# taz.de -- Fotografie und Geschlechterforschung: Den Sound spüren
       
       > „Wozu Gender?“, fragt die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift
       > „Fotogeschichte“. Ein Sammelband zu Körperpolitik und dem Frauenbild in
       > sozialen Medien.
       
 (IMG) Bild: Eine Frau macht ein Selfie während des Morgengebets anläßlich des Opferfestes in Indonesien
       
       „Wozu Gender?“, fragt das aktuelle Heft 155 der Zeitschrift Fotogeschichte.
       Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie und damit nach den
       geschlechtertheoretischen Ansätzen im Diskurs der
       Fotografiegeschichtsschreibung, der Möglichkeit eines neuen Wissens. Es
       geht um geschlechtlich bedingte Ein- und Ausschlüsse, die diese
       Geschichtsschreibung kennzeichnen; die Vergeschlechtlichungen von Techniken
       und Materialien, die im Feld des Fotografischen zu beobachten sind, oder
       auch um biologistische Metaphern.
       
       Kerstin Brandes von der Universität Oldenburg eröffnet das Heft mit ihrem
       Plädoyer für „Studien Visueller Kultur“ und ihrer Kritik an der von
       bekannten Vertretern des Fachs Kunstgeschichte lancierten Bildwissenschaft.
       Diese vertrete einen ontologisch gefassten Bildbegriff und betrachte Bilder
       somit als für sich stehende, autonome Gegenstände, kritisiert Brandes,
       während die Studien Visueller Kultur nach den visuellen Konstruktionen des
       Sozialen fragten, also was wem wo und wie zu sehen gegeben werde oder auch
       was für wen und wie unsichtbar gemacht werde.
       
       Daher befürchten die Bildwissenschaftler, etwa Peter Geimer in „Theorien
       der Fotografie zur Einführung“, von den Studien Visueller Kultur werde „das
       Bild in seiner Eigentümlichkeit kaum ernst genommen“, und noch schlimmer,
       es werde „die Übersetzbarkeit von Bildern in Sprache/Text angenommen“. Die
       unhintergehbare Notwendigkeit des Sprachlichen auch und gerade für die
       Bildbetrachtung als Verkennung des spezifisch Visuellen zu denunzieren
       deutet für Brandes auf „eine ungenügende und verfälschende Rezeption“ der
       Studien Visueller Kultur hin.
       
       Das Foto, das dann den nächsten Aufsatz „‚Black Box‘ Fotografie“ eröffnet,
       ist keines, das zur Betrachtung des „Bildes in seiner Eigentümlichkeit“
       einlädt. Dafür lädt es zur Betrachtung der Eigentümlichkeit der
       industriellen Einflussnahme auf die Farbfilmästhetik ein. Katharina Steidl,
       die Herausgeberin des Gender-Hefts, analysiert die Kodak Shirley Card, die
       an die Labore zum Farbabgleich verteilt wurde.
       
       Zu sehen ist ein unbekanntes weibliches Model mit schulterfreiem rotem
       Abendkleid und in gleicher Farbe geschminkten Lippen. Der Farbton ihres
       Dekolletés war so als Norm für die Hautfarbe gesetzt und abweichende
       Hautfarben „technologisch nicht nur ausgeklammert, sondern schlichtweg kaum
       abbildbar“.
       
       So zwingend die Überlegungen zu rassistischen und sexistischen
       Ausschlussmechanismen und Hierarchien sind, so gewagt ist Steidls These,
       die Vormachtstellung der kamerabasierten gegenüber der kameralosen
       Fotografie habe ihren Grund in der geschlechtlichen Einschreibung des
       jeweiligen Verfahrens. Demnach geriet Letztere ins Hintertreffen, weil das
       Fotogramm der minderwertigen weiblichen Sphäre zuspielte, mit seinen
       Pflanzen- und Musterabdrucken, die an Handarbeitsvorlagen erinnerten.
       
       ## Musterhafte Ausbildung im Lette-Verein
       
       Unerwartet ist der Befund, dass es um 1900 für Frauen eine bessere, weil
       auf einem Curriculum basierte und technisch avancierte Möglichkeit der
       fotografischen Ausbildung gab als für Männer – dank dem Berliner
       Lette-Verein. Anne Vittens Untersuchung „Unbequeme Konkurrentinnen?“ zu
       diesem weibliche Berufstätigkeit fördernden Bildungsverein weist darauf
       hin, wie wenig die schulische Ausbildung in der Fotografieforschung
       thematisiert wird. Obwohl der [1][Lette-Verein einen Jahrgang an
       Fotografinnen] nach dem anderen in den Berufsalltag entließ, den sie dann
       maßgeblich mitgestalteten.
       
       Dank dem Smartphone sind heute alle Frauen Fotografinnen – vor allem ihrer
       selbst. Denn das Selfie wird, wie wie Susanne Holschbach schreibt, gerne
       als spezifisch weibliche Fotopraxis gesehen und als solche abgewertet.
       Gleichzeitig wird die Selbstdarstellung in den sozialen Medien als wirksame
       Form weiblicher Selbstermächtigung gepriesen.
       
       Holschbach sieht nun tatsächlich ein Potenzial der sozialen Medien,
       Prozesse der Neukonfiguration des Frauen(selbst)bildes zu befördern, bei
       gleichzeitigem Noise, der es erschwert, zwischen Körperpolitik und
       narzisstischer Selbstdarstellung zu unterscheiden.
       
       ## Die Dominanz der lower frequencies
       
       Aufregend zu lesen ist vor allem Katrin Köpperts Beitrag „Modalitäten der
       Stille“ zu „Queerness, Fotografie und post-black art“. Zwar macht zunächst
       eine wenig geläufige Begrifflichkeit die Lektüre zu einem eher steinigen
       Weg zur Erkenntnis. Aber weil man sie sich wirklich erarbeitet, bleibt sie
       nachhaltig im Gedächtnis.
       
       Köppert beobachtet in Glenn Ligons fotografischem Projekt „A Feast of
       Scraps“, das Familienfotos und pornografische Aufnahmen schwarzer Männer
       mischt, eine „angespannte Stille“, der sie nachhört, methodisch orientiert
       an afroamerikanischen Theoretikern wie Tina Campt oder Fred Moten, die
       Fotografien im afroamerikanischen Kontext über ihr zugeschriebenen Sound
       analysieren.
       
       In ihm meint sie eine Dominanz der lower frequencies zu hören, die mehr
       spür- als hörbar sind, denen sie aber das Potenzial zuschreibt, eine Welt
       erkennbar zu machen, die noch nicht sichtbar ist, die aber kommen mag.
       
       1 Jun 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Brigitte Werneburg
       
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