# taz.de -- Franz Radziwill-Stück in Oldenburg: Theater outet Antisemiten
       
       > Das Oldenburgische Staatstheater widmet dem Maler Franz Radziwill eine
       > theatrale Werkschau. Darin belegt: bislang unbekannte antisemitische
       > Äußerungen.
       
 (IMG) Bild: Investigatives Theater hinterm Gaze-Vorhang: Szene aus Oldenburgs Radziwill-Stück
       
       „Wir standen also vor der Wahl zwischen falsch und falsch“: So heißt es zum
       Höhepunkt vom Bühnenrand – „und haben uns für falsch entschieden“. Dann
       läuft ein Interview vom Band, das der [1][Maler Franz Radziwill] im März
       1982 gegeben hat. Im Playback nachgespielt, spricht der alte Mann
       eineinhalb Jahre vor seinem Tod über die Juden, im Nazijargon von dem
       „unruhigen Volk“, das an seiner Vernichtung letztlich selbst schuld gewesen
       sei.
       
       Auch der erschrockene Interviewer ist zu hören: Mehrfach lädt er den
       Künstler ein, das vielleicht ja doch nur so Dahingesagte zu relativieren.
       Im letzten Anlauf versucht er es über Empathie: Was, wenn er nun selbst
       Jude gewesen wäre, also Radziwill, damals im „Dritten Reich“? Aber nein –
       und da klingt der bis dahin eher fahrig und altersverwirrt scheinende Maler
       dann doch sehr entschieden: Das Jüdische, das sei ihm völlig wesensfremd!
       
       Sätze wie diese waren von Radziwill bislang unbekannt, sowohl der
       Kunsthistorie als auch der Familie des Malers, dem das Oldenburgische
       Staatstheater zum 40. Todesjahr das Stück „Radziwill oder der Riss durch
       die Zeit“ gewidmet hat. Der Journalist mit dem Tonbandgerät hatte das
       Gespräch damals nicht veröffentlicht, aber aufgehoben – und nun dem
       Produktionsteam um Regisseurin Luise Voigt zur Verfügung gestellt. Was auch
       heißt: Das Stück war längst in der Entwicklung, kann also kaum im Verdacht
       stehen, als Vorwand dieser Enthüllung von Radziwills Antisemitismus
       herumkonstruiert zu sein.
       
       Es klingt auch tatsächlich sehr aufrichtig, dieses Ringen um die richtige
       falsche Entscheidung: Entweder den Antisemitismus weiter totzuschweigen
       oder aber einen alten Mann bloßzustellen, der wenige Minuten zuvor schon
       nicht mehr in der Lage war, sich zu erinnern, in welchem Museum sein
       Hauptwerk noch gleich hängt. Das ist eine ethische Frage, aber eben auch
       eine ästhetische, die den Charakter des ganzen Stücks betrifft, mit dem man
       ja offensichtlich etwas ganz anderes vorhatte.
       
       ## Aufrichtiges Ringen
       
       Und nun ist das Interview eben drin, als eins von unzähligen Fragmenten,
       die auf der Bühne nebeneinander stehen, mal widersprüchlich, mal
       richtiggehend miteinander kollidierend. Da wäre zunächst das Biografische:
       Radziwills Maurerlehre in Bremen, sein Wirken in Dresden, wo Otto Dix ihn
       porträtiert und er selbst nicht so recht Fuß fasst zwischen [2][Neuer
       Sachlichkeit], kritischem Realismus und romantischen Nachwehen.
       
       Natürlich ist Dangast am Jadebusen Thema, wo Radziwill zur Natur fand und
       zum Licht und den intensiven Farben, die sein Werk bestimmen und seinen
       schwer zu fassenden surrealen Einschlag in die Landschaftsmalerei
       ausmachen. Na ja, und natürlich ist auch vom Krieg die Rede.
       
       Fürs Auge ist schlichtweg bezaubernd, wie Stefan Bischoffs Videographie
       zahlreiche Gemälde Radziwills auf Maria Strauchs Bühne holt. Projiziert auf
       Perspektive schaffende Riesenwände werden sie begehbar von
       Schauspieler:innen in Kostümen seiner Figuren. Selbst wo Bildelemente
       animiert werden, sich drehen oder über die Wände fliegen, scheint das stets
       sehr darauf bedacht, bereits auf der Leinwand angelegte Bewegungsmomente
       aufzugreifen.
       
