungene Synthese von Einst (Schlager) und Jetzt
       (Jugendwort) feiern, doch hat sich Talahon in der Zwischenzeit
       verselbstständigt und wird gerne auch in rechten Kreisen zur Diffamierung
       von migrantischen Jugendlichen benutzt.
       
       Der Song selbst reproduziert Klischees von Gewaltbereitschaft,
       Arbeitslosigkeit und der Affinität zu Messerattacken besagter Talahons –
       nichts, wovor Innenministerin Nancy Faeser nicht auch warnt, könnte man
       sagen; dennoch nicht okay!
       
       Aber was folgt aus dem Aufstieg von KI-Songs für die Popwelt? Eingedenk der
       Tatsache, dass bereits einige Lieder mit Algorithmen und KI-Tools
       aufgemotzt werden, kann man eh nicht mehr zwischen „echt“ und „künstlich“
       unterscheiden. Bisher hat das niemand gestört.
       
       22 Aug 2024
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) Lars Fleischmann
       
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