# taz.de -- Interview mit Berliner CDU-Chef: „Mit mir gibt es keinen Rechtsruck“
       
       > CDU-Landeschef Kai Wegner sieht bei den Berliner Christdemokraten eine
       > Mehrheit für Friedrich Merz als Bundesparteichef. 2021 will er
       > mitregieren.
       
 (IMG) Bild: Kai Wegner und seine Stellvertreterin Manja Schreiner beim Bundesparteitag der CDU im November 2019
       
       taz: Herr Wegner, Sie haben uns beim Großthema CDU-Vorsitz verwirrt … 
       
       Kai Wegner: Das war nicht meine Absicht.
       
       …. denn Sie mochten sich erst nicht auf einen Favoriten festlegen und
       wollten einen Vorschlag der Parteiführung abwarten – doch kaum zwanzig
       Stunden später haben Sie sich ohne einen solchen Vorschlag hinter Friedrich
       Merz gestellt. 
       
       Mir war sehr schnell klar, dass die CDU sich nicht in langwierigen,
       lähmenden Personaldebatten verlieren darf. In den letzten Wochen bin ich
       persönlich immer mehr zu der Überzeugung gelangt, dass die CDU jetzt
       jemanden wie Friedrich Merz braucht. In der Berliner CDU gibt es auch
       Unterstützung für Jens Spahn und auch Unterstützung für Armin Laschet –
       aber ich spüre auch eine breite Mehrheit an der Basis der Berliner CDU, die
       sagt: Friedrich Merz soll es werden.
       
       Und als Merz’ Ambitionen öffentlich wurden, war keine Zurückhaltung mehr
       geboten? 
       
       Nach meinem Gespräch mit der taz gab es noch sehr viele Telefonate und
       verschiedene Begegnungen mit Menschen aus der Partei und der
       Stadtgesellschaft. Danach habe ich entschieden, meine Haltung öffentlich zu
       machen.
       
       Wieso Merz? Was kann er, was Laschet nicht kann? 
       
       Zuallererst gilt: Wir brauchen alle drei. Armin Laschet, weil er für
       starkes Regierungshandeln in Nordrhein-Westfalen steht, Jens Spahn, weil er
       für mich einer der besten, wenn nicht der beste Bundesminister ist. Doch
       wir brauchen auch noch mehr Köpfe in einem solchen Team: Selbstverständlich
       müssen auch Frauen dazugehören und Persönlichkeiten mit einem klaren
       sozialpolitischen Profil. Ich will ja keine Merz-, Spahn- oder Laschet-CDU,
       ich will, dass wir die starke Volkspartei der Mitte bleiben.
       
       Aber noch mal: Was ist Merz’ Alleinstellungsmerkmal? 
       
       Was ihn hervorhebt, ist: Er kann für einen richtigen Aufbruch sorgen. Viele
       Mitglieder sagen: Wenn Merz kommt, bin ich wieder dabei – er sorgt für
       Mobilisierung in den eigenen Reihen. Er ist einer, der immer eine klare
       Position hat. Das ist wichtig, auch in der politischen Mitte und gerade in
       Abgrenzung zur SPD. Deshalb wünsche ich mir ihn als Vorsitzenden, aber die
       anderen gehören zu einem starken Führungsteam dazu.
       
       Team, Team, Team – letztlich sagt doch die Nummer 1, wo’s langgeht. Guido
       Westerwelle hat das mal so formuliert: „Auf jedem Schiff, das dampft und
       segelt, gibt’s einen, der die Sache regelt, und das bin ich.“ 
       
       Ich vergleiche das immer mit dem Fußball: Sie können einen noch so guten
       Mannschaftskapitän haben – wenn der keine guten Leute um sich herum hat,
       wird er keinen Erfolg haben. Bei mir ist das als Landesvorsitzendem auch
       so: Ohne Team geht es nicht. Einer muss eben – da stimmt der
       Westerwelle-Satz – der Kopf sein, der dieses Team zusammenhält und anführt.
       