       Doch vor allem einer sperrt sich gegen diese Bildrekonstruktion:
       Schauspieler Thomas Lichtenstein, der einen alten und zugleich sonderbar
       zeitlosen Radziwill verkörpert. Im strengen grau-braunen Anzug
       interpretiert er mal im Playback eingespielte Interviews, meldet sich aber
       wieder auch selbst in langen Zitaten zu Wort – „über spitze Steine
       stolpernd“, wobei die Mundart hier in Oldenburg bemerkenswerterweise gar
       nicht so besonders regionalisierend wirkt, sondern eher aufs Alter
       verweist. Weil heutzutage eben auch hier kaum noch wer so spricht – es aber
       trotzdem jede:r von früher noch kennt.
       
       Gespenstisch fühlt sich das an, überhaupt die ganze Produktion über den
       Künstler und Menschen, der wie aus der Zeit gefallen zwischen seinen
       Bildern, seinen Zitaten und Erlebnissen herumgeistert. Gewirkt hätte das
       wohl auch ohne den etwas bemüht heran zitierten Shakespeare: „The time is
       out of joint“, heißt es mehrfach auf Englisch in den Worten, mit denen
       Hamlet die Geistererscheinung seines toten Vaters beschreibt.
       
       Es wirkt jedenfalls eher sphärisch als historisch, wenn Lichtenstein auf
       Radziwills riesenhaften Stahlhelm klettert, Licht über die Backsteinwände
       norddeutscher Vorkriegsstädte wandert, oder die Industrialisierung am Deich
       einsetzt. Handlung gibt es nicht, dafür allerlei assoziative und
       reflektierende Textbrocken: Auszüge philosophischer Einlassungen von
       Giorgio Agamben oder Alexander Kluge etwa zur Zeitlichkeit im Großen und
       Ganzen.
       
       Dass Radziwills Verhältnis zum Nationalsozialismus auch vor dem Stück schon
       schwierig war, kommt selbstredend auch vor; am prägnantesten in einer
       Büttenrede über Weser-Ems-Gauleiter Carl Röver, der in den ersten Jahren
       mit Erfolg versuchte, von Oldenburg aus die Kulturpolitik des
       Nationalsozialismus maßgeblich zu gestalten: Ob er nun [3][„Thingstätten“
       im Umland] errichten ließ, oder eben die schützende Hand hielt über
       anderswo bereits als „entartet“ geltende Künstler – wie Franz Radziwill.
       
       ## Bis zum Hals im Diskurs
       
       Das ist viel Stoff, manchmal mehr als die Klammer Radziwill zu fassen
       vermag: Klima-Aktivismus kommt vor, [4][auf ein Gemälde geklatschter
       Kartoffelbrei] und die inzwischen doch eher klischeehaft unterstellte
       Ratlosigkeit einer „Generation Y“, zu der schließlich auch die Regisseurin
       und große Teile des Ensembles zählen.
       
       Ähnlich unerwartet, aber deutlich produktiver dockt man an zeitgenössische
       Popfragen an: Retromanie etwa und die Phantome ausgebliebener Zukünfte.
       Ganz besonders dürfte das an Frederik Werths Sounddesign liegen, Der
       schafft hier einen musikalischen Raum, durchzogen von verblassenden und
       darum eben trügerischen Erinnerungen an die elektronische Musik der
       1980er-Jahre durchzogen.
       
       „Radziwill oder der Riss durch die Zeit“ ist nicht die Biografie, die der
       Anlass erwarten ließ – aber sehr viel mehr als die begehbare Werkschau,
       nach der es sich zunächst anfühlt. Dass der Abend sich wegen seiner
       Überfülle nicht reibungslos einfügt ins nicht zuletzt touristisch
       erschlossene Radziwill-Programm zwischen dem berühmten Künstlerhaus in
       Dangast und dem Oldenburgischen Landesmuseum, macht ihn gerade besonders
       interessant.
       
       Und eben auch wegen der „falschen Entscheidung“ dürfte er gute Chancen
       haben, von nun an mitzuspuken im wieder etwas aufregender gewordenen
       Diskurs um diesen sonderbaren Maler und verwandte Gespenster.
       
       22 Feb 2023
       
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