# taz.de -- Nancy Faesers Zukunft: Ministerin auf dem Sprung
       
       > Bundesinnenministerin Nancy Faeser galt als Hoffnungsträgerin der
       > Ampel. Nun dürfte sie SPD-Spitzenkandidatin in Hessen werden. Kann das
       > gutgehen?
       
 (IMG) Bild: Bundesinnenministerin Nancy Faeser
       
       Wiesbaden/Berlin taz | Es war im November vergangenen Jahres, als sich
       Nancy Faeser offensichtlich angekommen fühlte. „Lieber Holger“, begrüßte
       sie Holger Münch, den Präsidenten des Bundeskriminalamts, als sie in
       Wiesbaden hinter dem Pult seiner Herbsttagung stand. Forschen Schrittes
       hatte sie die große Bühne betreten. Nun gab sie Münch mit auf den Weg, er
       solle den BKA-Beamten ihren herzlichen Dank für deren Arbeit ausrichten.
       Und Münch dankte der „lieben Nancy“ zurück: Das werde er ausrichten.
       Betonte Vertrautheit, auf offener Bühne.
       
       Das war das eine Signal. Aber es gab noch ein zweites. Denn Faeser hätte
       auf dem BKA-Podium über den Krieg in der Ukraine reden können, über
       Cybercrime oder die „Heißer Herbst“-Proteste. Sie wählte: organisierte
       Kriminalität. „Wir müssen diese Strukturen dauerhaft zerschlagen“, rief die
       Bundesinnenministerin in den Saal. Ein Punkt sei ihr dabei „besonders
       wichtig“: die „Clankriminalität“. Diese sei „absolut inakzeptabel“, niemand
       stehe über dem Recht. „Und das müssen diese Leute lernen – wenn es sein
       muss, auf die harte Tour.“
       
       Es klang nach neuen Tönen von Nancy Faeser. Nach klarer Kante, Law and
       Order. Ganz anders als der Sound, mit dem Faeser zu Amtsbeginn aufwartete.
       Und er war wohl bewusst gewählt, gerade hier beim BKA in Wiesbaden. Denn
       womöglich richtete sich auch da schon Faesers Blick nach Hessen.
       
       Denn am 8. Oktober wird in dem Bundesland gewählt. Und kaum noch einer
       zweifelt daran, dass Faeser, die gebürtige Hessin und unangefochtene
       SPD-Landeschefin, jetzt am Freitag auf dem SPD-„Hessengipfel“ ihre
       Spitzenkandidatur erklärt. Die 52-Jährige selbst weicht seit Wochen dieser
       Frage aus. In ihrem Umfeld aber gibt es zu Faesers Kandidatur keinen
       ernsthaften Widerspruch mehr. Ein von der Partei aufgebauter
       Alternativkandidat existiert nicht. Bereits im November soll die hessische
       SPD-Führung als eines der großen Wahlkampfthemen vereinbart haben: die
       innere Sicherheit.
       
       Faeser ist zudem weiter in Hessen verwurzelt. An Wochenenden pendelt sie
       nach Schwalbach bei Frankfurt am Main, wo sie seit der Geburt lebt, nur vom
       Jura-Studium in Frankfurt unterbrochen. Mann und Sohn wohnen in der
       15.000-Einwohner-Stadt im Vordertaunus, unmittelbar an der Frankfurter
       Stadtgrenze. Faeser ist bekennender Eintracht-Fan. Und wie hatte sie im Mai
       2022 auf dem hessischen SPD-Parteitag gesagt, als sie als Landeschefin
       wiedergewählt wurde? „Mein Herz ist in Hessen.“ Und sie werde dafür
       kämpfen, dass das Land „wieder rot“ werde.
       
       ## Keine makellose Bilanz als Innenministerin
       
       Aber die Sache wirft mehrere Probleme auf. Denn offenbar ist Faeser
       gewillt, auch als Wahlkämpferin weiter Bundesinnenministerin zu bleiben –
       und soll dafür auch den Segen des Kanzlers haben. Aber geht das, mit einem
       Ministerium, das ständig in Alarmbereitschaft ist? Ein Sieg in Hessen, nach
       24 Jahren CDU-Regierung, wäre zweifelsohne ein Coup für die SPD. Aber der
       ist keineswegs ausgemacht. In letzten Umfragen lag die CDU vorne, auch die
       Grünen setzen auf Sieg. Und Faesers Bilanz als Innenministerin, mit der sie
       in den Wahlkampf ginge, ist nicht makellos. Verliert sie am Ende, könnte
       sie wieder dort landen, wo sie zuvor war: in der hessischen Opposition.
       