       Merz, Laschet, Spahn, jetzt auch noch Norbert Röttgen – dürfen bei dieser
       Vorsitz-Sache eigentlich nur Nordrhein-Westfalen mitmachen? 
       
       Nein (lacht). Der – oder die – Vorsitzende wird da für einen Ausgleich
       sorgen müssen: Ost – West, Stadt – Land, die Gegensätze müssen im
       Führungsteam vertreten sein. Das macht ja am Ende des Tages auch eine
       Volkspartei aus.
       
       Vier Männer also, die das unter sich klären. Okay, hat ja auch lange genug
       eine Frau regiert und die Partei geführt, könnten Sie sagen. Aber Rita
       Süssmuth hat gerade erst Parität bei Listenplätzen gefordert. 
       
       Ganz klar, zu so einem Team müssen auch Frauen gehören. Selbstverständlich
       sind deshalb in meinem Vorstand auch 50 Prozent Frauen. Doch noch wichtiger
       ist mir das inhaltliche Angebot. Denn viele Frauen wünschen sich ein
       Politikangebot, das sie als Frau anspricht.
       
       Ist man nicht auch bei der CDU längst darüber hinweg, bestimmte
       Politikfelder Frauen zuzuordnen? 
       
       Ich glaube, das ist nicht so. Frauen haben oft einen ganz anderen Blick auf
       Themen …
       
       … aber interessieren sich doch nicht per se weniger etwa für Verkehr,
       Sicherheit oder Umwelt.
       
       Na klar bewegt das auch die Frauen. Aber nehmen wir mal die Vereinbarkeit
       von Familie und Beruf: Da habe ich lange gedacht: alles prima in
       Deutschland. Seit ich selbst Papa bin, weiß ich, dass wir da viel
       Nachholbedarf haben. Das sind Punkte, bei denen ich sehe, dass sie die
       Frauen besonders stark bewegen und wo wir mehr tun müssen.
       
       Das bringt aber nicht mehr Frauen in die CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus,
       wo ihr Anteil zehn Prozent beträgt. 
       
       Das stimmt, und da bin ich auch in Gesprächen mit der Frauen-Union. Für
       mich ist entscheidend, dass wir am Ende mehr Frauen gewinnen und sie
       bestärken, Ämter und Mandate für die CDU zu übernehmen. Denn mein Anspruch
       ist es, dass die CDU die Gesellschaft abbildet. Wir brauchen definitiv bei
       der nächsten Wahl einen deutlich höheren Anteil an Frauen auch im
       Abgeordnetenhaus.
       
       Kommen wir mal zur AfD. Die Brandmauer steht, ist immer wieder zu hören.
       Aber was heißt das konkret? Ist im Parlament ein Ja zu einer
       Geschäftsordnungsfrage noch okay? Und was macht die CDU, wenn die AfD einen
       pragmatischen bürgernahen und unstrittigen Antrag stellt, den Sie auch im
       Kopf hatten? 
       
       Wenn wir einen Antrag einbringen, und die AfD stimmt dem zu, werde ich
       meinen Antrag nicht zurückziehen.
       
       Aber wenn so ein Antrag mit CDU-Inhalt eben von der AfD kommt? 
       
       Mir sind keine Anträge der AfD bekannt, wo man sagen müsste: Hurra.
       
       In einem Bezirksparlament dürfte das aber schon mal der Fall sein – je
       kommunalpolitischer, desto eher. 
       
       Kommunalpolitik ist ja noch mal was anderes – für das Schlagloch braucht
       man keine Ideologie, sondern eine pragmatische Lösung. Meine klare Ansage
       als Landesvorsitzender in Richtung AfD ist: Es wird weder Gespräche noch
       Zusammenarbeit noch eine Abhängigkeit von der AfD geben. Ich sehe die
       Entwicklung der AfD mit größter Sorge, die radikalisiert sich immer weiter.
       Diese „Flügel“-Truppe um Höcke halte ich für brandgefährlich. Trotzdem gilt
       auch: Wenn die AfD morgen behaupten würde, die Erde sei eine Kugel, würde
       ich nicht sagen: Nein, die Erde ist eine Scheibe.
       
