# taz.de -- Architektur auf dem Land: Was ein gutes Leben braucht
       
       > Welche Architektur passt in die Provinz? Mit vielen Beispielen nähert
       > sich eine Ausstellung des Frankfurter Architekturmuseums dieser Frage.
       
 (IMG) Bild: Eine von Künstlern designte Bushaltestelle in Krumbach, Österreich im Jahr 2011
       
       Wer gute Architektur auf dem Land sehen möchte, muss aufs Land fahren.
       Wenngleich man die gut 30 Kilometer vor den Toren Frankfurts in anderen,
       weitläufigeren Teilen der Welt wohl noch gar nicht unbedingt als Provinz
       betrachten würde. „Schön hier! Architektur auf dem Land“ heißt die
       [1][Ausstellung des Deutschen Architekturmuseums (DAM)], das nicht wie
       gewohnt am Mainkai oder im aktuellen Interimsquartier am Osthafen zu sehen
       ist, sondern im [2][Hessenpark in Neu-Anspach].
       
       Im DAM freut man sich über die ungewöhnliche Präsentationsmöglichkeit: Die
       Ausstellung soll nicht (nur) das übliche Museumspublikum erreichen, das
       ohne Auto ob des bescheidenen öffentlichen Nahverkehrs tatsächlich eine
       etwas längere Anreise unternehmen müsste. Sondern vor allem auch jene
       Menschen, die das Thema unmittelbar selbst betrifft.
       Entscheidungsträgerinnen und -Träger, Bewohnerinnen und Bewohner. Und da
       das eigene Haus des DAM derzeit ohnehin umgebaut wird, bot das
       Freilichtmuseum mit seinen großzügigen historischen Bauwerken und den
       beachtlichen Besucherzahlen eine gute Gelegenheit zur Präsentation.
       
       Im Anschluss wird die Schau als Wanderausstellung in weitere Orte ziehen,
       15 sollen bereits bestätigt sein. Wer es trotzdem nicht hinschafft, findet
       im Katalog zur Ausstellung reichlich Anregungen für Bauen auf dem Land –
       klug gestaltet, sozial oder ökologisch nachhaltig oder beides. Fachpublikum
       soll außerdem in Online-Seminaren abgeholt werden. Der Hessenpark bietet
       mit dem „Kompetenzzentrum Fachwerk“ zudem eine Anlaufstelle für nachhaltige
       Baustoffe und Fachwerksanierung.
       
       Erstaunlich ist daran aber gar nicht so sehr, wo und wie die Schau
       präsentiert wird. Sondern dass sie tatsächlich die erste ihrer Art ist.
       Schließlich sind rund 90 Prozent der Fläche in Deutschland als ländlich
       charakterisiert – und mit 47 Millionen Menschen wohnt über die Hälfte der
       Bevölkerung jenseits der großen Städte. Ähnlich sieht es im europäischen
       Durchschnitt aus.
       
       Das Thema sei im Architekturmuseum schon länger virulent gewesen, erzählt
       Direktor Peter Cachola Schmal. Als die Pandemie dann voll zuschlug, das
       Homeoffice kurz einmal zum Standard zahlreicher Bürojobs avancierte und der
       Traum vom Leben mit Fläche und Aussicht auch die Großstädter erfasste,
       wurden die Pläne konkreter.
       
       ## Bürohaus oder Ziegenstall
       
       Siebzig Bauten aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie
       einigen Nachbarländern hat das kuratorische Team als Fallbeispiele für gute
       Architektur auf dem Land ausgewählt. Bewusst beispielhaft, nicht umfassend.
       Hinzu kommen Schwerpunktregionen, zum Beispiel im Schwarzwald oder in
       Thüringen, die die Umgestaltung ihrer Lebensumgebung besonders umfassend
       entwickelt und vorangetrieben haben (der Süden Deutschlands ist ebenso
       überdurchschnittlich vertreten wie der Osten). Vorgestellt wird das Bauwerk
       von Menschen, die unmittelbar mit ihm zu tun haben: Bürgermeister,
       Architektin, Büchereidirektorin, Hausbesitzer.
       
       Es sind größere Architekturen dabei und auch ganz kleine. Bürogebäude,
       Wohnsiedlungen und Grundschule ebenso wie Schneiderei, Waldhaus oder
       Ziegenstall. Ein vierstöckiges Gemeindezentrum mit weitreichendem Platz für
       Sport- und Freizeitangebote, einschließlich Bibliothek und zehn
       Wohneinheiten – und eine winzige Bergkapelle als Rast für Wanderer, erbaut
       aus den Überresten ihrer Vorgängerin, die eine Lawine niedergewalzt hatte.
       