       Es war eine echte Überraschung, als Scholz damals Faeser für sein
       Ampelkabinett vorstellte – als erste Innenministerin der Bundesrepublik. 18
       Jahre lang hatte Faeser in Hessen SPD-Innenpolitik gemacht, sich als
       Aufklärerin des NSU-Terrors und Polizeikennerin profiliert. Am Ende war sie
       Fraktions- und Landeschefin. Nun sollte sie in Berlin einiges anders machen
       als ihr CSU-Vorgänger Horst Seehofer.
       
       Und das klappte, zunächst. Faeser erklärte den Kampf gegen den
       Rechtsextremismus als „ihr besonderes Anliegen“. Sie versprach im Bundestag
       Serpil Temiz Unvar, die beim Hanau-Anschlag ihren Sohn verlor, persönlich
       Aufklärung zu dem Attentat. Am Jahrestag reiste sie nach Hanau, hielt die
       Hand einer Angehörigen. Später verkündete Faeser einen Aktionsplan gegen
       Rechtsextremismus, versprach auch in der Migrationspolitik „einen neuen
       Geist“. Deutschland sei „ein Einwanderungsland“, nun müsse es auch „ein
       besseres Integrationsland“ werden.
       
       Und Faeser war und ist sehr präsent. Sie veröffentlichte Aktionspläne und
       Strategiepapiere. Sie besuchte Bundespolizist:innen, Feuerwehrleute,
       Ordnungsämter, ukrainische Geflüchtete, Gewerkschafter, den Vorsitzenden
       der Deutschen Bischofskonferenz. Sie reiste nach Israel, Brüssel oder zur
       WM nach Katar. Sie fuhr nach Mecklenburg-Vorpommern, als dort eine
       Geflüchtetenunterkunft niederbrannte, oder erst dieser Tage ins
       schleswig-holsteinische Brokstedt, wo ein Mann zwei junge Menschen in einem
       Zug erstochen und weitere verletzt hatte.
       
       Bei alldem vergaß Faeser nie, sich bei den Einsatzkräften zu bedanken. Und
       tatsächlich hat sie einen guten Draht zur Polizei, auch jenseits von
       BKA-Chef Münch. Schon in Hessen besuchte sie Wachen, forderte mehr Personal
       und bessere Ausrüstung. Als Innenministerin schuf sie nun 2.000 neue
       Stellen für die Bundespolizei, versprach mehr Befugnisse und höhere
       Pensionen.
       
       Polizeivertreter loben, dass sich die Sozialdemokratin ernsthaft für ihre
       Belange interessiere – was bei Seehofer, der sich gerne zurückzog, nicht
       immer klar gewesen sei. Auch Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang kann
       gut mit Faeser. Bremste ihn Seehofer etwa bei der Beobachtung der AfD aus,
       liegt Haldenwang mit Faeser nun auf einer Linie. Sie nannte die AfD schon
       zu Hessen-Zeiten „Feind der Demokratie“.
       
       Und dennoch wurde es zuletzt auch in der Ampel unruhig. Denn woran es lange
       fehlte, waren konkrete Maßnahmen und Gesetzentwürfe. Sieben Monate dauerte
       es, bis Faesers Ministerium einen ersten wirklichen Aufschlag machte – mit
       dem ersten Teil ihres „Migrationspakets“, das Kettenduldungen beenden und
       den Zuzug von Fachkräften erleichtern soll. Auch zu Faesers
       Rechtsextremismus-Aktionsplan, der „kurzfristige“ Maßnahmen ankündigte,
       folgten erst zum Jahreswechsel Gesetzentwürfe, hier zum Disziplinar- und
       Waffenrecht. Und den Verbotsreigen von Seehofer in der rechtsextremen Szene
       setzte Faeser bisher auch nicht fort – obwohl sie „Netzwerke zerschlagen“
       wollte.
       
