# taz.de -- Pro-palästinensische Demos: Ist ein Verbot richtig?
       
       > Nach ersten Jubelbekundungen über den Hamas-Überfall auf Israel, reagiert
       > Berlins Polizei mit Verboten. Aber ist das gerechtfertigt? Ein Pro und
       > Contra.
       
 (IMG) Bild: Palästinaflaggen unter Polizeibeobachtung
       
       ## Ja
       
       Man stelle sich vor, ein Mob Tausender Menschen zieht jubelnd die
       Sonnenallee herunter, das barbarische Abschlachten von Zivilist:innen
       durch die Hamas leugnend und – im Geiste dieses Werk zu vollenden – mit
       Sprechchören, die die Vernichtung Israels fordern. Es braucht kaum
       Fantasie, um daran zu denken, wie diese Provokation in Straßenkämpfe
       mündet. Und weil – sensationslüstern – alle gewartet haben auf diese
       maximale Eskalation in der einstigen Hauptstadt des Faschismus, sind die
       Augen der Weltöffentlichkeit darauf gerichtet: ein Fiasko im
       Blitzlichtgewitter.
       
       Das [1][Verbot einer Pro-Palästina-Demonstration am Mittwoch in Neukölln]
       und aller Ersatzveranstaltungen könnte Berlin zumindest vorerst davor
       bewahren. Und auch wenn dieses Mittel der Verbote ein demokratisch heikles
       ist; in Ausnahmefällen ist es die bessere von zwei schlechten Alternativen.
       
       Leider spricht viel dafür, dass die Erwartungen, die das Verbot begründen –
       volksverhetzende, antisemitische Parolen und Gewalt – gerechtfertigt sind.
       Denn wie sahen denn die bisherigen propalästinensischen Meinungsäußerungen
       aus? [2][Süßigkeiten, die im Triumph über die Toten auf der Sonnenallee
       verteilt werden,] nächtliches Siegesgebrüll, Widerstand gegen polizeiliche
       Maßnahmen. Dazu kommen Schmierereien von Hakenkreuzen und Todeswünsche
       gegen Jüd:innen auf der East Side Gallery.
       
       All das ist ein Gemeinmachen mit Kriegsverbrechen, gleich so, als wäre für
       den IS nach dem Massaker an den Jesid:innen demonstriert worden. Ähnlich
       auch den – zu Unrecht nicht konsequent verbotenen – Aufmärschen für Rudolf
       Heß. Freie Meinungsäußerung hat Grenzen, die sich an zivilisatorischen
       Mindeststandards bemessen lassen müssen. Es ist kein Makel für die
       Demokratie, wenn sie es nicht zulässt, dass Faschist:innen und
       Islamist:innen diese unterschreiten.
       
       Gleichwohl gehören Verbote propalästinensischer Demos genau abgewogen und
       begründet. Die Parteinahme für ein strukturell unterdrücktes Volk, das
       Betrauern ihrer Opfer und auch der Protest gegen Israels Militäreinsatz in
       Gaza muss möglich sein. Der Generalverdacht des Antisemitismus ist kein
       Mittel eines demokratischen Rechtsstaates. Bewegen müssen sich auch die
       Protestorganisator:innen. Sie müssen ihrerseits deutlich machen, dass
       ihre Demos keine Plattformen des Hasses werden. Erik Peter
       
       ## Nein
       
       Weil man es dieser Tage unmissverständlich sagen muss: Die Angriffe der
       Hamas auf israelische Zivilist*innen sind barbarische Kriegsverbrechen.
       Jubelbekundungen der Massaker sind widerwärtig. Punkt. Kein Aber.
       
       Dass Palästina-Solidaritätsdemonstrationen in Berlin verboten wurden, ist
       trotzdem falsch. Die Polizei argumentiert, dass es bei den Protesten zu
       antisemitischen Ausrufen, Gewaltverherrlichungen oder Gewalt kommen könnte.
       Könnte. Und genau da sind wir beim Kern des Problems. So verständlich es
       ist, angesichts der Gräueltaten der Hamas alles, was diese auch nur
       irgendwie legitimieren könnte, aus dem öffentlichen Raum verbannen zu
       wollen, ist dies mit dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und
       Versammlungsfreiheit in einer demokratischen Gesellschaft schlicht nicht zu
       vereinen.
       
       Denn allein der Verdacht auf strafbare Handlungen reicht für ein Verbot
       nicht aus – zum Glück. Sonst könnte jegliche Demonstration mit diesem
       Argument verboten werden und die freiheitliche Gesellschaftsordnung würde
       einem Polizeistaat weichen, in dem unbequeme Meinungen nicht geduldet
       werden.
       
       Nun war die Aktion von [3][Samidoun], die nach dem Überfall auf Israel in
       Neukölln Süßigkeiten verteilten und die Hamas abfeierten, nicht unbequem,
       sondern strafbar. Entsprechend wurde die Veranstaltung von der Polizei auch
       aufgelöst und Anzeigen verteilt. Weder kann dafür die gesamte
       Palästina-Solidaritätsbewegung haftbar gemacht noch ihr das Recht auf
       Meinungsäußerung entzogen werden. Denn die ist legitim: Palästina ist nicht
       gleich Hamas und dass Palästinenser*innen nicht nur schwere
       Menschenrechtsverletzungen durch Israel erleben, sondern auch noch von der
       Hamas als menschliches Schutzschild missbraucht werden, ist schrecklich.
       
       Wenn unter dem Deckmantel der freien Meinungsäußerung menschenverachtende
       Inhalte verbreitet werden, gibt es im Rechtsstaat Mittel, dagegen
       vorzugehen. Als Linke mag es verlockend erscheinen, Demo-Verbote gegen
       Islamisten oder Neonazis zu befürworten. In einem Staat, der Antifaschismus
       auf dieselbe Stufe stellt, muss einem aber klar sein, dass diese Mittel
       jederzeit auch gegen progressive Kräfte eingesetzt werden können. Statt auf
       Repression zu setzen, sollten wir lieber dafür sorgen, dass
       menschenverachtende Positionen in unserer Gesellschaft keinen Platz haben.
       Marie Frank
       
       11 Oct 2023
       
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