# taz.de -- Braunkohle-Dorf Lützerath: Warten auf „Tag X“
       
       > Es ist alles vorbereitet: Die Polizeizellen klinisch rein, der Antrag auf
       > Vollzugshilfe gestellt. Doch mehr als 100 Menschen wollen nicht weichen.
       
 (IMG) Bild: Menschen vor Riesenschaufel
       
       Zuerst kommt man in diese Schleuse. Gittertor hoch, Polizeitransporter
       rein, Gitter wieder zu. Alles dicht, wie ein großer Käfig. Wir befinden uns
       in der Einfahrt der Gefangenensammelstelle im Aachener Polizeipräsidium.
       Das ist der Ort für die, wie es polizeideutsch heißt, Ingewahrsamnahme
       vorläufig Festgenommener, etwa beim bevorstehenden Räumungseinsatz im
       Braunkohledorf Lützerath.
       
       Polizeihauptkommissar Herbert Kreuzer ist der Leiter der GeSa, eine
       offizielle Abkürzung übrigens, wie ein Schild belegt, und nicht nur in der
       Szene der Braunkohlegegner üblich. „Jeder“, sagt Kreuzer freundlich, „hat
       hier den Anspruch, anständig behandelt zu werden. Das steht über allem.“ Er
       führt in die Räume für die erkennungsdienstliche Behandlung, ausgestattet
       mit Kamera und Fingerkuppenscanner, alles perfekt gleichmäßig
       ausgeleuchtet. Daneben Arztzimmer, Asservatenkammer und der lange Gang mit
       17 Einzelzellen und zwei Gruppenzellen für weitere 16 Personen.
       
       Die aseptischen Einzelzellen von acht Quadratmetern sind bedrückend steril:
       schmale Pritsche, Schaumstoff-Sitzwürfel, dauerverschlossene
       Milchglasfenster, eine Toilette aus Edelstahl ohne Deckel.
       
       Ein einzelnes grünes Licht brennt, Zelle 14, ein Festgenommener der letzten
       Nacht. Im Januar, zum erwarteten Lützerath-Einsatz, dürfte es hier deutlich
       voller werden: „Wir haben Schätzungen“, sagt Hausherr Kreuzer und fügt
       hinzu: „Aber Zahlen nennen wir nicht.“
       
       Herbert Kreuzer lässt seine Unterkunft fast wie ein Hotel erscheinen: „In
       der Küche gibt es selbstverständlich auch veganen Brotaufstrich. Und wenn
       jemand sich divers erklärt, gehen wir damit verantwortungsvoll um.“ Falls
       die knapp drei Dutzend Plätze nicht ausreichen sollten, sagt er, habe man
       weitere Räume vorbereitet. Nicht identifizierte Menschen, etwa aufgrund
       verklebter und verstümmelter Finger, können nach dem Polizeigesetz von
       Nordrhein-Westfalen bis zu sieben Tagen hier festgehalten werden. „Sechs
       Tage hatten wir auch schon mal.“
       
       In [1][Lützerath], 40 Kilometer nordöstlich, scheint anderntags eine
       freundliche Sonne. Seit zwei Jahren ist der Weiler von kaum einem halben
       Quadratkilometern Größe durch 100 bis 150 KlimafreundInnen besetzt, täglich
       kommen derzeit neue hinzu. Ein Symbolort, denn die Bagger graben schon
       direkt davor und daneben. Die Kohle unter Lützerath und weiter westlich
       dahinter soll für die Versorgungssicherheit zu Strom verbrannt werden, das
       haben Politik und RWE Anfang Oktober [2][beschlossen]. Lützerath rasieren
       heißt auch: Freie Fahrt für 280 Millionen Tonnen Kohlendioxid in die
       Atmosphäre. In den nächsten Tagen soll es losgehen.
       
       Emsiges Treiben herrscht auch heute rund um die zehn besetzten Häuser des
       Ortes, das weite Camp, die drei Dutzend Baumhäuser. Die ersten beiden
       Wohnwagen werden gerade weggefahren. Die kämen sonst nicht mehr raus vor
       der Abriegelung durch die Polizei und würden später sicher zertrümmert,
       heißt es. Bei einem Online-Meeting draußen im Bereich „Auenland“ besprechen
       die BewohnerInnen an einem langen Tisch gerade mit Initiativen aus anderen
       Städten letzte Dinge für Tag X, den Beginn der Räumung. Mit Sinn für
       Parodie: Am Kopfende hängt das schicke Bild einer Mitstreiterin, Hinweis
       darüber: „Mitarbeiter*in des Monats“. Ob sie die letzte ist?
       
