# taz.de -- Aminata Touré schlägt Asylgrund vor: Verstümmelung als Vorbedingung?
       
       > Die Grünen-Politikerin Aminata Touré fordert die Anerkennung weiblicher
       > Genitalverstümmelungen als Asylgrund. Aber das ist der falsche Schritt.
       
 (IMG) Bild: Mütter, Tanten und Großmütter fügen ihren Kindern nicht mit böser Absicht Schaden zu, im Gegenteil
       
       Wenn sich Politiker:innen bei Debatten über den Schutz von
       Asylsuchenden zerfleischen, argumentieren sie oft an der eigentlichen
       Realität der Betroffenen vorbei. So auch die Gleichstellungsministerin von
       Schleswig-Holstein, die Grünen-Politikerin Aminata Touré.
       
       Nachdem der CDU-Politiker Thorsten Frei am Dienstag [1][das Ende des
       Asylrechts der Einzelnen in der EU gefordert hatte], sprach sich Touré am
       Mittwoch für die uneingeschränkte Anerkennung von Betroffenen von
       weiblicher Genitalverstümmelung als Asylgrund in Deutschland aus.
       
       [2][Weibliche Genitalverstümmelung], kurz FGM aus dem Englischen „Female
       Genital Mutilation“, ist ein weltweit praktiziertes Beschneidungsritual an
       Mädchen und Frauen, vermutlich auch trans Jungen und trans Männern.
       Meistens werden Mädchen im Alter zwischen 4 und 14 Jahren die Klitoris und
       Vulvalippen ohne medizinische Begründung beschnitten oder vollständig
       entfernt, manchmal unter hygienisch riskanten Bedingungen etwa mit nicht
       sterilen Rasierklingen. Die verbliebenen Hautfetzen werden anschließend
       zugenäht, sodass nur noch eine kleine Öffnung für Ausscheidungen von Urin
       und Menstruationsblut bleibt.
       
       Die Konsequenzen für Betroffene reichen von psychologischem Trauma,
       Entzündungen, extremen Schmerzen beim Wasserlassen und beim Zyklus sowie
       bei penetrativem Geschlechtsverkehr. Drei bis sieben Prozent der
       Betroffenen sterben jährlich unmittelbar durch den Eingriff, in den Jahren
       danach erhöht sich die Zahl auf bis zu 30 Prozent durch Komplikationen bei
       der Geburt oder durch Infektionen.
       
       ## Engagierter Vorschlag – aber wie umsetzen?
       
       Betroffen von dieser patriarchalen Brutalität – in den praktizierten
       Gesellschaften werden die Beschnittenen als „rein“ und „qualifiziert als
       Heiratsmaterial“ gesehen – sind etwa 200 Millionen Mädchen und Frauen. In
       Europa sollen laut Schätzungen 700.000 Frauen beschnitten sein, in
       Deutschland könnten 100.000 zu den Betroffenen gehören, mit steigender
       Tendenz. Dabei gilt FGM in Deutschland als schwere Körperverletzung nach
       §226a StGB.
       
       Die Initiative der Grünen-Politikerin Aminata Touré ist deshalb ein
       engagierter Vorschlag. Wer vor einer anstehenden Genitalverstümmelung
       flieht, flieht auch um ihr eigenes Leben. Allerdings stellt sich die Frage
       nach der Umsetzung. Wie sollen Betroffene, die vor einer anstehenden FGM
       fliehen, ihre Situation nachweisen? Werden nur bereits praktizierte FGM als
       Asylgrund anerkannt? Werden Anträge von unbeschnittenen Frauen weniger
       schwer gewichtet, weil ihre Körper einer Menschenrechtsverletzung entkommen
       konnten?
       
       Für Betroffene, die FGM erlebt haben, [3][ist das Thema oft Tabu]. Viele
       trauen sich nicht, darüber zu sprechen – wenn ihnen denn überhaupt bewusst
       ist, dass das, was ihnen angetan wurde, Gewalt war. Touré sagt selbst, dass
       Betroffene „sich nicht trauen, das Thema offen anzusprechen“. Der
       Grünen-Politikerin zufolge sollen Behörden besser sensibilisiert werden, um
       Betroffene über ihre Rechte aufzuklären, da FGM „ihre Chancen im
       Asylverfahren verringern“ kann.
       