       Interessanterweise teilen Stadt und Land auch dieses Problem: die Verödung
       der Innenstädte respektive Ortskerne, das Anwachsen der Speckgürtel. Teures
       Bauland, versiegelte Flächen. In der Ausstellung wird hierfür das Bild vom
       Donut gewählt – das kreisrunde Gebäck mit seinem Loch in der Mitte ist
       erklärtes Negativbeispiel für die Entwicklung in zahlreichen Gemeinden.
       
       ## Im Kern zusammenhängen
       
       Gute Gestaltung hingegen bedeutet: Orte und Kleinstädte sollen (wieder) zum
       Kreppel, Berliner, Krapfen, in Berlin entsprechend Pfannkuchen werden. Mit
       einem zusammenhängenden Kern, in dem sich das Leben abspielt. Und weil der
       Handel eben dazugehört, wird der Tante-Emma-Laden auch schon einmal ins
       Gemeindezentrum integriert – einleuchtend, wo sich der Betrieb allein
       vermutlich kaum noch rentieren dürfte.
       
       Zwar zeigt die Ausstellung durchaus Neubauprojekte und solche in
       Einzellage, vor allem aber Beispiele gelungener Umnutzung, Umgestaltung
       oder von Erweiterungsbauten. Wohnen, Arbeiten und Freizeit spielen ebenso
       eine Rolle wie Kultur und, wenngleich in deutlich geringerem Maßstab,
       Tourismus. Spannend ist die Umgestaltung kompletter Dorfkerne, in denen
       neuer Wohnraum im Zentrum des Geschehens geschaffen wird – lang gezogene
       Dächer sorgen für Privatsphäre trotz unmittelbarer Nähe.
       
       Nebenbei lehrt die Schau einige regionale Besonderheiten. So lernt man hier
       beispielsweise die Tradition des Stöckli beziehungsweise Auszugshauses, das
       in der Schweiz als Altersstätte für pensionierte Altbauern und -Bäuerinnen
       dient, kennen. Überhaupt nimmt eine nachhaltige Gestaltung des ländlichen
       Lebensraums nicht allein die junge, einkommensstarke Familie – beliebter
       Prototyp des neuen Landbewohners, mit ihren bekannten Bedürfnissen – in den
       Blick, sondern fragt auch, was ältere oder kranke Menschen benötigen, um in
       ihrer gewohnten Umgebung gut leben zu können. Freundlich gestaltete
       Therapiezentren oder eine Tagespflege sind weitere Positivbeispiele der
       Ausstellung.
       
       ## Keine Nostalgie, keine Postkartenidylle
       
       Das Fazit ist keine Überraschung, aber wohl überraschend selten umgesetzt:
       Gute Land-Architektur muss keine hübschen Postkartenmotive liefern, sondern
       Lebensqualität für ihre Bewohnerinnen und Bewohner. Die hier vorgestellten
       Bauwerke sind so auch kaum nostalgisch, wie das in den deutschen
       Großstädten ja bisweilen zu spüren ist, oder ausgesprochen spektakulär
       gestaltet. Was umgekehrt nicht heißt, dass es hier mit viel Holz, zu
       Zwecken der Behaglichkeit eingezogenen Zwischendecken oder Naturstein nicht
       auch sehr malerisch ausschauen kann.
       
       „Schön hier!“ geht es natürlich um gute Architektur auf dem Land. Aber
       mindestens ebenso um Entwicklungen, die eine gute Gestaltung ebenda
       anstoßen kann. Dazu braucht es mindestens ein engagiertes Architekturbüro,
       aber nicht nur. Fast immer ist die erfolgreiche Entwicklung ländlicher
       Lebensräume an den Einsatz ziviler Initiativen, von Kommunalpolitik,
       Bewohnerinnen und Bewohnern gebunden. So wie im sächsischen Wülknitz, wo
       der einst trostlose Ortskern durch eine neu gestaltete Kegelbahn
       wiederbelebt werden konnte, wie der Bürgermeister im Ausstellungs- und
       Katalogtext erzählt.
       
       Oder, um es mit dem ironischen Witz von Max Otto Zitzelsberger zu sagen,
       der als Architekt die multifunktionale „Erkläranlage“ für behinderte und
       nichtbehinderte Kinder in Berngau zu verantworten hat: „Man braucht nur
       einen visionären Bürgermeister, einen weitsichtigen Soziologen,
       außergewöhnliche Schulleiter und Schulleiterinnen, kreative Mitarbeitende
       der zuständigen Behörden, Handwerker und Handerwerkerinnen, die ihrem Beruf
       alle Ehre erweisen, und eine mutige Gemeinde – schon lässt sich ein Projekt
       realisieren, das so in Bayern eigentlich undenkbar wäre.“
       
       5 Apr 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Architekturmuseum-Frankfurt-am-Main/!5756961
 (DIR) [2] https://www.hessenpark.de/veranstaltungen/sonderausstellungen/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katharina J. Cichosch
       
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