# taz.de -- Schnellverfahren gegen Letzte Generation: Der Versuch ist gescheitert
       
       > Das erste Mal war in Berlin ein Blockierer im beschleunigten Verfahren
       > angeklagt. Doch der Vorwurf ist dafür nicht geeignet, so die Richterin.
       
 (IMG) Bild: Nötigung? Keine klare Sache
       
       Berlin taz | Der erste Versuch, in Berlin einen Aktivisten der [1][Letzten
       Generation] für eine Straßenblockade in einem [2][„Schnellverfahren“ zu
       verurteilen], ist gescheitert. In dem Verfahren einer im Juni neu
       eingerichteten Abteilung am Amtsgericht Tiergarten stand nach einer
       dreistündigen Verhandlung das Urteil der Richterin: Der Antrag der
       Staatsanwaltschaft auf ein „beschleunigtes Verfahren“ wird abgewiesen. Die
       Voraussetzungen dafür lägen bei einer großen Straßenblockade nicht vor.
       Stattdessen muss der Fall in einem normalen Hauptverfahren mit umfassender
       Beweisaufnahme verhandelt werden.
       
       Angeklagt war ein 35-jähriger Student der Geoökologie wegen einer
       Straßenblockade am Frankfurter Tor im vergangenen November – auf den Tag
       genau acht Monate vor dem „Schnellverfahren“. Der Angeklagte war mit drei
       überaus motivierten Anwält:innen erschienen. Einen Antrag, dem Gericht
       die Zuständigkeit abzusprechen, begründete Anwältin Linh Steffen damit,
       dass es sich bei diesem „de facto um ein Ausnahmegericht“ handele, das
       gesetzlich verboten sei.
       
       Anwalt Tobias Krenzel begründete seinen Antrag, das Verfahren einzustellen,
       mit den nicht vorliegenden Bedingungen für ein beschleunigtes Verfahren:
       einem einfachen Sachverhalt und einer klaren Beweislage. Beides liege nicht
       vor.
       
       Die mit dem verkürzten Verfahren eingeschränkten Rechte des Angeklagten,
       etwa die vereinfachte Ablehnung von Beweisanträgen, könne nicht hingenommen
       werden. Krenzel kritisierte das „Sondertribunal“ vor einer Proberichterin,
       die „als besonders konform eingeschätzt“ werde.
       
       ## Politische Einflussnahme
       
       In einem weiteren Antrag auf Zulassung eines Eingangsstatements des
       Angeklagten wies Anwalt Nummer 3, Alex Gorski, auf den politischen
       Charakter des Verfahrens hin: So habe Bürgermeister Kai Wegner (CDU) im
       Juni in der Bild beschleunigte Verfahren gegen „Klimakleber“ gefordert.
       Gorski meinte: „Die Berliner Justiz beugt sich den Wünschen der Koalition.“
       Zum Ausgleich gegen die öffentliche Vorverurteilung des Mandanten müsste
       dieser zu Beginn gehört werden.
       
       Die Richterin selbst hatte schon zu Beginn ihre Zweifel geäußert, ob sich
       dieser – und damit auch ähnlich gelagerte Fälle – für ein beschleunigtes
       Verfahren eignet, und dabei auf ein Urteil des Berliner Kammergerichts
       verwiesen. Dieses hatte jüngst entschieden, dass bei Blockaden nicht per se
       von einer Nötigung ausgegangen werden könne, sondern es eine genaue Prüfung
       der Umstände erfordere. Die Richterin kritisierte zudem: Die
       Ermittlungsakte sei dünn, notwendige Hinweise etwa auf Länge und Dauer des
       Rückstaus fehlten.
       
       Doch statt über die Anträge der Verteidigung zu entscheiden, eröffnete sie
       das Verfahren. Nachdem der Angeklagte eine Aussage verweigerte, durfte der
       erste von drei geladenen Polizeizeugen seine Aussage machen. Seine
       Hundertschaft hatte den Blockadeort erreicht, als die Verkehrspolizei
       bereits die Umleitung für den Autoverkehr organisiert hatte. Für den
       Vorwurf der Nötigung war seine Aussage wertlos. Es folgte die Entscheidung
       der Richterin, auf die Aussage der beiden Kollegen zu verzichten und das
       beschleunigte Verfahren zu beenden.
       
       ## Test gescheitert
       
       Das Verfahren bezeichnete sie als „Test für das Amtsgericht Tiergarten“.
       Ihr Verweis auf Fälle, die bislang im beschleunigten Verfahren verhandelt
       werden – meist Schwarzfahren und kleine Diebstähle –, zeigte auf, dass auch
       in weiteren Blockadefällen mit ähnlichen Beschlüssen gerechnet werden muss.
       So sah es auch Anwalt Krenzel, der resümierte: „Die Staatsanwaltschaft ist
       gegen die Wand gefahren.“ Er kritisierte Kai Wegners Forderung nach
       Schnellverfahren als einen „starken Eingriff in den Grundsatz der
       Gewaltenteilung“.
       
       Laut der Sprecherin der Letzten Generation, Lina Johnson, sei die
       Entscheidung für eine „Sondergerichtsbarkeit“ eine „politische
       Fehlentscheidung“. Unterstützung erhielten die Aktivist:innen schon
       zuvor vom Republikanische Anwätinnenverein. Der hatte in einem Statement
       erklärt, es handele es sich „um ein politisches Signal in der ohnehin schon
       von Populismus geprägten Debatte“ – zulasten der Beschuldigten- und
       Verfahrensrechte“. Die Neue Richtervereinigung hatte gewarnt: „Die
       Politisierung von Strafverfahren muss vermieden werden. Jeder Anschein
       einer unzulässigen Einflussnahme der Exekutive auf gerichtliche Verfahren
       zerrüttet das Vertrauen in den Rechtsstaat.“
       
       Der rechtspolitische Sprecher der Linken, Sebastian Schlüsselburg, forderte
       nach dem Beschluss Aufklärung, wie es zu der „Kehrtwende der
       Staatsanwaltschaft“, die beschleunigte Verfahren zuvor lange abgelehnt
       hatte, gekommen ist. Schlüsselburg hatte bereits vor zwei Wochen Antrag auf
       Akteneinsicht bei der Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos, von der
       CDU ernannt) gestellt. Noch warte er auf eine Antwort.
       
       Am späten Nachmittag blockierten sieben Mitglieder der Letzten Generation
       die Straße vor dem Amtsgericht Tiergarten.
       
       11 Jul 2023
       
       ## LINKS
       
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