# taz.de -- Die SPD und das Bürgergeld: Der lange Weg zu sich selbst
       
       > Die SPD hat Eckpunkte für ein Bürgergeld vorgestellt. Konsequent
       > umgesetzt könnte es viel Gutes bringen – und die Genossen mit ihren
       > Idealen versöhnen.
       
 (IMG) Bild: Gegen Hartz IV: Kundgebung der Montagsdemonstration in Leipzig im August 2004
       
       [1][Mitten in der Sommerpause hat die SPD] eine kleine Zeitenwende
       eingeleitet. Am Mittwoch stellte Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil
       seine Eckpunkte für die Einführung des Bürgergelds vor: Die SPD will
       tatsächlich Schluss mit dem entwürdigenden Hartz-IV-System machen und einen
       Paradigmenwechsel vom Fordern zum Fördern vollziehen.
       
       Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands ist in ihrer über 150-jährigen
       Geschichte stark geworden, weil sie an der Seite der Menschen für deren
       Würde und für soziale Garantien kämpfte. Als Gerhard Schröder 2003 die
       Agenda 2010 ankündigte, da [2][verabschiedete sich die SPD aus dieser
       Rolle]. Die Genossin wurde zur Antreiberin. Das System Hartz IV machte
       Schluss mit der Sicherung des Lebensstandards, es zwang die
       Empfänger:innen, jeden Bullshit-Job anzunehmen.
       
       Parallel dazu, baute die damalige rot-grüne Regierung
       Arbeitnehmer:innenrechte ab, lockerte den Kündigungsschutz, weitete
       Leiharbeit aus und schuf so den größten Niedriglohnsektor Europas.
       Irgendwohin mussten die über 4 Millionen Arbeitslosen ja vermittelt werden.
       
       Die Folgen waren dramatisch – [3][nicht nur für die SPD, die seither mit
       Wähler:innenschwund ringt] – sondern auch für die Gesellschaft. Die
       Leistungsgesellschaft, in der es „kein Recht auf Faulheit“ gebe, wie
       Schröder damals formulierte, fraß sich auch in die Demokratie und schuf
       einen Nährboden für rechte Parteien. Denn der Glaube an Leistung liefere
       keine Basis für Solidarität, so der politische Philosoph Michael J. Sandel,
       der den Aufstieg der Rechten analysierte.
       
       ## Vertrauen statt Verwirrung, Qualifizierung vor Vermittlung
       
       Das neue Bürgergeld soll nun einige dieser Verirrungen heilen. In den
       Jobcentern soll eine Kultur von Vertrauen auf Augenhöhe herrschen –
       eigentlich eine Selbstverständlichkeit –, Qualifizierung wichtiger sein als
       Vermittlung: Statt Menschen in schlecht bezahlte Aushilfsjobs zu hieven,
       sollen sie Zeit bekommen, einen Berufsabschluss zu machen,
       Langzeitarbeitslose sollen langfristig mit staatlicher Hilfe in den
       Arbeitsmarkt integriert werden.
       
       Die Angst vor dem sozialen Absturz, samt Umzug in den Plattenbau, der Hartz
       IV begleitet, soll gemildert werden: Mit dem Bürgergeld soll auch eine
       zweijährige Schonzeit für Vermögen und Wohnen gelten. Auch die Sanktionen
       sollen gelockert werden. Das sind gute Ansätze, sie müssen aber konsequent
       umgesetzt werden. Die Sanktionen, die eine Kultur von Gängelung und
       Misstrauen schaffen, gehören abgeschafft. Für die rund 1,5 Millionen
       Kinder, die derzeit in Bedarfsgemeinschaften – auch so ein Unwort – leben,
       muss eine schnelle Lösung her.
       
       Heil hat eine andere Berechnungsgrundlage für die Regelsätze angekündigt,
       diese aber noch nicht vorgelegt. Derzeit orientieren sie sich an den
       Ausgaben der ärmsten 20 Prozent der Gesellschaft und rechnen als Luxus
       eingestufte Dinge wie Reisen oder Restaurantbesuche raus. Im Ergebnis
       sichern die 449 Euro Grundbetrag für einen Erwachsenen das Überleben, aber
       keine soziale Teilhabe.
       
       Selbst der Namensgeber der Reformen, Peter Hartz, und seine Kommission
       hatten damals schon 511 Euro als Regelsatz vorgeschlagen. Das entspräche
       heute, wenn man die Inflation berücksichtigt, 674 Euro. Etwa das Niveau der
       Garantiesicherung, wie sie die Grünen vorschlagen.
       
       Eine spürbare Erhöhung der Regelsätze wird teuer, ohne Zweifel. Bereits
       heute sind im Haushalt 21,1 Milliarden für das Arbeitslosengeld II
       eingeplant, hinzu kommen 9,8 Milliarden Euro, mit denen sich der Bund an
       den Kosten für Unterkunft und Heizen beteiligt. Aber das Argument „zu
       teuer“ zieht in einem Land nicht, in dem sich das Gesamtvermögen in den
       letzten 20 Jahren mehr als verdoppelt hat. Es ist nur extrem ungleich
       verteilt. Die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung besitzen 60 Prozent vom
       Kuchen, die ärmere Hälfte fast nichts.
       
       Die SPD sieht sich, so steht es im Grundsatzprogramm, dem Prinzip der
       sozialen Demokratie verpflichtet, einer Ordnung, in der alle Menschen ein
       Leben in sozialer Sicherheit führen können. Bis dahin ist es noch ein
       langer Weg. Aber mit einem konsequenten Bürgergeld kämen die
       Sozialdemokraten dieser Idee einen Schritt näher. Es wäre eine Versöhnung
       mit sich selbst und ihren Idealen.
       
       22 Jul 2022
       
       ## LINKS
       
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