# taz.de -- #MeToo-Film „The Assistant“ – Berlinale: Die Praktiken ihres Chefs
       
       > Die Regisseurin Kitty Green erzählt in ihrem Spielfilmdebüt „The
       > Assistant“ präzise von #MeToo. Übergriffige Männer zeigt sie keine.
       
 (IMG) Bild: Jane (Julia Garner) begreift nach und nach, was ihr Vorgesetzter so treibt
       
       Am Anfang ist tiefe Nacht. Eine Limousine mit Fahrer wartet vor einem Haus.
       Das Haus ist zweigeschossig, schmucklos, irgendwo in Queens, Astoria. Eine
       junge Frau steigt zu, das Auto setzt sich in Bewegung. Der Blick aus dem
       Wageninneren gibt die Fahrtrichtung zu erkennen: Manhattan.
       
       Genau einen Arbeitstag im Leben von Jane, so der Name der Frau, begleitet
       der Spielfilm „The Assistant“ von Kitty Green. Jane hat vor Kurzem bei
       einer großen New Yorker Produktionsfirma angefangen, sie ist die
       titelgebende Assistentin des namenlosen Chefs dieser Firma. Ihre Aufgaben
       umfassen neben dem Organisieren von Terminen und Ausdrucken von Dokumenten
       noch andere Dinge, für die sonst anderes Personal zuständig ist.
       
       So sieht man Jane eingangs, sie ist augenscheinlich die Erste bei der
       Arbeit, wie sie das Büro ihres Chefs aufräumt. Sie findet einen filigranen
       goldenen Ohrring auf dem Teppich, lässt ihn in ihrer Schreibtischschublade
       verschwinden. Das Sofa, vor dem der Fund gelegen hatte, bearbeitet sie mit
       Reinigungsmittel.
       
       „The Assistant“ ist das Spielfilmdebüt der australischen Regisseurin Kitty
       Green. Auf der Berlinale war sie zuvor schon mit dem Dokumentarfilm
       „Casting JonBenet“ über den Mord an einer sechsjährigen Schönheitskönigin
       im Panorama vertreten gewesen. Jetzt hat sie ein hochaktuelles Thema
       fiktionalisiert: den Weinstein-Skandal und die #MeToo-Bewegung. Greens
       Zugang ist einerseits höchst präzise, vermeidet andererseits allzu
       vordergründige Darstellungen und erzielt seine starke Wirkung gerade in
       seinen Auslassungen.
       
       So spielt Julia Garner die ehrgeizige Berufsanfängerin Jane als eine
       unscheinbare, unter ihren Kollegen mitunter unsichtbare Kraft, die still
       und zuverlässig den Zeitplan ihres Chefs managt. Wenn ihre männlichen
       Zimmernachbarn mal ein unangenehmes Gespräch, etwa mit der Frau des Chefs,
       nicht selbst annehmen wollen, übernimmt sie. Und handelt sich prompt Ärger
       mit dem Chef selbst ein, vornehmlich weil es zwischen den Eheleuten nicht
       zum Besten zu stehen scheint.
       
       ## Im Bild taucht er nie auf
       
       Kitty Green zeigt das Geschehen dabei stets aus Janes Perspektive. Wenn der
       Chef bei ihr anruft, hört man seine Stimme undeutlich durch ihren
       Telefonhörer, während man in Nahaufnahme auf Janes konzentriert
       angespanntes Gesicht blickt. Der Chef selbst wird allenfalls noch durch die
       Zimmertür hindurch zu hören sein, im Bild taucht er nie auf.
       
       Trotzdem kreist Janes komplette Aktivität um diesen omnipräsenten
       Abwesenden. Spätestens wenn sie seine Bestände an Alprostadil, einem
       Medikament, das bei Erektionsstörungen indiziert ist, auffüllt, ist der
       Zusammenhang mit dem Skandal um Harvey Weinstein klar, ohne dass man ein
       einziges Mal einen Mann im Bild gehabt hätte, der eine Frau belästigt.
       
       Jane ist sich der Dinge, die sich hinter ihrem Rücken so abspielen, wohl
       selbst erst nicht ganz bewusst. Was für das Drehbuch eine dankbare
       Strategie ist, denn so kann das Publikum mitverfolgen, wie sich bei Jane
       mehr und mehr die Augen öffnen für die Praktiken ihres Chefs. Der eine
       jüngere Assistentin einstellt, obwohl diese außer Kellnern keine großen
       Kenntnisse hat. Und ihr ein Hotel reservieren lässt, zu dem Jane den
       Neuzugang begleiten „darf“. Wie Jane im Taxi erfährt, hatte die neue
       Kollegin am Rande eines Kongresses gekellnert, bei dem der Chef zugegen
       war, und dessen Aufmerksamkeit erregt.
       
       ## Stillschweigendes Wissen der übrigen Kollegen
       
       Im Aufeinanderprallen von Janes lakonischem Registrieren der Vorgänge um
       sie herum, dem stillschweigenden Wissen der übrigen Kollegen um die
       Machenschaften ihres Chefs, das diese mitunter durch zynische
       Randbemerkungen offenbaren, und den vielen sprechenden Details, die Green
       dem Publikum unkommentiert präsentiert, ergibt sich die Spannung dieses
       Films. Der auch in der Tonspur keine Musik benötigt, um seinen Punkt zu
       machen.
       
       Die teils am Rand der Hörbarkeit eingesetzte Sprache, das Grundbrummen der
       Büroinfrastruktur, ein gelegentliches gedämpftes Rumpeln, wenn der Chef
       sich mal wieder über einen Angestellten aufregt – diese Elemente genügen,
       um die Sinne zu schärfen und die Handlung auch akustisch voranzutreiben.
       
       Am Ende sieht man Jane als Letzte das Büro verlassen und ein Deli auf der
       gegenüberliegenden Straßenseite ansteuern. Sie wird eine andere geworden
       sein. Fast ohne dass etwas Greifbares geschehen wäre.
       
       29 Feb 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tim Caspar Boehme
       
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