# taz.de -- Kulturschaffende in Zeiten von Corona: „Vielen geht es richtig scheiße“
       
       > Schorsch Kamerun, Sänger von Die Goldenen Zitronen und Regisseur, im
       > taz-Gespräch über abgesagte Festivals und Theaterproben per Zoom.
       
 (IMG) Bild: Drohbrief am Auto in Schleswig-Holstein des Nachbarn aus Hamburg, Schorsch Kamerun hinter Traktor
       
       taz am wochenende: Herr Kamerun, wie leben und arbeiten Sie gerade? 
       
       Schorsch Kamerun: Wir sind nach Wochen des Homeoffice- Existierens auf St.
       Pauli als dreiköpfige Bagage nach Schleswig-Holstein durchgebrochen. Trotz
       Hamburger Kennzeichen völlig legal natürlich, als „Kernfamilienbesuch“. Vor
       Ort versuchen wir gerade gemeinsam mit dem verwegenen Ensemble des Münchner
       Residenztheaters qua digitaler Verbindung eine Radio-Preview-Premiere
       aufzunehmen. Am Ende soll ein sich steigerndes Triptychon aus Audio-, Film-
       und Bühnenaufführung für einen schnellstmöglichen Termin entstehen, geplant
       nach dem Menschenangst-Klassiker „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ von
       Fritz Lang und Thea von Harbou.
       
       Und das geht von der Küste aus? 
       
       Wie sagt man: den Umständen entsprechend. „Schmucke Gemüsebeilage“ nannte
       schon mein marschmusikbegeisterter Alter mein musisches Schaffen.
       Tatsächlich scheint der Neu-Startplatz für Künstler und Künstlerinnen
       gegenüber der vermeintlich relevanteren Wirtschaftswiederbeatmung derzeit
       ziemlich weit abgeschlagen.
       
       Größere Konzerte und Festivals sind für den Sommer 2020 komplett abgesagt.
       Wie hart trifft das die Bands und die Musikszene, mit der Sie verbunden
       sind? 
       
       Vielen geht es richtig scheiße. Das liegt auf der Hand, wenn das, was du
       machst, im Prinzip abgeschafft ist. Ich weiß von Bands, die in größere
       Vorleistungen gegangen sind, völlig unversichert. Es herrscht eine riesige
       Existenzangst in der Szene.
       
       Wird ein Club wie der Golden Pudel in Hamburg die jetzige Krise überstehen? 
       
       Das ist längst nicht abzusehen. Unbezahltes DJ-Streaming ist zum Teil
       wirklich cool. Weil es neu kombiniert wird mit guten politischen Formaten,
       aber Clubs werden so natürlich null zu retten sein.
       
       Sie selbst sind in den letzten Jahren hauptsächlich auf den Theaterbühnen
       präsent. Wie ist das nun, ruht da die Arbeit oder wie schaut es aus? 
       
       Na, wie gesagt, wir alle versuchen das, was „erlaubt“ ist. Wir müssen aber
       unser gegebenes Recht auf Arbeit noch viel lauter einfordern!
       
       Gehen Sie davon aus, dass es im Herbst weitergeht? Mit Gesichtsmasken und
       zwei Meter Abstand auf Bühnen und in den Zuschauerräumen? 
       
       Wir müssen selbst herausfinden und vorschlagen, wie man aufführen kann. Und
       wenn das mit Zuschauerdesinfektionsduschen à la Südkorea, Vollmasken,
       Plexiglasscheiben zwischen Publikum oder mit luftigen
       Umherschweifinstallationen passiert, dann ist das eben so. Ich glaube,
       darstellende Künste können extrem flexible Shows für sehr unterschiedliche
       Zuschauersituationen. Aber klar, [1][die großen Bühnen] sind für eine
       andere Teilnehmersituation gebaut. Übergangsweise sollte trotzdem, bei
       Einhaltung der Gebote, extrem erfinderisch gespielt werden, auch mit den
       vorhandenen Räumen. Wer Häuser nur geschlossen hält, hat nicht genug über
       adäquates Aufmachen nachgedacht.
       
       Ehrlich gesagt fürchte ich mich schon ein wenig vor einem Wettbewerb der
       Coronakritik-Überbietung in den kommenden Spielzeiten. Wie geht es Ihnen?
       
       Ich gehe davon aus, dass die pfiffigen unter den Kunstschaffenden allein
       wegen Begriffsausleierung keinen Bock drauf haben, das C-Wort zum führenden
       Spielzeitthema auszurufen. Also, wahrscheinlich nicht.
       
       Bietet die jetzige Phase der Entschleunigung eine Chance, das eigene Tun zu
       hinterfragen, oder stürzt die erzwungene Pause eher in Lethargie und
       Depression? 
       
       Bei aller Drastik der Situation, die Welt erscheint schon ein wenig
       sinnesreicher als zuletzt gewöhnt. So richtig mit echten Tiergeräuschen,
       Langgedanken, Materialausdünnung und ersten frei atmenden Humangeräuschen
       in den absaufenden Motorendiktaturen.
       
       Was halten Sie von den vielen Versuchen, abgesagte Live-Events aus Theater
       oder Konzertsaal in den virtuellen Raum zu verlegen? 
       