       Ganz überraschen kann das nicht. Faeser kam von der hessischen
       Oppositionsbank, hatte nie zuvor eine Behörde geführt. Nun steht sie an der
       Spitze eines Großministeriums mit gut 2.000 Bediensteten und 19
       unterstellten Behörden – das zuvor 16 Jahre lang in der Hand der Union war.
       Und das den Ruf genießt, ein Eigenleben zu führen.
       
       ## Ausnahmezustand im Innenministerium
       
       Zudem traf auch Faesers Ministerium der Krieg in der Ukraine unvermittelt:
       Am 24. Februar 2022 wollte sie eigentlich ein Diskussionspapier zum
       Demokratiefördergesetz präsentieren, da begann Russland seine Angriffe.
       Faeser sagte die Pressekonferenz ab. Und musste plötzlich die Aufnahme von
       Hunderttausenden Geflüchteten koordinieren, über Hilfslieferungen und
       Grenzkontrollen entscheiden, später reiste sie nach Kiew. Ein
       Ausnahmezustand, auch in ihrem Haus.
       
       So blieb in Faesers Ministerium lange erst mal einiges beim Alten. Auch
       Monate nach ihrem Antritt waren noch etliche Leitungsposten mit denselben
       Leuten wie unter Seehofer besetzt. Heute sind es noch die Hälfte der
       Abteilungsleiter:innen, die zentrale Bereiche wie Öffentliche Sicherheit,
       Migration oder Digitales führen. Bei den
       Unterabteilungsleiter:innen sind es gar 17 von 20.
       
       Und bei den Staatssekretär:innen blieb ausgerechnet der Posten für
       Migration fast ein Jahr lang vakant – die Arbeit wurde von anderen
       Staatssekretären und dem hausinternen Ukraine-Krisenstab miterledigt.
       Selbst Seehofers Heimatabteilung blieb erhalten – sie soll sich nun um
       gleichwertige Lebensverhältnisse oder politische Bildung kümmern.
       
       Dazu schasste Faeser im Oktober Arne Schönbohm, den damaligen Chef des
       Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), wegen
       vermeintlicher Russlandnähe. In Zeiten des Ukrainekriegs sollte hier nicht
       der Hauch eines Verdachts entstehen. Konkrete Verfehlungen von Schönbohm im
       Dienst bleibt Faeser indes bis heute schuldig, der BSI-Personalrat schrieb
       erboste Briefe. Und die Leitung des BSI, das bundesweite Zentralstelle für
       IT-Sicherheit werden soll, ist bis heute vakant.
       
       Dabei hatte sich die Ampel einiges vorgenommen. Eine
       „grundrechtsorientierte Sicherheitspolitik“ wurde im Koalitionsvertrag
       versprochen, ohne Massenüberwachung, wissenschaftlich evaluiert. Ein
       progressiver Aufbruch. Nun aber klingt manches, was aus Faesers Haus
       kommt, als wäre es noch unter Seehofer entstanden: eine
       Cybersicherheitsstrategie, die liebäugelt mit Hackbacks, offensiven
       Gegenschlägen bei Cyberangriffen. Ein Hin und Her bei der Chatkontrolle,
       ein Bundespolizeigesetz, das den Beamten eine Quellen-TKÜ erlauben soll,
       ein Abgreifen von Kommunikation vor der Verschlüsselung – obwohl der
       Koalitionsvertrag genau das ausschließt.
       
       ## Faeser für umstrittene Vorratsdatenspeicherung
       
       Dazu forderte Faeser zuletzt, mit Verweis auf den Kampf gegen
       Kindesmissbrauch, offensiv die Vorratsdatenspeicherung ein – die Grüne und
       FDP vehement ablehnen. Auch will die Sozialdemokratin eine
       „Rückführungsoffensive“, will Frontex stärken – oder sich eben kriminelle
       „Clans“ vorknöpfen. Nach den Silvesterkrawallen sprach Faeser von
       migrantischen „Integrationsverweigerern“, die Klebeaktionen der Letzten
       Generation nannte sie „völlig inakzeptabel“, die Barrikadenbauer in
       Lützerath „verantwortungslos“. Und in Brokstedt fragte sie, warum der
       palästinensische Messerstecher überhaupt noch im Land sei. Da war sie
       wieder, die Law-and-Order-Nancy.
       