       ## Abgelehnt, wenn nicht beschnitten?
       
       Müssen Betroffene vor jedem Asylantrag, der ohnehin schon nervenaufreibend
       ist, wochenlang auf einen ärztlichen Termin warten, um gegebenenfalls von
       einem unsensiblen Arzt untersucht zu werden? Werden flüchtende Mädchen und
       Frauen dann abgelehnt, wenn sie nicht beschnitten sind?
       
       So schrecklich das Ritual auch ist: Die Mütter, Tanten und Großmütter fügen
       den Kindern nicht mit böser Absicht Schaden zu, im Gegenteil. Ihrem
       Verständnis zufolge entspricht FGM der sozialen Norm und soll dem Kind
       Vorteile verschaffen. Und wenn FGM anerkannter Asylgrund wird, stellt sich
       ein neues Problem: Wenn Mütter ihre Töchter eigentlich vor FGM schützen
       wollen, überlegt sie es sich vielleicht doch anders, wenn die Tochter
       dadurch mehr Chancen auf Asyl in Deutschland hätte.
       
       Mehr Sensibilisierung für die Situation von flüchtenden Frauen ist wichtig,
       und dafür ist eine besondere Schulung, wie Touré fordert, unbedingt
       notwendig. Doch Flucht sollte unabhängig von Körperverletzung als Asylgrund
       ausreichen. Ein besserer Schritt wäre, die Länder, in denen FGM vor allem
       verbreitet ist, [4][nicht als sichere Herkunftsstaaten] einzustufen.
       
       19 Jul 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Asylrecht-des-Einzelnen-infrage-gestellt/!5948426
 (DIR) [2] /Tag-gegen-Genitalverstuemmelung/!5747611
 (DIR) [3] /Aerztin-ueber-Genitalverstuemmelung/!5737398
 (DIR) [4] /Innenministerkonferenz-in-Berlin/!5941328
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Shoko Bethke
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Gewalt
 (DIR) Feminismus
 (DIR) Asylrecht
 (DIR) Schwerpunkt Flucht
 (DIR) Aminata Touré
 (DIR) Asylpolitik
 (DIR) Genitalverstümmelung
 (DIR) Gewalt gegen Frauen
 (DIR) Gewaltopfer
 (DIR) Gewalt gegen Kinder
 (DIR) Schwerpunkt Flucht
 (DIR) Geschäftsführer
 (DIR) Grüne
 (DIR) Aminata Touré
 (DIR) Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Abschiebung in NRW: Behörden brechen Kirchenasyl
       
       Mit Gewalt hat die Polizei versucht, ein kurdisches Paar aus einer Kirche
       nach Polen abzuschieben. Am Freitag gibt es eine Mahnwache.
       
 (DIR) CDU-Vorstoß gegen Asylrecht: Union schürt Vorurteile
       
       Unions-Geschäftsführer Thorsten Frei schlägt vor, das individuelle Recht
       auf Asyl durch Kontingente zu ersetzen. Seine Idee beruht auf zwei groben
       Denkfehlern.
       
 (DIR) Streit um EU-Asylgesetz: Die Grünen im Zwiespalt
       
       Der Grünen-Bundesvorstand hat die Richtlinie für die gemeinsame
       Asyl-Politik aktualisiert. Aber: In der Partei stößt auch der neue Antrag
       auf Kritik.
       
 (DIR) Aminata Touré über ihren neuen Job: „Regierung ist für alle zuständig“
       
       Aminata Touré die nicht nur neue Sozialministerin in Schleswig-Holstein,
       sondern die erste deutsche Schwarze Landesministerin überhaupt.
       
 (DIR) Weibliche Genitalverstümmelung: Digitale Gegenwehr
       
       Die Entwicklerin Priya Goswami arbeitet an Apps gegen
       geschlechtsspezifische Gewalt. „Mumkin“ hilft Opfern weiblicher
       Genitalverstümmelung.