# taz.de -- Widerstand in Berlin: Der Kampf ums Paradies
       
       > Die Anarchist Queer Pride Rally und eine weitere
       > Black-Lives-Matter-Kundgebung zeigen wie intersektionaler und
       > internationaler Protest aussieht.
       
 (IMG) Bild: Eine Regenbogenflagge, die den Beitrag von trans, Schwarzen und Menschen of Color berücksichtigt
       
       „Der Traum ist aus“, sang der schwule Kreuzberger Protestpoet Rio Reiser in
       den Siebzigerjahren und sein Lied hallt bis heute nach. Hätte er überlebt,
       so würde Reiser in diesem Jahr siebzig Jahre alt werden. „Der Traum ist
       aus“ aber wuchert zum Jubiläum nur so von neuen Bedeutungsfacetten. Der
       Ausbruch der Corona-Pandemie etwa schien für viele das unwiderrufliche Ende
       der neoliberalen Illusion zu bedeuten, eine unsichtbare Hand würde
       Wohlstand schaffen, der zuletzt auch bis zu den Verletzlichsten in der
       Gesellschaft hinuntersickern würde.
       
       Doch die Verletzlichsten trifft das Virus und die wirtschaftliche Delle
       besonders hart, während viele große Player profitieren können. Die Deutsche
       Wohnen etwa geht trotz Mietendeckel und Krise weiter auf Shopping-Tour in
       Berlin. Größter Einzelaktionär der Deutschen Wohnen wiederum ist Blackrock,
       der weltweit größte Vermögensverwalter.
       
       Und während sich bei Amazon reihenweise Angestellte mit dem Virus
       infizieren, weil der Onlineversandhändler sie unzureichend schützt, fährt
       das Unternehmen Rekordumsätze ein und plant nach wie vor sein Zentrum für
       Abhörtechnik in Friedrichshain-Kreuzberg zu etablieren. Die Verdrängung im
       Bezirk und in der Stadt wird damit weiter vorangetrieben. Arbeiter*innen,
       die sich gegen die Arbeitsbedingungen bei Amazon auflehnen, müssen damit
       rechnen, ihre Jobs zu verlieren. Der Afroamerikaner Chris Smalls ist dafür
       nur ein besonders bekanntes Beispiel.
       
       Auch der Traum Martin Luther Kings, dass eines Tages Hautfarbe nicht mehr
       die Grundlage für Ungleichbehandlung und Gewalt bilden würde, scheint durch
       den Polizeimord an George Floyd an ein weiteres Aus gekommen. Auch in
       Deutschland, auch in Berlin, wird das Ausmaß rassistischer Strukturen in
       den Sicherheitsbehörden immer sichtbarer.
       
       ## Wo ist der Traum Wirklichkeit?
       
       Gegen die sie unterdrückende Polizei wurden die queeren Personen of Color
       damals in der New Yorker Christopher Street aktiv. Auch ihr Traum,
       selbstbestimmt und frei leben zu können, wird nicht nur von der
       US-amerikanischen, sondern auch von der Regierung im knapp 100 Kilometer
       entfernten Polen torpediert. Und selbst in Berlin und Brandenburg ist er
       längst nicht für alle in Erfüllung gegangen.
       
       „Gibt es ein Land auf der Erde/Wo dieser Traum Wirklichkeit ist?“, sang Rio
       Reiser, „Ich weiß es wirklich nicht/ Ich weiß nur eins und da bin ich mir
       sicher/ Dieses Land ist es nicht /Dieses Land ist es nicht.“ Doch es gelte
       sich bereit zu machen, für den Kampf ums Paradies.
       
       „Der Kampf für Befreiung ist intersektional und international“ heißt es im
       Aufruf zur Anarchist Queer Pride Rally am Samstag. „Solange es
       Klassenunterdrückung gibt, werden auch Queers unterdrückt bleiben, denn es
       gibt uns im ganzen sozialen Spektrum und in allen Ethnien, Formen, Farben,
       Geschlechtern und Altersklassen. Stonewall was a riot – we will not be
       quiet“ (Samstag, 27. Juni, 11 Uhr, Oranienplatz). 
       
       Zu Ehren von George Floyd soll es einen weiteren Black-Lives-Matter-Protest
       geben, dem sich auch die Anarchist Queer Pride Rally anschließen will
       (Samstag, 27. Juni, 12.30 Uhr, Großer Stern). Die Veranstaltenden der
       bisherigen Black-Lives-Matter-Kundgebungen hingegen verzichten auf weitere
       physische Aktionen, um das Ansteckungsrisiko zu minimieren.
       
       ## Amazon verhindern
       
       „Unsere Kapazitäten fließen in die Unterstützung lokaler Organisationen wie
       International Women* Space und Women in Exile, in die langfristige
       Vernetzung und Zusammenarbeit mit der Schwarzen Community in Berlin und
       Deutschland, und in die Unterstützung von Protesten in den USA“, heißt es
       in einem Statement. Auf den Webeiten des International Women* Space und von
       Women in Exile finden sich Spendenmöglichkeiten.
       
       Das Anti-Amazon-Café wiederum will ein Bezugspunkt für den informellen und
       selbstorganisierten Kampf gegen den „fortschreitenden technologischen
       Angriff und für ein selbstbestimmtes Leben“ sein. „Die Baustelle in Berlin
       wurde eben eröffnet, noch ist Zeit, Amazon zu verhindern“, heißt es in der
       Ankündigung. „Wir wollen gemeinsam Informationen über Amazon und den Bau
       des Towers sammeln und Kritik zusammentragen.“ Außerdem sollen
       Handlungsoptionen erkundet und in Angriff genommen werden (Sonntag, 28.
       Juni, 15 Uhr, Lohmühlenstr. 17).
       
       Immer am ersten Mittwoch eines Monats bietet die Rote Hilfe Potsdam
       Beratung und Rechtshilfe an. „Die Rote Hilfe organisiert nach ihren
       Möglichkeiten die Solidarität für alle, unabhängig von Parteizugehörigkeit
       oder Weltanschauung, die in der BRD aufgrund ihrer politischen Betätigung
       verfolgt werden.
       
       Politische Betätigung in diesem Sinne ist z.B. das Eintreten für die Ziele
       der Arbeiterlnnenbewegung, der antifaschistische, antisexistische,
       antirassistische, demokratische oder gewerkschaftliche Kampf und der Kampf
       gegen die Kriegsgefahr“, so der Verein (Mittwoch, 1. Juli, 19 Uhr,
       Hermann-Elflein-Str. 32, Potsdam).
       
       Es ist keine unsichtbare Hand, die den Traum verwirklicht. „Der Traum ist
       aus“, sang Reiser, „Aber ich werde alles geben, daß er Wirklichkeit wird.“
       
       24 Jun 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Hunglinger
       
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