       Bei Grünen und FDP verfolgt man das zunehmend frustriert. „Die Chance auf
       einen progressiven Neuanfang in der Innenpolitik, die wurde bisher nicht
       genutzt“, klagt ein Grünen-Fraktionär. „Es wirkt, als hätten Faesers
       Fachabteilungen noch nicht begriffen, dass es einen Neuanfang gibt. Das
       Ministerium muss endlich anfangen, den Koalitionsvertrag umzusetzen.“ Auch
       in der FDP ist von einer „dürftigen Bilanz“ Faesers die Rede.
       
       ## Ambitionierte Gesetzentwürfe, die Zeit brauchen
       
       In Faesers Ministerium wird dagegen nicht nur auf die Belastung durch den
       Ukrainekrieg verwiesen, sondern auch darauf, dass die vereinbarten
       Gesetzentwürfe eben ambitioniert seien und ihre Ausarbeitung Zeit brauche.
       Die Schlagzahl der Gesetze werde, wie immer, in der zweiten Hälfte der
       Legislatur zunehmen. Nur: Auch ihrer eigenen „Vorhabenplanung“ hinkt
       Faeser hinterher. So sollte das Waffenrecht nach taz-Informationen
       eigentlich schon im Herbst als Thema im Kabinett sein, ebenso eine Reform
       des Nachrichtendienstrechts oder die Streichung des Rasse-Begriffs aus dem
       Grundgesetz.
       
       Und auch mit ihren bisherigen Vorstößen verhakelt sich Faeser regelmäßig in
       der Ampel. Bei der Vorratsdatenspeicherung halten FDP und Grüne hart
       dagegen. Den Alternativvorschlag eines Quick Freeze, bei dem Daten nur
       anlassbezogen und in kleinerem Umfang gespeichert werden, lehnt wiederum
       Faeser ab. Beim Waffenrecht oder erleichterten Einbürgerungen blockieren
       die Liberalen. Strafverschärfung für „Hinterhalte“ gegen Einsatzkräfte
       sehen Grüne wie FDP kritisch. Faeser verweist derweil auf akuten
       Handlungsbedarf – seien es Angriffe auf Einsatzkräfte in der Berliner
       Silvesternacht oder bewaffnete Reichsbürger.
       
       Grüne und FDP kritisieren das – Faeser falle wieder in den Modus, nach
       jedem Vorfall neue Befugnisse oder Strafverschärfungen zu fordern. Ein
       Reflex, aus dem die Ampel eigentlich raus und lieber auf wissenschaftliche
       Fakten setze wollte. „Und sie sucht Konflikte, die sie absehbar verliert“,
       wundert sich ein führender Liberaler. Vor allem aber: Faeser stimme sich zu
       wenig in der Ampel ab. Ankündigungen halte sie nicht ein. Einige
       Gesetzentwürfe würden schon öffentlich diskutiert, bevor diese die anderen
       Ministerien oder Ampelfraktionen erreichten. Selbst der
       Rechtsextremismus-Aktionsplan sei nicht vorab abgestimmt gewesen. Auch beim
       internen Frühstück mit den Koalitionsfraktionen bleibe Faeser vage,
       zeitweise ließ sie es ganz ausfallen.
       
       Faeser aber zeigt sich unbeirrt. Das verschärfte Waffenrecht versucht sie
       nun durchzudrücken – sie sieht es auch als Lehre aus dem Hanau-Anschlag, wo
       der Attentäter legal Waffen besaß, trotz psychischer Auffälligkeiten. Und
       bei der Vorratsdatenspeicherung weiß sie nicht nur die Polizei, sondern
       auch den Kanzler hinter sich. Zudem steckt hinter ihren Vorstößen wohl auch
       Kalkül: keine offene Flanke bei der Sicherheit für die Union lassen. Was
       bisher tatsächlich ganz gut klappt.
       