       Das kommt darauf an. Wenn es extra für das „Medium“ Internet gedacht ist,
       kann das gehen. Schwierig finde ich Rockkonzerte nur für Kameras, verbunden
       mit der Hoffnung auf crazy Atmosphäre, vergleichbar einem physisch lauten,
       beschwipsten Club. Pariser Tänzerinnen und Tänzer dagegen, die einen
       Collage-Film aus lockeren Impro-Pieces im privaten oder öffentlichen Raum
       nur fürs Netz aufgereiht haben, berühren vielleicht gerade sehr.
       
       „Schöner Moment trotz rosa Bein“ heißt es in einem der Texte, die Sie
       gerade für die geplante Inszenierung am Münchner Residenztheater
       geschrieben haben. Ein rosa Bein, ist das nicht grundsätzlich schön? 
       
       Unbedingt! Aber keinesfalls durchgesetzt. Jederzeit wird man jemanden
       finden, der augenblicklich bereit ist, so einen Rosabeinträger zu
       marginalisieren, zu bepöbeln oder gleich physisch anzugehen. Eben, „Nichts
       hört auf“ ist ein weiterer Text aus unserem Vorbereitungsmaterial
       überschrieben, an dem wir gerade rumskypen, dropboxen und wetransfern. Bis
       wir uns wieder treffen und „unseren Job“ richtig machen können.
       
       Aktuelle Texte von Schorsch Kamerun für Bühne und Hörspiel: 
       
       1. „Schöner Moment trotz rosa Bein“ 
       
       Gestern Nacht ging ich durch einen dunklen Park. Es kam mir jemand
       entgegen. Das Gesicht konnte ich gut sehen, weil er telefonierte. Also,
       weil sein Handydisplay wie eine Gesichtsbeleuchtungs-Laterne wirkte. Ein …
       gut aussehender, aber auch ein … durchschnittlicher Münchner … dachte ich,
       als er mich passiert hatte. Ich schaute ihm noch eine Weile nach. Sein
       Handylichtgesicht verschwand ganz ruhig, ganz langsam in der Dunkelheit.
       Der ruhige Flug eines Glühwürmchens. Ohne jedes Geflacker. Er hatte sich
       also nicht nach mir umgedreht, war einfach immer weitergegangen. Als wäre
       ich unauffällig gewesen. Ein gänzlich unverdächtiger Mensch. Das war der
       schönste, der wertvollste Moment seit langer Zeit. Meistens ist es leider
       anders. Manchmal ist es … dazwischen. Scheiß drauf. Läuft nicht Jede mit
       ’nem rosa Bein durch die Straßen. 2. „Ab ins Warme“
       
       Strophe A: 
       
       Und es scharrt sich das Bibbern
       
       Unverstelltes Zittern
       
       Hinter die Rücken Unter die Brücken Bridge: Wir suchen die strenge
       Beleuchtung Und meiden verhuschte Bedeutung Für verrostet geglaubte
       Schranken Tun wir uns artig bedankenRefrain: Nichts wie ab ins WarmeIn die
       starken Arme Strophe B:Was einst ungeliebteHerrschverrückte Sind die Stars
       der Szene Denn nur sie zeigen ZähneBridge: Wir achten die flache Begrenzung
       Und leiden an querer Bepflanzung Vor zurückerrichteten SchrankenProduziern
       sich potente GedankenRefrain: Nichts wie ab ins WarmeIn die starken
       ArmeSprech-Teil: Oh je, oh je. Ganz schön hart die Brocken. Überall
       teuflische, sehr schwerwiegende Gefahren mit unbekannten, dunklen Melodien.
       Gewichtige, epische Krisen sind das, in immer neuen Angebotskisten, die man
       abzukaufen hat. Glücklich jene, welche die geforderten Passierscheine
       erhalten, mit denen es sich weiter vorwärtskommen lässt. Da! Da, Achtung!
       Oh je, oh je, das nächste Unglück, oh je, oh je, schwer, schwer. Das sagen
       sie jedenfalls.Refrain:Also, nichts wie ab ins Warme In die starken Arme3.
       „Nichts hört auf“Die Grenzen hören nicht auf / Die Schilder hören nicht auf
       / Die Zäune hören nicht auf / Die Ordnungen hören nicht auf / Die Formeln
       hören nicht auf / Zensuren und Orden hören nicht auf (gegeben zu werden) /
       Automaten hören nicht auf / Die Uhren hören einfach nicht auf / Die
       Erzieher, die Lehrer, die Ausbilder hören nicht auf / Die
       Stammtischpolitiker hören nicht auf / Die Soldaten hören nicht auf /
       Panikmacher, Denunzianten und Beschuldiger hören nicht auf / Wenn? Dann!
       hört nicht auf / Die Heimatminister hören nicht auf / Die Kreuzfahrer, die
       Inbesitznehmer, fahren weiter kreuz und quer, gegen Mensch und Meer / Die
       Rassisten, die Faschisten, die Populisten – die Macker und Kacker, die
       Chauvinisten auf den Pisten … hören nicht auf … sie alle, hören einfach
       nicht auf, auch wenn es manchmal so scheint, als ob es ihnen ein wenig die
       Sprache verschlägt, also wenn es drauf ankommt … und obwohl in Venedig die
       Delphine zurückkehren in die Stadt, wegen dem temporären Weniger, wird das
       alles nicht aufhören, wir aber auch noch besser aufpassen auf all das und
       auf uns selber.
       
       27 Apr 2020
       
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