# taz.de -- Vorschlag zur Soli-Abschaffung: Die Reichen zur Kasse, bitte!
       
       > Würde nur eine kleine Gruppe einen Teil abgeben, müsste sich Deutschland
       > um den Fiskus nicht sorgen. Die Schweiz und Spanien machen vor, wie es
       > geht.
       
 (IMG) Bild: Dreikönigstreffen 2024 der FDP in Stuttgart. Kritiker stören die Veranstaltung mit Transparenten
       
       Die FDP hat dem Land ein starkes Tabu auferlegt – so stark, dass
       gegenwärtig kein Regierungsmitglied darüber nachdenkt, geschweige denn
       spricht. Höhere Steuern gelten als Gift. Obwohl völlig klar ist, dass ein
       klimafreundlicher Umbau des Energiesystems nur mit höheren staatlichen
       Ausgaben gelingen kann, kommen der Bundesregierung nur zwei Wege in den
       Sinn, um das Loch zu stopfen, das durch das Urteil des
       Bundesverfassungsgerichts entstanden ist.
       
       Entweder drastisch sparen oder vielleicht doch die Schuldenbremse ein wenig
       lockern, so wie es einige Ökonomen inzwischen massiv fordern. Dass es aber
       auch auf der Einnahmenseite einen Hebel gibt, um die Staatskasse für eine
       zukunftsfähige Politik auszustatten, ist von keiner der größeren Partei zu
       hören. Im Gegenteil: Die Minister Christian Lindner (FDP) und Robert Habeck
       (Grüne) fordern gerade im Duett, [1][den Solidaritätszuschlag
       abzuschaffen], weil er angeblich das Wachstum gefährdet.
       
       Dabei müsste nur eine klitzekleine Gruppe einen auch für sie leicht zu
       verschmerzenden Teil abgeben, um das Problem zu lösen: die
       Multimillionärinnen und Multimillionäre. Die internationale
       Hilfsorganisation [2][Oxfam] hat ausgerechnet, dass 2 Prozent
       Vermögenssteuer für alle, die mehr als 4,6 Millionen Euro ihr Eigen nennen,
       und dann gestaffelt bis zu 5 Prozent für Milliardäre ausreichen würden, um
       die Staatskasse mit rund 85 Milliarden aufzufüllen.
       
       Damit ließe sich der sozial-ökologische Umbau prima anschieben, [3][das
       Bildungssystem] unterstützen und auch das Versprechen einhalten, den
       Haushalt für internationale Zusammenarbeit in gleichem Maße anzuheben wie
       die Militärausgaben. Im Grundgesetz steht nicht nur, dass der Staat das
       Eigentum schützt, sondern ebenso, dass Eigentum verpflichtet. „Sein
       Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“
       
       ## Reichtum wird nicht erforscht
       
       Doch seit die Vermögenssteuer 1997 ausgesetzt wurde, weiß der Staat nicht
       einmal mehr, wie viel Geld, Immobilien, Schiffe, Diamanten, Aktien und
       sonstige Werte der eine oder die andere angehäuft hat. Während Armut
       hierzulande bestens erforscht ist, befindet sich der Reichtum im Nebel der
       Unkenntnis. Kein staatliches Forschungsinstitut und keine Hochschulfakultät
       beschäftigt sich systematisch mit dem Thema.
       
       Jahrelang stützten sich alle auf die Reichenlisten, die Manager Magazin und
       Forbes jährlich veröffentlichen. Bis vor kurzem galt Familie Quandt als
       Nummer eins im Land. Sie hat ihr Vermögen vor allem Aktivitäten ihres
       Vorfahren Günther Quandt im Dritten Reich zu verdanken und später der
       Sanierung von BMW durch seinen Sohn Herbert. Doch eine Recherche durch das
       [4][Netzwerk Steuergerechtigkeit] brachte kurz vor Weihnachten ans Licht,
       dass es in Deutschland einen Clan gibt, der noch viel reicher ist:
       Boehringer-Ingelheim.
       