       ## Auf ein Selfie mit Nancy
       
       Und Faeser kann ja durchaus Leute einnehmen, wie sie bei ihren Auftritten
       beweist. Nach der Silvesterrandale in Berlin besucht sie eine Feuerwache in
       Neukölln, auf ihren eigenen Wunsch hin. Zunächst hört sie hinter
       verschlossenen Türen zu, an einem langen Tisch im Pausenraum, wie
       Feuerwehrleute von Böller- und Raketenbeschuss berichten, von
       Schreckschusspistolen, die ihnen ins Gesicht gehalten wurden. Danach stellt
       Faeser sich vor die Kameras, fordert harte Strafen und mehr Prävention. Die
       Feuerwehrleute sind zufrieden. „Ich glaub, es ist angekommen, was wir
       gesagt haben“, lobt einer. Ein anderer fragt Faeser nach einem Selfie. Über
       ihr Gesicht huscht ein Lächeln. „Natürlich.“
       
       Oder vor wenigen Tagen erst in Berlin-Friedrichshain, bei einer
       Veranstaltung der lokalen SPD-Bewerberin für das Abgeordnetenhaus. Ein
       kleiner Ladenraum, enge Stuhlreihen mit rund 30 Zuhörenden, viele mit
       Einwanderungsgeschichte – ein Heimspiel. Faeser wirkt entspannt, sie
       fordert doppelte Staatsbürgerschaften, leichtere Einwanderungsregeln,
       freundlichere Ausländerbehörden. Immer wieder erntet sie Nicken und
       Applaus.
       
       Bis ein SPD-Mann, geboren in Bosnien-Herzogowina, von seinem jahrelangen
       Kampf um einen Aufenthaltstitel in Deutschland berichtet. Und beklagt, auch
       „progressive Politiker“ müssten auf ihr „Wording“ achten. Ein Gerede von
       „Integrationsverweigerern“ tue „unglaublich weh und triggert ganz viele
       Menschen wie mich“. Faesers Lächeln verschwindet, aber sie nimmt nichts
       zurück.
       
       „Man muss Probleme benennen können. Und wir hatten Silvester Probleme“,
       antwortet sie. Viele Angreifer auf Einsatzkräfte seien eben Migranten
       gewesen – aber auch viele der Opfer. Ein syrischer Feuerwehrmann habe ihr
       davon berichtet. „Wir brauchen eine Kultur, in der man so etwas ansprechen
       kann“, sagt Faeser. „Und in der klar ist, dass damit nicht alle gemeint
       sind.“ Der SPD-Mann von der Basis zieht die Augenbrauen hoch. Es scheint
       nicht die Antwort, die er erhofft hatte.
       
       Dabei sind diese Töne von Faeser gar nicht so neu. Auch in Hessen forderte
       sie schon vor Jahren die Vorratsdatenspeicherung, kritisierte im besetzten
       Dannenröder Forst Angriffe auf Polizisten „aufs Schärfste“. In der SPD
       zählt sie zum konservativen Flügel, was für eine einstige Anwältin einer
       Wirtschaftskanzlei im Frankfurter Bankenviertel auch keine Überraschung
       ist. Die Hoffnung, Faeser würde alles anders machen, sie war auch
       Projektion. Und wohl nicht ohne Grund machte Scholz, der mit seiner
       Hamburger Linie für innenpolitische Härte steht, gerade Faeser zur
       Innenministerin.
       
       ## Andere Akzente als Seehofer gesetzt
       
       Und doch zeigt gerade der Vergleich zu ihrem Vorgänger Seehofer, dass
       Faeser eben auch andere Akzente setzt. Benannte der CSU-Mann noch Migration
       als „Mutter aller Probleme“, legte Faeser Gesetzentwürfe vor, die
       Einbürgerungen erleichtern, doppelte Staatsbürgerschaften erlauben oder
       bessere Zugänge zu Integrationskursen schaffen. Sie legte ein
       Afghanistan-Aufnahmeprogramm auf – wenn auch dieses verspätet kam und
       momentan hakt.
       
       Sie gewährte queeren Geflüchteten mehr Schutz, sie brachte zusammen mit dem
       Familienministerium nach jahrelangen Diskussionen das
       Demokratiefördergesetz auf den Weg. Vor ihrem Ministerium ließ Faeser
       erstmals die Regenbogenfahne hissen. Und sie wendet den Blick bewusst immer
       wieder auf Betroffene extremistischer Gewalt, traf sich wiederholt mit
       Hanau-Angehörigen, auch ohne Kameras.
       
       Es ist dieses Profil, mit dem Faeser in den hessischen Wahlkampf gehen
       könnte: Empathie und Härte, alle Seiten mitnehmen. Um den Konservativen die
       hessische Staatskanzlei abzujagen, wäre das wohl auch nötig. Und dem
       Vernehmen nach sieht Scholz kein Problem darin, wenn Faeser im Wahlkampf
       Bundesinnenministerin bliebe. Allein durch das Amt hätte sie eine ganz
       andere Präsenz und Bühne.
       