       Eine Frau braucht Trost: Sie habe so ekelhaft von einer brutalen Räumung
       geträumt, dass sie jetzt seit zwei Tagen Magenschmerzen habe. Eine andere
       verweist auf eine prachtvolle doppelstämmige Linde, die heute das mächtige
       Gästebaumhaus trägt, „kommunaler Schlafort“ nennt sich das. Ein Förster
       habe das Alter des Baumes mit einer Kluppe bestimmt. Das Ergebnis: 372
       Jahre, Pflanzung also etwa im Jahr 1650.
       
       „Ich habe mal gegründelt, was das heißt“, sagt die Frau. „1648 war der
       [3][Westfälische Friede]. Damals wurden überall viele Friedenslinden
       gepflanzt. Und jetzt soll die hier weg wegen des Kriegs in der Ukraine.
       Welch böse Ironie.“
       
       Von den früheren Bewohnern lebt niemand mehr in Lützerath. Die etwa
       einhundert Menschen haben ihren Besitz verkauft, sind fortgezogen und
       wurden entschädigt.
       
       ## Abschied nehmen von Lützerath
       
       Von vielem hier gilt es Abschied zu nehmen, zumindest vorsorglich. Kann
       man, zumal als Außenstehender, um Reste eines Ortes trauern? Klar, kann
       man. Wie oft war man hier: Demos begleiten. Sonntagsspaziergänge mit dem
       Waldpädagogen Michael Zobel. Konzerte mit dem Politorchester Lebenslaute.
       Gespräche mit Landwirt [4][Eckardt Heukamp], einem früheren Bewohner, der
       im Herbst seinen Hof zwangsgeräumt hat nach langer Zeit des Widerstands.
       Derzeit lebt er zur Miete auf einem Hof drei Kilometer westlich.
       
       Abschied nehmen also: vorne von der Mahnwache aus Zelt und Wohnwagen, dem
       Info- und Kommunikationszentrum. Abschied auch von den vielen gelben
       Kreuzen, dem Symbol des Widerstands. Von Plakaten wie „Burn Shell not Oil“
       oder „Queer we go“ und dem hintersinnigen Richtungsschild „Ahrweiler 82
       km“. Vom großen Selbstversorger-Gemüsegarten mit „Pfützerath“ daneben, das
       ist die Wasserquelle nach einem Rohrbruch im RWE-Pumpsystem, die durch den
       trockenen Heißsommer half. Abschied auch von den bald 50 Quadratmetern
       Sonnenkollektoren, kürzlich von Greenpeace gespendet. Die wird man wohl
       auch schreddern wie die sieben Windräder auf den Feldern hinter Lützerath.
       
       Adieu auch den Hunderten Plüschtieren auf dem Erdwall, der das
       Betriebsgelände abgrenzt. Und dem bequemen grünen Fernsehsessel direkt an
       der Kante. Tief unten ist ein leise ratterndes Grundrauschen von den
       Förderbändern zu vernehmen. Die Bagger arbeiten unablässig. Bevor
       irgendwann einmal „renaturiert“ werden kann, wie es bei RWE gerne heißt,
       muss zuerst denaturiert werden.
       
       ## „Es wird nicht nur schöne Bilder geben“
       
       Zur GeSa-Besichtigung in Aachen war zwischendurch auch der örtliche
       [5][Polizeipräsident Dirk Weinspach] gekommen, der Einsatzleiter der
       anstehenden Räumung Lützerath. Sein Credo lautet: „Transparenz, Offenheit,
       Deeskalation. Wir haben nichts zu verbergen.“ Aber er weiß auch: „Es wird
       nicht nur schöne Bilder geben.“ So wie bei der gewaltsamen Räumung des
       Hambacher Waldes 2018, die der heute 63-Jährige ebenfalls verantwortete.
       Auch Weinspach spricht von Versorgungssicherheit und dem Ziel eines
       gesellschaftlichen Friedens ohne Blackouts.
       
       Grünen-Mitglied Weinspach hatte zwei Tage vor Weihnachten VertreterInnen
       der Parlamente bei sich im Präsidium, „auch Frau Henneberger“, wie er
       eigens erwähnt. Katrin Henneberger sitzt seit 2021 aus dem Wahlkreis
       Mönchengladbach für die Grünen im Bundestag und ist eine der emsigsten
       politischen Gegnerinnen der weiteren „bergrechtlichen Inanspruchnahme“, wie
       RWE Power seine Kohlegier umschreibt. Anders als in Hambach, so Weinspach,
       sei der Widerstand in den Garzweiler-Dörfern „stark bürgerlich geprägt“.
       
