# taz.de -- Kultur im Stream: Für immer digital
       
       > Mit dem Lockdown kam die große Stunde der Digitalisierung von
       > Kulturveranstaltungen und Konzerten. Nach Corona wird davon etwas
       > bleiben.
       
 (IMG) Bild: Beste Konzertatmosphäre
       
       Berlin taz | Ein Konzert oder ein Theaterstück via Streaming zu erleben
       ist nur ein trauriges Surrogat, das gilt als gesicherte Erkenntnis. Wie
       Selbstbefriedigung, obwohl man viel lieber zwischenmenschlichen Sex hätte.
       Wenn diese verdammte Pandemie einmal vorbei ist, wird man deswegen in
       Musikclubs wieder ordentlich schwitzen und nach der Theaterpremiere ums Eck
       gemeinsam etwas trinken gehen. Und sich sicherlich keine Streams von
       Kulturevents mehr ansehen.
       
       Vielleicht kommt es aber auch anders. Vielleicht wird die Digitalisierung
       der Kultur, die Corona stark angeschoben hat, bleiben. Und es wird ein
       wenig so sein wie beim Fußball. Im Stadion zu sein sei das wahre Erlebnis,
       sagen manche. Aber ganz offensichtlich sind nicht wenige Menschen zufrieden
       damit, ein Spiel nur im Fernsehen oder Internet verfolgen zu können.
       Während und wegen Corona entstandene Streamingplattformen wie
       „Dringeblieben“, die alles vom Kammerkonzert über Partys bis hin zu
       Tanzperformances digital anbieten, könnten also fortbestehen, wenn man bei
       Corona wieder zuerst an eine Biermarke denkt.
       
       Selbst den Clubs wird das Thema Streaming erhalten bleiben, glaubt Lutz
       Leichsenring von der Clubcommission. Mit der Aktion [1][„United we
       stream“], bei der während der Pandemie DJs in leeren Clubs auflegten,
       konnte ein hoher sechsstelliger Betrag an Spenden eingenommen werden.
       Streaming half in der Krise. Leichsenring denkt, dass nach der Pandemie
       weiter aus den Clubs gestreamt wird – als Werbemaßnahme.
       
       Tex Drieschner, Veranstalter und Moderator von TV Noir, einem Pionier bei
       der Übertragung von Livekonzerten für den Hausgebrauch, glaubt sogar, dass
       Streaming erst nach Corona so richtig groß werde. Seit 13 Jahren existiert
       das Format, das schon mit Arte und dem ZDF zusammengearbeitet und einen
       eigenen Youtube-Kanal hat. Drieschner, der nebenbei Musiker ist, vergleicht
       die Mischung aus lustigen Anmoderationen, Spielen und Show, für die TV Noir
       steht, eher mit Musikfernsehen denn mit klassischen Konzerten.
       Aufgezeichnet wurden die Veranstaltungen vor Publikum früher im Heimathafen
       Neukölln, inzwischen im Admiralspalast.
       
       ## Spotify für Konzerte
       
       Als Corona kam, war es damit erst einmal vorbei. Und so erfand sich TV Noir
       neu. Anstatt im großen Admiralspalast vor Besuchern loszulegen, lädt man
       sich Musiker und Musikerinnen nun ins Büro im Graefekiez ein und lässt sie
       kleine Konzerte geben, die aufgezeichnet und live gestreamt werden. Ein
       Mitgliedschaftsmodell für zahlende Abonnenten wurde eingeführt. TV Noir
       wurde zu einer Art Spotify für Konzertstreamings. Der Zuspruch sei riesig,
       so Drieschner, um die 1.000 Mitglieder seien bereit, acht Euro monatlich zu
       überweisen. Ohne Förderung, wie sie TV Noir aktuell bekommt, würde das
       Konzept freilich noch nicht aufgehen.
       
       Drieschner glaubt, das Bürokonzert-Format für ein Online-Publikum werde es
       auch nach der Pandemie geben. Jetzt, wo draußen wieder der ein oder andere
       Live-Event vor Publikum statt findet, lädt TV Noir ungerührt zum „Streaming
       Festival Frühsommer 2021“ ein, wo zig Newcomer-Bands ihre Auftritte
       aufzeichnen lassen.
       