       Die hessischen Grünen warnen Faeser indes bereits, das Innenministerium sei
       „kein Teilzeitjob“. Auch die CDU hält Faeser schon jetzt für „am Limit“.
       Erinnert wird auch an den Fall Nobert Röttgen, der 2012
       Bundesumweltminister war und CDU-Ministerpräsident in NRW werden wollte,
       ohne sich für den Fall einer Niederlage festzulegen – am Ende wurde er von
       Merkel aus dem Kabinett geschmissen.
       
       In der SPD wird auf andere Fälle verwiesen, etwa auf Manfred Kanther (CDU),
       der 1995 auch Bundesinnenminister und Spitzenkandidat bei der Hessenwahl
       war. Oder Armin Laschet, zuletzt NRW-Ministerpräsident und
       CDU-Kanzlerkandidat. Fast jeder Spitzenpolitiker kandidiere doch aus einem
       Amt heraus, heißt es von Sozialdemokraten. Und: Es könne ja wohl kein
       Zweifel bestehen, dass Faeser engstens mit Hessen verbunden sei.
       
       ## Wahlniederlage in Hessen wäre schweres Problem für Faeser
       
       Dennoch dürfte spätestens eine Wahlniederlage dort Faeser schwere Probleme
       bereiten. Hartmut Hudel glaubt, dass es anders kommt. Der pensionierte
       Jurist ist Vizechef der SPD in Schwalbach. Seine Vorsitzende seit 1996:
       Nancy Faeser. Schon ihr Vater war in Schwalbach Bürgermeister, ihr Ehemann
       ist derzeit SPD-Fraktionschef der Stadtverordnetenversammlung. Den Job als
       Innenministerin mache Faeser sehr gut, befindet Hudel am Telefon.
       „Entschlossen, authentisch, mit Leidenschaft. Sie hat einen Kampf gegen den
       Rechtsextremismus versprochen und das löst sie ein.“ Law and Order? Hudel
       winkt ab. „Sie sagt, was ist. Und sie hat die sachliche Ebene doch nie
       verlassen.“
       
       Seit Faeser Innenministerin ist, sei sie natürlich nicht mehr so oft im
       Ortsverband. Aber er halte Kontakt, sagt Hudel, per Whatsapp oder E-Mail.
       Erst zu Monatsbeginn tauchte Faeser beim SPD-Neujahrsspaziergang in
       Schwalbach auf. Mit 30 Leuten und drei Hunden ging es zu einem
       Waldgasthaus. Faeser sei „wie immer“ gewesen, sagt Hudel. „Sehr zugewandt,
       sehr offen. Die Bodenhaftung ist zu 100 Prozent da.“
       
       In Faesers weitere Pläne sei er nicht eingeweiht, behauptet Hudel. Auch
       beim Spazierengehen: kein Wort dazu. „Ich will da nicht immer nachbohren.“
       Aber sollte Faeser Ministerpräsidentin werden wollen, würde das gut
       passen, findet Hudel. „Sie kann ja sehr gut auf Leute zugehen und kennt die
       hessische Politik in- und auswendig.“ Eine Kandidatur und ein paralleles
       Ministeramt wären sicher anspruchsvoll. Andererseits beweise Faeser ja seit
       Jahren, dass sie vieles vereinbaren könne.
       
       Und wenn seine Parteifreundin am Ende doch verlöre? Er wolle da nicht
       spekulieren, sagt Hudel. Doch wenn sie „wirklich“ anträte, „würde sie auch
       gewinnen“. Der SPD-Mann verweist wieder auf Schwalbach, wo seine Partei
       2021 bei der letzten Kommunalwahl vorne lag – mit 35 Prozent. „Obwohl das
       hier eine konservative Ecke ist.“ Gelungen, sagt Hudel, sei das eben mit
       Faesers Erfolgsrezept: „Pragmatismus und nah an den Leuten.“
       
