# taz.de -- Historikerin über Schriftartefakte: „Man kommt immer auf Neues“
       
       > Alte Schrift und neue Forschung: Die Hamburger Stabi und der
       > Exzellenzcluster „Understanding Written Artefacts“ zeigen „Hamburgs
       > Schriftschätze“.
       
 (IMG) Bild: Dokument eines Skandals: Soufflierbuch von Friedrich Ludwig Schröders Hamburger Othello-Adaption
       
       taz: Frau Harter-Uibopuu, welche Geschichten erzählt uns ein
       [1][streichholzschachtelgroßer Koran]? 
       
       Kaja Harter-Uibopuu: Dieses Artefakt erzählt uns, dass es wichtig ist,
       diese heilige Schrift mit sich nehmen zu können. Man erstellt eine
       Miniatur, damit man sie mit sich tragen kann. In der Ausstellung sind auch
       die entsprechenden Amuletthülsen zu sehen. Man kann den Koran also
       sozusagen wirklich am Herzen tragen. Er dient als Schutz vor Unheil, denn
       lesen kann man ihn eigentlich kaum mehr. Es ist handwerklich auch eine
       große Kunst, so eine Miniatur zu schreiben. Dieser Koran ist noch mit Gold
       verziert, es ist wirklich ein Prunkstück, das wir hier haben. Das ist das
       Schöne an Handschriften: Es sind alles Unikate.
       
       [2][Die Ausstellung] zeigt 20 dieser Dokumente. Eines ist ein Notenblatt,
       das Constanze Mozart posthum ihrem Mann Wolfgang Amadeus zugeordnet hatte,
       das aber von dessen Vater Leopold stammt. Was können Sie mit
       wissenschaftlichen Methoden in solch einem Dokument entdecken? 
       
       Grundsätzlich gibt es zwei Zugänge. Zum einen schauen wir uns das Stück
       selbst an. Wir können zum Beispiel erkennen, welche Art von Papier, welche
       Art von Handschrift es ist; ob es flüchtig oder mit sehr viel Sorgfalt
       geschrieben worden ist; ob es Änderungen oder Nachträge gibt, wie [3][im
       Falle des Notenblatts]. Wo hat man versucht, noch etwas anzupassen oder zu
       korrigieren? So kann man versuchen, die Entstehung des Stücks
       nachzuverfolgen. Es gibt hier hochmoderne Untersuchungsmethoden. Wir können
       genau sagen, um welche Art von Schreibmaterial es sich handelt oder wie die
       Tinte zusammengestellt wurde.
       
       Und zum Zweiten geht es um den Kontext? 
       
       Ja, wir versuchen, die Geschichte dieser Objekte herauszufinden. Dazu
       unternehmen wir vor allem Archivstudien. Wir arbeiten eng mit der
       Staatsbibliothek zusammen, alle Stücke der Ausstellung liegen in [4][der
       Handschriftensammlung]. Wo kommen die her? Wann wurden sie angekauft, wo
       hat man sie herbekommen? Manche Stücke haben abenteuerliche Reisen hinter
       sich. Diese werden im Rahmen der Provenienzforschung untersucht.
       
       Im Untertitel der Ausstellung sprechen Sie „neue Fragen an alte
       Manuskripte“ an. Geht es da um neue Methoden, um neue Perspektiven? 
       
       Es gibt beides. In Hamburg sind die neuen Methoden eine Besonderheit. Es
       gibt einige Forschungseinheiten, die sich mit der Erforschung von Schrift
       und Schriftartefakten auseinandersetzen. Aber wir haben eine eigene
       naturwissenschaftliche Forschungsabteilung, die auch eigene, nicht invasive
       Methoden entwickelt. Das ist eine große Herausforderung. Sie können ja
       nicht einfach ein Stück von einem Pergament abschneiden, sie dürfen von
       historischen Artefakten keine Proben nehmen. Auch hier ist die
       Zusammenarbeit mit der Staatsbibliothek enorm wichtig.
       
       Weil man durch die Probenentnahme Kulturgüter schädigt? 
       
       Genau, das Ganze muss nicht invasiv sein, und da sind wir deutlich
       vorangekommen, mit [5][Ramanspektroskopie], mit multispektralen Aufnahmen,
       aber auch mit DNA-Proben, die man nehmen kann, ohne das Schriftstück zu
       schädigen. Das Forschungszentrum Desy hat für uns und die Staatsbibliothek
       zum Beispiel [6][Tontafeln mit Keilschrift] aus dem vierten Jahrtausend vor
       Christus untersucht. Diese Tafeln sind oft von einer Hülle umgeben, die
       musste man zerstören, um überprüfen zu können, ob der Keilschrifttext außen
       mit dem in der Hülle übereinstimmt, also nicht verändert wurde. Wir können
       nun die innere Tafel anschauen, ohne die äußere Hülle zu zerstören.
       
       Und die neuen Perspektiven? 
       
       Man kommt auch bei altem Material immer auf Neues, wenn man neue Fragen
       stellt, zum Beispiel Gender-Perspektiven einbaut. Wir versuchen, den
       Blickwinkel zu ändern, indem wir uns nicht nur den Text, sondern das ganze
       Objekt anschauen. Und neue Perspektiven gewinnt man auch, wenn man aus dem
       eigenen Forschungsbereich herausgeht. Wir kommen im [7][Exzellenzcluster
       „Understanding Written Artefacts“] aus über 40 verschiedenen Fächern, wir
       haben zum Beispiel Indolog:innen, Islamwissenschafter:innen,
       Kunsthistoriker:innen, Chemiker:innen, ich bin Althistorikerin. So
       entwickeln sich in der Zusammenarbeit immer neue Ideen für Fragen. Stück
       für Stück kommt man zu neuen Perspektiven. Das ist es auch, was wir mit
       dieser Ausstellung zeigen wollen: Es gibt immer rote Fäden, die die Stücke
       miteinander verbinden.
       
       9 Jul 2023
       
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