       Dirk Weinspach erklärt, er habe mit RWE ausgehandelt, dass auf Anzeigen
       wegen Hausfriedensbruch verzichtet werde, falls jemand zwar das
       Betriebsgelände betritt oder in Lützerath selbst aufgegriffen wird („das
       gehört ja alles RWE“), dann aber umgehend das Gelände verlässt. Und die
       große Demonstration am 14. Januar von BUND, Ende Gelände und anderen mit
       vielen tausend TeilnehmerInnen? „Selbstverständlich beachten wir das
       Versammlungsrecht. Die Demonstration kann in der Nähe von Lützerath
       stattfinden, mit Blickkontakt dahin. Über den genauen Ort gibt es noch
       Gespräche.“
       
       Großkundgebung am 14. Januar – daraus kann indirekt schlussfolgern, dass
       der Tag X erst danach kommt. Montag, der 16. Januar, gilt als vermutliches
       Datum.
       
       ## Drei Gutachten entschieden
       
       Den Räumungs-Countdown eingeleitet hatte Mitte Dezember der Heinsberger
       [6][Landrat Stephan Pusch] (CDU), indem er nach einigem Hickhack (der
       Erkelenzer Bürgermeister hatte sich geweigert) ein formelles
       „Vollzugshilfeersuchen“ an die Polizei richtete. Erleichtert schlagzeilte
       die Aachener Zeitung: „Pusch setzt Zeichen für den Rechtsstaat.“ Als wäre
       eine Entscheidung dagegen kein Zeichensetzen. Ein Leserbriefschreiber
       meinte: „Wer in diesem Prozess seine Unterschrift leistet, stellt die
       Weichen für eine Klimaentwicklung, bei der sich in wenigen Jahrzehnten die
       Frage nach einem Rechtsstaat vermutlich gar nicht mehr stellen wird.“
       
       Drei schnelle Gutachten haben über Lützerath entschieden. Alle drei
       Gutachterbüros beklagten den enormen Zeitdruck (teils nur 12 Tage), die
       schwierige Datenlage und die vagen Strompreisprognosen. Besonders absurd:
       Die Daten stammten maßgeblich von RWE selbst. Und: Die Gutachten bezogen
       sich teilweise aufeinander und wiederum auf alte RWE-Studien. Neben der
       Kohle geht es auch (viele sagen: vornehmlich) um riesige Mengen an Abraum,
       den man dringend zur späteren Böschungsabschrägung benötigt. Bis zur
       Jahrhundertwende sollen weite künstliche Seen entstehen mit Milliarden
       Kubikmetern Wasser, hergepumpt aus dem 30 Kilometer entfernten Rhein.
       
       Kann man den Abraum nicht woanders herschaffen? Nein, viel zu teuer, sagt
       RWE. Also sagen die Gutachten: Blieben Lützerath und das Land dahinter
       erhalten, bedrohe das die Versorgungssicherheit und auch die Stabilität des
       Tagebaus. Greenpeace spricht von „Gefälligkeitsgutachten mit dem
       gewünschten Ergebnis“.
       
       Vor vier Jahren kämpften die Grünen noch Seit’ an Seit’ mit den
       KlimaaktivistInnen gegen eine Räumung des Hambacher Waldes. Der
       nordrhein-westfälische Landesverband veranstaltete einen Parteitag an der
       Abbruchkante. Jetzt sagt die Düsseldorfer Klimaministerin [7][Mona Neubaur]
       (Grüne): „Die Räumung ist ein schmerzlicher, aber leider notwendiger
       Schritt.“ Sie wünscht sich, dass „alle Beteiligten das so gewaltfrei wie
       irgend möglich hinbekommen“.
       
