# taz.de -- Rechtsruck in Ungarn: „Wir sind keine gemischte Rasse“
       
       > Premier Viktor Orbán verdeutlicht Ungarns Sonderweg in einer Rede. Er
       > sucht Nähe zu Putin und spricht von „Völkervermischung“ in Westeuropa.
       
 (IMG) Bild: Kein EU-Fan: Ungarns rechtskonservativer Premier Viktor Orbán
       
       Wien taz | „Wenn wir uns aus dem Krieg, der Migration, aus Gender-Wahnsinn,
       der globalen Mindeststeuer und der wirtschaftlichen Migration heraushalten,
       wird Ungarn erfolgreich bleiben.“ Für seine Bekräftigung des ungarischen
       Sonderweges und eine Vision für 2030 wählte Premier Viktor Orbán am Samstag
       den Kurort Băile Tușnad (Tusnádfürdö), der in einem kompakten ungarischen
       Siedlungsgebiet im rumänischen Siebenbürgen liegt.
       
       Seit 1998 hält er dort die Abschlussrede der Tusványos-Sommerakademie, die
       von seiner rechtsnationalen Partei Fidesz veranstaltet wird.
       Internationaler Aufmerksamkeit kann er sicher sein, seit er dort 2014 seine
       Vorstellung von einer „illiberalen“ Demokratie vorgestellt hat, einer Art
       gelenkter Demokratie mit eingeschränkten bürgerlichen Freiheiten und mehr
       zentralem Durchgriffsrecht.
       
       Erwartungsgemäß stellte Orbán [1][den Ukrainekrieg] in den Mittelpunkt
       seiner Ansprache. Und er kündigte das Ende der europäischen Einheit
       gegenüber diesem Konflikt an. Während Europa unter den Russland-Sanktionen
       in eine Rezession kippen werde, würde Ungarn seinen Wachstumspfad
       weiterverfolgen. Im nationalen Interesse müsse das Land nicht nur mit der
       EU und den USA, sondern auch mit Russland und China Abkommen treffen.
       
       Was in der Praxis bereits geschieht. Außenminister Péter Szijjartó war am
       Donnerstag in Moskau, um [2][am europäischen Energiekrisenmanagement
       vorbei] die [3][sichere Gasversorgung aus Russland] für Ungarn zu
       vereinbaren. Bei einem Treffen mit seinem Amtskollegen Sergej Lawrow bat
       der Ungar um zusätzliche 700 Millionen Kubikmeter Gas zu einem bereits im
       Vorjahr unterzeichneten Gasliefervertrag mit Gazprom über 4,5 Milliarden
       Kubikmeter in 15 Jahren. Budapest wollte diesen Deal eigentlich diskret
       über Fachbeamte abwickeln, Moskau habe aber auf einen
       öffentlichkeitswirksamen Besuch eines Ministers bestanden.
       
       ## Putin würde nie die Nato angreifen, sagt Orbán
       
       Kurz vor dem Treffen hatte die Regierung die jahrelange Subventionierung
       der Gas- und Strompreise für Privathaushalte per Dekret beendet und damit
       auch ein Wahlversprechen gebrochen. Nurmehr ein gesetzlich definierter
       Mindestverbrauch bleibt gestützt. Wer mehr Gas konsumiert, zahlt dafür das
       Siebenfache.
       
       Der Staatshaushalt ist klamm und jüngste Steuererhöhungen, die vor allem
       Kleinunternehmen belasten, haben in den vergangenen Tagen zu öffentlichen
       Protesten geführt. Auch Orbán konnte die Konsequenzen des Ukrainekriegs
       nicht von seinem Land fernhalten.
       
       „Das ist nicht unser Krieg“, machte Orbán seinen Standpunkt nochmals klar.
       Der einzige Weg, weiteres Blutvergießen zu vermeiden, seien direkte
       Verhandlungen zwischen Washington und Moskau. Er gab sich überzeugt, dass
       der Krieg gar nicht ausgebrochen wäre, wenn in den USA noch sein Freund
       Donald Trump und in Berlin noch Angela Merkel am Ruder säßen.
       
       Die Warnung, ein militärisch erfolgreiches Russland würde an der
       ukrainischen Westgrenze nicht haltmachen, tat er als „ukrainische
       Propaganda“ ab. Putin würde die NATO nie angreifen, weil diese viel stärker
       sei.
       
       ## Westeuropa sei bereits ein „Post-Westen“, so Orbán
       
       Auch Orbáns Lieblingsfeind, der ungarischstämmige Investor und Philanthrop
       George Soros, bekam sein Fett weg. „Brüssel“ werde von einer „Heerschar“
       des US-Amerikaners und Demokratieförderers Soros gelenkt, warf Orbán der EU
       vor.
       
       „Sie sollen leben, wie sie wollen, aber sie sollen auch uns leben lassen,
       wie wir wollen“, forderte Orbán in Anspielung auf ein
       EU-Vertragsverletzungsverfahren wegen eines ungarischen Gesetzes, das die
       Informationsrechte über Homosexuelle und Transsexuelle einschränkt und
       damit auf eine Einschränkung der universitären Freiheit, die Zensur von
       Aufklärungsbüchern und eine Zunahme der Homophobie hinausläuft.
       