       Etwas weniger klar ist bei Culture Cast, wie es nach der Pandemie
       weitergehen soll. Während Corona hat die kleine Berliner Firma, die von
       Tontechnikern, Musikern und anderen Leuten aus der Veranstaltungs- und
       Kulturbranche gegründet wurde, vor allem im Club Astra Konzerte ohne
       Publikum aufgenommen und via Livestreaming übertragen.
       
       Das Konzept basierte auf Spendenbasis und lief, so Andreas Hartmann von
       Culture Cast, ziemlich gut. Bis zu 15.000 Euro konnten für ein Konzert
       eingenommen werden. Bei Culture Cast blieb davon ein Drittel hängen,
       richtig etwas verdienen ließ sich damit nicht, so Hartmann. Derzeit plant
       das Corona-Start-up keine neuen Online-Konzerte und von den fast 30
       Mitarbeitern ist eigentlich nur noch er übrig geblieben. Mit der Pandemie
       ist auch das Treiben von Culture Cast abgeflaut.
       
       Doch irgendetwas will Hartmann noch anstellen mit seinem Portal, sagt er,
       die geschaffenen Strukturen und die erlangte Reichweite nutzen. Er glaubt:
       „Streaming wird nach Corona nicht ganz wieder wegfallen.“ Vor allem jetzt –
       in der Übergangsphase zwischen Lockdown und Öffnung – nicht. Ein kleines
       Konzert darf aufgrund immer noch bestehender Hygienemaßnahmen nur vor 100
       Besuchern stattfinden, entwirft er als beispielhaftes Szenario, um die nahe
       Zukunft von Culture Cast zu skizzieren. Er würde dann über seine Plattform
       weitere Online-Tickets für den Auftritt anbieten, eine Ergänzung, die für
       Musiker und Musikerinnen genauso Sinn ergeben würde wie für die
       Veranstalter.
       
       Ein Hybridmodell aus analog und digital wäre das. Ob das längerfristig
       angenommen wird, ist er sich freilich nicht so sicher. Immerhin: Er hat
       gerade die Zusage für eine Förderung reinbekommen. Vorerst wird es also
       weitergehen mit Culture Cast.
       
       ## Die Idee gab's schon vor Corona
       
       Ebenfalls in der Findungsphase für die Post-Corona-Zeit ist Beat
       Halberschmidt, Musiker und Gründer der Firma Berta Berlin. Diese brachte er
       kurz vor Corona an den Start. Seine Idee damals: kleine Konzerte zu
       digitalisieren und zu archivieren. Und das in gehobener Qualität. Als dann
       Corona kam, konnte er sich gar nicht mehr retten vor Arbeit. Plötzlich
       wollten alle das, was er im Sinn hatte.
       
       So hat er Konzerte im Gretchen aufgezeichnet, genauso kürzlich die im
       Radialsysten eingespielten „Kosmostage“ des Andromeda Mega Express
       Orchestra. Sein Ding ist aber nicht das Livestreaming, sondern die
       Digitalisierung eines Konzerts für den späteren Online-Gebrauch. Bei der
       Direktübertragungen gerade für kleine Events gehe viel an Ton- und
       Bildqualität verloren, sagt er, „und meist mischen Leute im Konzertraum den
       Ton für Leute, die nicht in dem Raum sind“. Mit grauenhaften Ergebnissen.
       Bei ihm dagegen werde der Ton sorgfältig nachbearbeitet.
       
       Livestreaming werde sowieso überschätzt, findet Halberschmidt: „Die Leute
       haben während der Pandemie versucht, mit der Brechstange den physischen
       Event ins Internet zu übertragen. Aber das ist Quatsch. Das Internet
       funktioniert nicht linear und den Großteil dieser Streams wird man sich nie
       wieder ansehen.“
       
       Er wolle deswegen Livekonzerte nicht online ersetzen, sondern ergänzen,
       diese „nicht nur dokumentieren, sondern ansprechend vermitteln, um was es
       dabei gegangen ist“. In der Bildenden Kunst werde schon seit Langem mit
       Plan digitalisiert, sagt er, inzwischen auch im Bereich Tanz. Nur in der
       Musik nicht. Das werde sich nun hoffentlich ändern. Demnächst könne er
       endlich wieder Konzerte vor Publikum aufzeichnen. „Jetzt geht es erst so
       richtig los“, hofft er.
       
       15 Jun 2021
       
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