       Weniger abgeklärt klingt [8][Antje Grothus], in Hambach seit Jahren und bis
       heute vehement gegen den Kohlefraß engagiert – und seit Mai grüne
       Landtagsabgeordnete: „Angesichts der großen Unsicherheit, ob die Kohle
       unter Lützerath tatsächlich gebraucht wird und dem großen
       gesellschaftlichen Unbehagen“ halte sie „eine polizeiliche Räumung diesen
       Winter nicht für vermittelbar“. Zudem liege auch östlich von Lützerath
       genug Kohle frei, „um alle Kraftwerke in der Energiekrise auf Jahre zu
       versorgen“. Und: „Eine Räumung, die Menschen in Gefahr bringt, kann ich
       nicht mit meiner Haltung und meinem Gewissen vereinbaren. Es ist jetzt die
       Zeit innezuhalten.“
       
       ## Der Wettkönig von Lützerath
       
       Der derzeit prominenteste Verteidiger Lützeraths heißt Marten Reiß und ist
       selbstständiger 3D-Designer. Er lebt schon seit zwei Jahren in dem Weiler.
       Der 41-Jährige mit dem kleinen Dutt auf dem Hinterkopf war im November
       spektakulär [9][Wettkönig] bei der ZDF-Show „Wetten, dass..?“ geworden,
       Moderator Thomas Gottschalk erklärte schließlich: „Lützerath ist gerettet.“
       Jetzt lacht Marten nach kurzer Überlegung leise: „Ob der Gottschalk genau
       wusste, was er da gesagt hat, weiß ich nicht.“ Der TV-Coup sei natürlich
       „richtig eingeschlagen in der Klimabubble“.
       
       Die Siegprämie in Höhe von 50.000 Euro ist mittlerweile auf dem Konto,
       erzählt Marten, den größten Teil habe er an die „Lützi bleibt!“-Initiative
       gespendet, einen Teil an Seawatch (deren einstige Kapitänin Carola Rackete
       auch eine Weile in Lützerath lebte), einen anderen an „Anna Kante e. G.“
       Diese frisch gegründete Genossenschaft hat kürzlich („bevor RWE die Nase
       dranbekommen hat“) einem Eigentümer im Nachbardorf Berverath den Hof
       abgekauft. Dort will man nun „ein nachhaltiges Dorfmodell aufbauen“.
       
       Was Marten selbst nach Tag X machen will, falls Lützerath wirklich fällt:
       „Ich habe noch keinen konkreten Plan. Sicher nicht ins alte Leben zurück.
       Sondern mit den neuen Freunden etwas gemeinsam machen und sehen, wohin mit
       meiner Energie.“
       
       Was danach? Die Frage treibt in Lützerath alle um. „Dazu gab es schon viele
       Plena und Gespräche untereinander“, berichtet Marten Reiß. Sicher werden
       sich alle zunächst in Keyenberg anderthalb Kilometer entfernt treffen, wo
       auf einem verlassenen Sportplatz gerade das „Camp für alle“ aufgebaut wird.
       Die junge Ronni sagt: „Klar sind wir alle traurig, wenn diese tolle
       Community hier wirklich endet, aber die Klimaarbeit wird anderswo
       weitergehen.“
       
       Ronni sagt auch, wie wichtig die 11.500 Menschen sind, die sich zur
       Blockade am Tag X angekündigt haben. „Ich hoffe doch, dass alle kommen!“,
       sagt sie trotzig. Andere spekulieren über die kritische Masse, die den
       Räumungseinsatz tatsächlich ins Leere laufen ließe: 3.000 oder 10.000
       Sitzblockierer? Enttäuscht ist man, dass große Verbündete wie BUND oder
       Greenpeace bislang nicht explizit zum Besuch Lützeraths aufrufen am Tag X.
       „Die wissen doch, wie man das formuliert, ohne dass es womöglich als
       Aufforderung zu Straftaten gelesen werden könnte“, meint einer. Der Mann,
       aus Berlin angereist, hilft gerade bei der Logistik der T-Träger, die
       senkrecht in die Zufahrtsstraße einbetoniert werden. „Das wird die Polizei
       nicht aufhalten, aber etwas Zeit kosten.“
       
       ## Gegenwind aus Keyenberg
       
       Eine Brise Gegenwind kurioser Art gab es Mitte Dezember aus Keyenberg, wo
       noch rund 60 von einst 800 der ursprünglichen Bewohner wohnen: Eine Frau,
       jahrelang in vordersten Linie aktiv gegen die drohende Vernichtung ihrer
       Heimat, sammelte Unterschriften gegen das Camp auf dem Sportplatz. Der Ort
       wolle endlich Ruhe haben, schrieb sie.
       
       Für die kohlefreundlichen Zeitungen der Region war die Unterschriftenaktion
       ein gefundenes Fressen. Die unionsnahe Rheinische Post schrieb: „Aktivisten
       in den Dörfern unerwünscht.“ Die Aachener Zeitung setzte einen drauf: „Die
       Keyenberger haben die Nase von den Aktivisten voll.“ Was dabei keine
       Berücksichtigung fand: Nur durch den Widerstand der Klimaszene konnten
       Keyenberg und die vier Nachbardörfer vor dem Abbaggern gerettet worden.
       
