# taz.de -- Architekt über das Leben im Jahr 2086: „In den Dörfern gibt es hippe Bars“
       
       > Kyong Park gestaltet für Südkorea den Pavillon auf der
       > Architekturbiennale. Er zeigt, wie wir leben, wenn die Weltbevölkerung
       > ihren Höhepunkt erreicht.
       
 (IMG) Bild: „Wir brauchen eine biokulturelle Revolution, wenn wir die Krisen überleben wollen“, sagt Kyong Park
       
       taz: Herr Park, mit dem Titel für Ihren Beitrag zur nächsten
       Architektur-Biennale in Venedig, „2086 – Together How?“, stellen Sie
       eigentlich die Frage, warum wir alle so isoliert sind – obwohl wir doch
       durch die Globalisierung von Informationen, Finanzen, Waren und auch der
       Kultur miteinander verbunden sein sollten. 
       
       Kyong Park: Das Projekt stellt vor allem die Frage, wie wir in dem Jahr, in
       dem unsere Weltbevölkerung ihren Höhepunkt erreichen soll, zusammenleben
       können. Und es postuliert, dass wir eine biokulturelle Revolution
       verwirklichen müssen, wenn wir die unvorstellbaren kommenden Umweltkrisen
       überleben wollen, die ja bereits begonnen haben.
       
       Gibt es Antworten? 
       
       Am Beispiel von drei Gemeinden in Südkorea stellen wir uns ein Szenario für
       das Jahr 2086 vor, in dem die Menschen ein einfühlsameres, reflektierteres
       und zurückhaltenderes Leben in einer neuen Ökosphäre leben. An den
       Forschungen und Designs hierzu arbeiten drei Teams, die sich jeweils aus
       Architekten und Gemeindevorstehern zusammensetzen. Und das im Rahmen von
       drei verschiedenen Regenerationsprojekten, die derzeit in Südkorea aktiv
       sind. Je in einer Metropole, einer kleinen Stadt und einem Dorf – zusammen
       sollen sie den Prozess der Urbanisierung, Modernisierung und
       wirtschaftlichen Veränderungen der koreanischen Stadt- und Landgeschichte
       untersuchen. Wir beginnen zunächst mit realen Aktivitäten an realen Orten
       und transportieren unsere Ergebnisse dann in Richtung 2086 weiter. Dies
       geschieht anhand einer festgelegten Dialektik, die bestimmender Faktor in
       unserer biokulturellen Revolution ist.
       
       Könnten Sie die biokulturelle Revolution mehr erklären? 
       
       Das Projekt geht davon aus, dass Umweltkrisen unsere Gesellschaft radikal
       verändern werden. Das könnte ein neues Paradigma in die menschliche
       Zivilisation bringen. Wir denken auch, dass unsere Umweltkrisen nicht nur
       im Anstieg des Meeresspiegels und der Erhöhung der Temperatur bestehen. Die
       Probleme liegen tatsächlich in uns selbst, in unserem Körper und Geist. Wir
       haben uns auf eine faustische Fortschrittsideologie eingelassen, für
       unbegrenzte materielle Genüsse durch Industrialisierung, Urbanisierung,
       Modernisierung, Kolonialisierung und Globalisierung.
       
       Das ist eine Ideologie, der Architektur und Urbanismus als ihre Instrument
       dienen, ihr Ausdruck und ihre Hinterlassenschaft sind. So glaubt „2086 –
       Together How?“, dass die Umweltkrisen am besten gelöst werden können durch
       [1][die Veränderung unserer Lebens- und Denkweise]. Und durch eine
       Neubewertung unserer Geschichte und unseres Erbes.
       
       Was bedeutet in diesem Zusammenhang der Begriff CiViChon, mit dem Sie
       arbeiten? Ist es ein Modell einer Stadt in einem Dorf? 
       
       CiViChon (Ci – Stadt, Vi – Dorf, Chon – ein koreanisches euphemistisches
       Wort für Dörfer und ländliche Gebiete) ist ein Begriff, der dabei helfen
       soll, die Trennung zwischen Stadt, städtischem Gebiet und Land zu
       verstehen. Vor allem aufgrund der Urbanisierung, die in den letzten
       anderthalb Jahrhunderten auf der ganzen Welt erfolgt ist und unsere
       Lebensweise radikal verändert hat, sowohl in Bezug auf die Architektur als
       auch auf die Gesellschaft. Urbanisierung war einmal instrumenteller
       Bestandteil einer westlichen Vorherrschaft, heute wird die Verstädterung
       durch die Globalisierung bestimmt. Im Konzept von CiViChon werden Stadt und
       Land neu überdacht, da sich die Urbanisierung in wirtschaftlich
       entwickelten Ländern ihrem Höchststand nähert und zugleich bereits eine
       Ruralisierung einsetzt.
       