       30 Jan 2023
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Konrad Litschko
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Nancy Faeser
 (DIR) Bundesinnenministerium
 (DIR) Ampel-Koalition
 (DIR) Landtagswahl in Hessen
 (DIR) Vorratsdatenspeicherung
 (DIR) GNS
 (DIR) Vorratsdatenspeicherung
 (DIR) Nancy Faeser
 (DIR) SPD
 (DIR) Ampel-Koalition
 (DIR) Kassel
 (DIR) Netzüberwachung
 (DIR) BSI
 (DIR) Nancy Faeser
 (DIR) Nancy Faeser
 (DIR) Nancy Faeser
 (DIR) Nancy Faeser
 (DIR) Waffenrecht
 (DIR) Polizei
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Anlasslose Datenspeicherung: Klagen ist überflüssig
       
       Grüne Abgeordnete hatten in Karlsruhe gegen die Vorratsdatenspeicherung
       geklagt. Nun ziehen sie die Beschwerde zurück, noch ein Urteil sei unnötig.
       
 (DIR) Abgesetzter BSI-Chef ausgespäht?: Faeser wird Schönbohm nicht los
       
       Der Bundestag widmet sich in Sondersitzungen dem Fall des abberufenen
       BSI-Chefs Schönbohm – und die Innenministerin bleibt fern.
       
 (DIR) SPD-Spitzenkandidatin in Hessen: Faeser geht auf Attacke
       
       Bundesinnenministerin Nancy Faeser lässt sich zur SPD-Spitzenkandidatin für
       die Hessenwahl wählen – und muss die europäische Asylreform rechtfertigen.
       
 (DIR) Aktionsplan gegen Rechtsextreme: Maue Bilanz, softes Vorgehen
       
       Vor einem Jahr präsentierte Innenministerin Nancy Faeser ihren Aktionsplan
       gegen Rechtsextremismus. Nur wenig wurde umgesetzt. Auch die Ampel übt
       Kritik.
       
 (DIR) SPD-Niederlage in Hessen: Ein grüner Rathaus-Chef für Kassel
       
       Bei der OB-Wahl in Kassel gewinnt Amtsinhaber Geselle, ein Ex-SPDler, den
       ersten Wahlgang – und wirft wegen einer „Kampagne“ hin.
       
 (DIR) Digitalausschuss zu Überwachungsplänen: Kinderschutz mit Verschlüsselung
       
       Die EU-Kommission will persönliche Kommunikation scannen lassen. Im
       Digitalausschuss des Bundesrates zeigen sich Expert:innen nun ablehnend.
       
 (DIR) Claudia Plattner wird BSI-Präsidentin: Erste Frau und Tech-Expertin
       
       Mit Claudia Plattner beruft Innenministerin Faeser erstmals eine Frau an
       die Spitze der Cybersicherheitsbehörde. Seit November war der Posten
       unbesetzt.
       
 (DIR) Nancy Faeser kandidiert in Hessen: Sie pokert hoch
       
       Ohne ihren Posten als Bundesinnenministerin aufzugeben, kandidiert Faeser
       als Spitzenkandidatin in Hessen. Mit der Zweigleisigkeit geht sie ein
       doppeltes Risiko ein.
       
 (DIR) Hessen-Kandidatur der Innenministerin: Faeser will an die Spitze
       
       Die SPD-Politikerin will Ministerpräsidentin werden und weiterhin in Berlin
       bleiben. Die Konstellation gab es schon – mit unterschiedlichem Ausgang.
       
 (DIR) Bundesinnenministerin bei Landtagswahl: Nancy Faeser kandidiert in Hessen
       
       Die Bundesinnenministerin wird SPD-Spitzenkandidatin bei der Landtagswahl
       im Oktober. Ihr Amt in der Bundesregierung will sie weiter führen.
       
 (DIR) Als Konsequenz aus Silvesterkrawallen: Faeser will doch schärfere Strafen
       
       Die Innenministerin will Hinterhalte gegen Einsatzkräfte härter ahnden.
       Justizminister Buschmann und die Grünen sind aber skeptisch.
       
 (DIR) Verschärfung des Waffenrechts: Faeser macht Ernst
       
       Die Innenministerin will per Gesetz unter anderem gegen halbautomatische
       Waffen vorgehen. Die FDP und Lobbyverbände wollen das verhindern.
       
 (DIR) Verfassungsfeinde in den Behörden: Grüne Härte beim Disziplinarrecht
       
       Innenministerin Nancy Faeser will extremistische Beamte leichter aus dem
       Dienst entfernen. Den Grünen gehen die Pläne nicht weit genug.