       Kurz nach seiner Vollzugsbitte an die Polizei hat Landrat Stephan Pusch
       eine Verfügung erlassen, „zur Räumung der Ortslage Lützerath“. Sie umfasst
       26 Seiten mit überschlägig geschätzt 300 Paragrafen und Gerichtsurteilen,
       garniert mit aparten Formulierungen über die „unbekannte Vielzahl von
       namentlich nicht bekannten Personen“ im Gelände. Am Ende wird Pusch
       überraschend konkret: Die Durchsetzung der Räumung werde wohl „etwa fünf
       Wochen in Anspruch nehmen“. Das ist mehr, als Optimisten einer Verzögerung
       bislang erwartet haben.
       
       Erstaunlich klingt auch dieser Passus: „Diese Allgemeinverfügung tritt am
       14. 2. 2023 außer Kraft.“ Das heißt, dass zwei Tage vor Weiberfastnacht,
       wenn die Polizeieinheiten anderswo dringend benötigt werden, alles in
       Lützerath erledigt sein muss. Ohnehin gilt ab dem 1. März ein gesetzlicher
       Rodungsstopp, weil auch in der Ortslage Lützerath das Rotkehlchenmännchen
       seine Balz beginnt und sich Meisenmädchen und Schleiereulen auf die Brut
       vorbereiten. Naturschutzzeit: Motorsägen aus!
       
       [10][Waldpädagoge Michael Zobel] sagt: „Als damals im Hambacher Wald der
       vorläufige Stopp des Oberverwaltungsgerichts kam, habe ich sofort gesagt:
       Wenn sie jetzt nicht mehr roden, dann tun sie es nie mehr. Dafür bin ich
       anfangs ausgelacht worden. Und ich sollte mit meiner kühnen Prognose recht
       haben. Deshalb gilt auch jetzt: Wenn Lützerath am 28. Februar noch steht,
       war es das. Dann bleibt das Gebiet.“
       
       Ab diesem Montag sollen, so die Polizei, keine Pkws und Fahrräder mehr nach
       Lützerath durchkommen. Man will die eigene Räumungsinfrastruktur aufbauen.
       Gleichzeitig haben die „Menschen aus Lützi“ für heute, 2. Januar, ein
       „Aktionstraining“ angekündigt, um dabei verschiedene Methoden zu üben, wie
       man die Räumung verhindern könnte.
       
       Seit Wochen hat die „Antirepressionsgruppe Rheinisches Revier“ in
       Online-Workshops jeweils Hunderte Menschen über „Facetten des
       Versammlungsrechts“ aufgeklärt, also erklärt, was die Polizei darf, was
       nicht, und was sie vielleicht trotzdem macht. Da gibt es Tipps wie die,
       niemals irgendetwas zu unterschreiben und, wer anonym bleiben möchte, auch
       kein Handy mitzunehmen, sich durch die Aktionsleitung eine vierstellige
       ID-Nummer geben zu lassen und die Notfallnummer des Ermittlungsausschusses
       unbedingt auf den Arm zu schreiben. Und nicht etwa aus Gruppenzwang HeldIn
       zu spielen: „Bei Sitzblockaden auf Aufforderung wegzugehen ist genauso cool
       wie sich wegtragen oder wegschleifen zu lassen: Ich sollte nur wissen, wie
       weit ich bereit bin, Schmerzen auszuhalten.“
       
       Ausgang Polizeipräsidium Aachen. Stahltür auf, zurück in die
       Eingangsschleuse, der Chip des Wachhabenden öffnet elektronisch die Tür
       nach draußen. Ab hier ist man wieder frei. 22 Treppenstufen hoch durch
       einen rundum vergitterten Gang. Die Tür oben kann man per Drehgriff selbst
       öffnen. Sie geht etwas quietschend nach innen auf und fällt danach, wumms,
       wieder ins Schloss. Und da ist sie wieder, die Welt: Eine dichte
       Autokolonne rauscht durch den Nieselregen zur Auffahrt der A 44 nebenan,
       auf der anderen Straßenseite lachen ein Burger König und der monströse
       Niagara Carwash. Und vielleicht ein paar Leute vom GeSa-Support.
       
       1 Jan 2023
       
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