       Wie ist das in Südkorea? 
       
       Als Folge der Urbanisierung leben heute fast 82 Prozent der Südkoreaner in
       städtischen Gebieten, fast 52 Prozent in Hochhauswohnungen. 50,4 Prozent
       dieser 52 Millionen leben in der Metropolregion Seoul. Südkorea ist hoch
       urbanisiert und zentralisiert – viele sehen das hohe Ausmaß der
       Zentralisierung als Teil des [2][Erbes der Militärdiktatur], in der die
       Entwicklungspolitik stark auf eine nationale Territorialisierung
       ausgerichtet war, gleich einem Panoptikum. Seitdem gab es viele Bemühungen,
       Bevölkerung und Wirtschaft zu dezentralisieren. Es hat auch eine
       Dezentralisierung der politischen Macht gegeben, indem man den Kommunen
       mehr Budget und Autonomie zugestanden hat.
       
       Reden wir also doch wieder nur über die Entwicklung der Ballungsräume? 
       
       Nein, es gab auch Versuche, die stark entvölkerten ländlichen Regionen mit
       ihrer überalterten Bevölkerungsstruktur zu revitalisieren. Mittels
       finanzieller Hilfen für Unternehmer und kulturelle Einrichtungen hat man
       versucht, junge Leute dazu zu bringen, in die Dörfer und kleineren Städte
       zu ziehen. Aber nachdem, was ich von Experten höre, ohne wirklichen Erfolg.
       
       Was halten Sie von dem Begriff eines neuen Lokalismus, wird das ein Trend? 
       
       Das [3][Ideal des Lokalismus] gewinnt in Südkorea an Popularität, man kann
       ihn sogar als generationsübergreifende Bewegung bezeichnen. Es gibt
       Rentner, die aus der Stadt wegziehen, weil sie nicht mehr über ihre
       Arbeitsplätze wirtschaftlich an die Stadt gebunden sind. Einige von ihnen
       kehren in die Herkunftsdörfer zurück. Dann gibt es eine Gruppe mittleren
       Alters, die versucht, eine alternative Lebensform zu finden, abseits von
       der Arbeit für Unternehmen – sie romantisieren das Leben auf dem Land
       stark, wollen autark und unabhängig leben. Die jüngeren Generationen ziehen
       auch in den ländlichen Raum, weil das Leben in der Stadt zu teuer ist und
       sie dort zu wenige wirtschaftliche Möglichkeiten haben. Diejenigen, die in
       die ländlichen Gebiete ziehen, werden Kwichon genannt – und diejenigen, die
       versuchen, dort Landwirtschaft zu betreiben, werden Kwinong genannt.
       
       Wie genau lebt die jüngere Generation in einem Dorf in Korea? 
       
       Es ist von den Überlegungen bestimmt, wie man sich auf dem Land eine
       Zukunft aufbauen könnte. In vielen Dörfern gibt es hippe Bars, Cafés,
       Boutiquen. Einige versuchen, lokale Produkte zu modernisieren und mit einem
       Branding an den Markt zu bringen. So entsteht auch eine neue Wirtschaft in
       den ländlichen Gebieten. Sie zieht Besucher aus der Stadt an, bietet
       Dienstleistungen, die den Stadtmenschen vertraut sind. Die jüngere
       Generation bringt so eine urbane Lebensform ins Dorf.
       
       Steckt hinter dem Wegzug aus den Städten auch ein fehlendes
       Zugehörigkeitsgefühl? 
       
       Viele Faktoren befördern eine solche Ruralisierung, eine Verlagerung aufs
       Land. Einer besteht in dem kapitalistischen Dilemma, dass mehr Wohlstand
       und zugleich mehr Ungleichheit produziert wird. Viele Menschen in der Stadt
       haben das Gefühl, dass sie dort nicht mehr konkurrieren und überleben
       können. Die Menschen fühlen sich angezogen von der eher gemeinschaftlichen
       Lebensweise, die in den Städten fehlt. Sie suchen ein idealisiertes
       Landleben, das ihnen ein besseres, intimes und soziales Leben ermöglichen
       könnte, ein Leben auf einem kleineren Raum. Für andere geht es um eine
       Flucht in ein Netzwerk, das einem erlaubt, auf billigerem Raum zu leben und
       dort auch Lebensmittel anbauen zu können, autark leben zu können. Es geht
       auch darum, den Grad der Abhängigkeit von Geld zu verringern und ein
       langsameres Leben führen zu können, es genießen zu können. Die Menschen
       wollen vom Kapitalismus befreit werden.
       
       25 Jan 2023
       
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