       50 bis 100 Milliarden Euro soll die Familie auf der hohen Kante haben. Und
       weil es viele vorteilhafte Gesetze für solche Leute gibt, wächst ihr
       Eigentum von Jahr zu Jahr. Eine Steuer in Höhe von einigen Millionen ließe
       sich deshalb für die Boehringers und Quandts locker verschmerzen – leichter
       jedenfalls als für die Betroffenen eine Kürzung des Bürgergelds, die
       Finanzminister Linder wieder ins Gespräch gebracht hat.
       
       In der Schweiz oder [5][in Spanien gibt es eine Vermögenssteuer]. In
       Deutschland war sie bis zu einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts
       ebenfalls in Kraft. Die obersten Richter und Richterinnen stellten 1995
       auch keineswegs die Steuer an sich infrage, sondern nur ihre damalige
       Ausgestaltung, weil Immobilien zu gering bewertet wurden. Seither ist es
       Lobbyisten gelungen, die Diskussion immer wieder abzuwürgen und Vorschläge
       als „Neiddebatte“ oder „vom Klassenkampf getriebene Steuerpolitik“ zu
       diffamieren.
       
       ## Viele kassieren nur noch ab
       
       [6][Die Stiftung Familienunternehmen], die sich allein ihre Lobbyarbeit im
       Deutschen Bundestag jährlich 1,8 Millionen Euro kosten lässt, spielt hier
       eine zentrale Rolle. Die Organisation verbreitet die Angst, dass durch eine
       Vermögenssteuer zahlreiche Firmen zusammenbrechen oder abwandern könnten.
       Dabei haben viele Superreiche gar keine Rolle mehr in ihren Unternehmen –
       außer abzukassieren. Würden sie besteuert, hätte das für die Firmen oft gar
       keine Auswirkungen.
       
       Die Fokussierung auf Multimillionärinnen und Multimillionäre ist ein kluger
       Ansatz. Oxfam, Gewerkschaften und andere Aktivist*innen haben die
       Europäische Bürger*inneninitiative „[7][Tax the Rich]“ gestartet, um
       eine Vermögenssteuer für die Allerreichsten durchzusetzen. Ziel ist ein
       Gesetz auf europäischer Ebene. Nur eine Million Menschen aus sieben Ländern
       müssen unterschreiben, damit der erste Schritt stattfindet und die
       EU-Kommission sich zumindest ernsthaft mit dem Thema beschäftigen muss.
       
       Die Initiative könnte auch ein guter Impuls für die Bewegung sein, die sich
       gerade auf Deutschlands Straßen gegen die AfD formiert. Denn die
       Rechtsradikalen sind auch deshalb so stark geworden, weil viele Menschen
       Zukunftsängste haben. Eine Politik, die planlos erscheint und die Kosten
       des Klimaumbaus nicht sozial abfedert, befeuert solche Gefühle. In diesem
       Umfeld fällt es den Neonazis leicht, die Verunsicherung zu nutzen, um ihre
       Sündenbock-Propaganda gegenüber völlig Unschuldigen zu verbreiten.
       
       Um der AfD das Wasser abzugraben, muss das Vertrauen gestärkt werden, dass
       Deutschland die Kurve kriegt. Dafür braucht es massive Investitionen in
       Wärmedämmung und erneuerbare Energien, aber auch in Bildung, Kultur und
       soziale Sicherheit. Mit Sparprogrammen ist das nicht zu machen. Die
       Schuldenbremse zu lockern wird auf jeden Fall notwendig sein. Noch
       wichtiger aber erscheint es, mehr Geld in die Staatskasse zu spülen, um den
       Umbau gestalten und vorantreiben zu können.
       
       Das Geld ist ja da – es muss nur eingesammelt werden. Das muss die
       Bundesregierung kapieren. Ihre Hinterzimmerpolitik ist engstirnig und
       fantasielos.
       
       9 Feb 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Steuerentlastungen-fuer-die-Wirtschaft/!5987263
 (DIR) [2] https://www.oxfam.de/ueber-uns/publikationen/bericht-soziale-ungleichheit-2024
 (DIR) [3] /Bildungsmisere-in-Deutschland/!5977920
 (DIR) [4] https://www.netzwerk-steuergerechtigkeit.de/
 (DIR) [5] /Madrid-belastet-Reiche-staerker/!5885000
 (DIR) [6] https://www.familienunternehmen.de/
 (DIR) [7] https://www.tax-the-rich.eu/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Annette Jensen
       
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