       Als Dessert servierte Orbán noch ein bisschen Rassenhygiene. Mitteleuropa
       mit Polen und Ungarn sei der eigentliche Westen, während Westeuropa bereits
       ein Post-Westen sei, der durch Vermischung mit außereuropäischen Völkern
       seine Identität aufgegeben habe. „Es gibt Orte, wo sich Völker aus Europa
       und Völker außerhalb Europas mischen, und Orte, wo sich europäische Völker
       untereinander mischen, wie in den Karpaten.“ „Wir sind keine gemischte
       Rasse“, sagte er, „und das wollen wir auch gar nicht sein.“
       
       Sein Denkgebäude dürfte er dem bereits 1973 auf Französisch erschienenen
       dystopischen Roman [4][„Das Heerlager der Heiligen“ von Jean Raspail]
       entnommen haben, den er seinen begeisterten Anhängern zur Lektüre empfahl.
       Auf Deutsch ist das von rechtsextremen und xenophoben Ideen durchzogene
       Machwerk bezeichnenderweise im Antaios-Verlag von Götz Kubitschek
       erschienen, einem Vordenker der Identitären und der AfD, der wegen
       rechtsextremistischer Bestrebungen aus der Bundeswehr geworfen wurde.
       
       ## Orbán besucht bald Österreichs Bundeskanzler
       
       Gestört nur von Aktionen rumänischer Nationalisten, die von der rumänischen
       Polizei schnell unter Kontrolle gebracht wurden, konnte die Veranstaltung
       programmgemäß ablaufen.
       
       In Österreich, wo Orbán kommenden Donnerstag von Bundeskanzler Karl
       Nehammer (ÖVP) empfangen wird, reagierte Helmut Brandstätter, der
       außenpolitische Sprecher der liberalen NEOS, auf die Ansprache: „Die Mär,
       die Sanktionen würden der Ukraine nicht helfen und Europa übermäßig
       schaden, hört man in Österreich nur von der FPÖ“. Er forderte den Kanzler
       auf, „Klartext“ zu sprechen. Bei seinem Treffen dürfe er „nicht nur über
       sein Lieblingsthema Migration reden, sondern muss Orbán klar
       widersprechen.“
       
       24 Jul 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Milizionaere-in-der-Ukraine/!5865940
 (DIR) [2] /Europaeische-Gaspolitik/!5866935
 (DIR) [3] /Deutsche-Abhaengigkeit-vom-russischen-Gas/!5866938
 (DIR) [4] https://www.tagesspiegel.de/kultur/jean-raspail-das-heerlager-der-heiligen-das-kultbuch-der-neuen-rechten-eine-lesewarnung/12500440.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Leonhard
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Rassismus
 (DIR) Russland
 (DIR) Österreich
 (DIR) Ungarn
 (DIR) Gas
 (DIR) Viktor Orbán
 (DIR) GNS
 (DIR) Europäische Union
 (DIR) Ungarn
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
 (DIR) Viktor Orbán
 (DIR) Schwerpunkt Rassismus
 (DIR) Viktor Orbán
 (DIR) Gas
 (DIR) Schwerpunkt Korruption
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Empfehlung der EU-Kommission: Kein Geld mehr für Orbán
       
       Die EU-Kommission will rund 13 Milliarden Euro für Ungarn einfrieren.
       Ministerpräsident Viktor Orbán wehrte sich bisher gegen den Druck aus
       Brüssel.
       
 (DIR) Schwangerschaftsabbrüche in Ungarn: Ein Herzklopfen gegen Abtreibungen
       
       Ungarn hat sein bisher liberales Abtreibungsrecht verschärft. Künftig
       müssen sich Schwangere vor einem Abbruch den Herzschlag des Embryos
       anhören.
       
 (DIR) Ungarische Minderheit in der Ukraine: Uschhorods Bewährungsprobe
       
       Gut 100.000 Menschen in der Westukraine gehören zur ungarischen Minderheit.
       Sie sehen sich nun mit neuen Gesetzen zu Bildung und Sprache konfrontiert.
       
 (DIR) Treffen Rechtskonservativer in den USA: Auf in den Kulturkampf
       
       Bei einer Konferenz im Bundesstaat Texas zieht Ungarns Premier Viktor Orban
       mit Hetztiraden gegen Liberale zu Felde. Und hofiert Ex-Präsident Trump.
       
 (DIR) Regierungschefs Ungarns und Österreichs: Gemeinsames Feindbild Migration
       
       In Wien verteidigt Ungarns Regierungschef umstrittene Äußerungen: Es sei
       nicht rassistisch, weil er nicht biologisch, sondern kulturell
       argumentiere.
       
 (DIR) Politologe über die Christdemokratie: „Der alte Geist lebt weiter“
       
       Welche Rolle spielt Katholizismus heute für konservative Politik in Europa?
       Der Politologe Fabio Wolkenstein über die Schattenseiten der
       Christdemokratie.
       
 (DIR) Europäische Gaspolitik: Bitte mitfrieren, danke!
       
       Gas sparen für Deutschland? Nicht alle EU-Länder sind dabei.
       
 (DIR) Neue Kulturbauprojekte in Ungarn: In Orbáns Wald wachsen Gebäude
       
       Im Budapester Stadtwäldchen Városliget entsteht ein Museums- und
       Kulturkomplex, dem viel Grün zum Opfer fällt. Kritiker beklagen zudem
       Korruption.