       Friedrich Merz meint, er könne die AfD halbieren – was heißt das nach Ihrem
       Verständnis in konkrete Politik umgesetzt? Da müsste die CDU abgewanderten
       Wählern ja ein Angebot machen. 
       
       Zur Wahrheit gehört ja auch: Die AfD speist sich aus Wählern von praktisch
       allen etablierten Parteien. Sie sind abgewandert, weil sie das Vertrauen
       verloren haben: nicht in die Politik, aber in die seit Langem agierenden
       Parteien. Ich spüre überhaupt keine Politikverdrossenheit, sondern viel
       Interesse – aber es gibt einen Verdruss über Parteien. Die Aufgabe ist
       also, Vertrauen dort zurückzugewinnen, wo wir die Erwartungen an uns
       enttäuscht haben. Das gilt auch für Berlin und unsere Regierungszeit von
       2011 bis 2016.
       
       Nennen Sie mal ein Beispiel. 
       
       Wenn ich mit Polizeibeamten spreche, höre ich, dass die Erwartungshaltung
       eine enorm hohe war, als wir den Innensenator stellten. Es hat sich ja was
       geändert, aber diese hohen Erwartungen haben wir nicht erfüllt. Ich glaube,
       wir waren 2011 auch nicht optimal vorbereitet auf Regierungsverantwortung,
       und deshalb arbeite ich daran, dass die CDU 2021 bei der
       Abgeordnetenhauswahl bestmöglich vorbereitet ist. Das ist die Aufgabe für
       mich als Landesvorsitzenden, und auf Bundesebene gilt das Gleiche für den
       nächsten Bundesvorsitzenden.
       
       Die Frage war ja die nach konkreten Angeboten für AfD-Wähler. Vertrauen
       zurückgewinnen ist das eine. Aber es müsste ja auch ein inhaltliches
       Angebot für die nach rechts außen Abgewanderten geben – und dann sind wir
       eben doch bei einem Rechtsruck der CDU. 
       
       Mit mir wird es keinen Rechtsruck geben. Die Frage ist ja immer: Was ist
       rechts? Die CDU war immer die Partei von Sicherheit und Ordnung, die Partei
       des Rechtsstaats, und das muss auch wieder ihr unverwechselbarer Markenkern
       werden. Mein Eindruck ist, dass viele Menschen nicht mehr das Gefühl haben,
       dass der Rechtsstaat durchgesetzt wird. Wenn die Verteidigung des
       Rechtsstaates, die Verteidigung von Demokratie und Freiheit, ein Rechtsruck
       ist, dann haben wir ein Problem in unserer Gesellschaft.
       
       Sie geben sich immer so zuversichtlich, nach der nächsten
       Abgeordnetenhauswahl tatsächlich mit zu regieren. Was macht Sie da so
       sicher? 
       
       Drei Punkte will ich dazu nennen. Zum einen stelle ich fest, dass dieser
       rot-rot-grüne Senat so unbeliebt ist wie kein anderer vor ihm.
       
       Und doch hat Rot-Rot-Grün trotz aller Unzufriedenheit, trotz allen internen
       Streits in Umfragen aktuell auf 57 Prozent zugelegt – bei der Wahl 2016
       waren es nur 52,4 Prozent. 
       
       Viele Menschen sagen leider: Eine andere Partei, die ich wählen kann, gibt
       es ja gar nicht – die nehmen die CDU noch nicht als Alternative wahr. Daran
       müssen wir weiterarbeiten. Die Berlinerinnen und Berliner müssen merken:
       Die CDU ist viel offener und moderner, als wir denken: Die CDU hört zu,
       nimmt die Sorgen und Nöte ernst und hat einen Plan für die Zukunft unserer
       Stadt. Dafür haben wir noch eineinhalb Jahre Zeit. Der zweite Punkt ist,
       dass ich einen wirklichen Aufbruch in unserer Partei spüre. Ich höre sehr
       oft den Satz: „Ich habe jetzt wieder richtig Lust, mich zu engagieren.“
       
       Und Punkt drei? 
       
       Dieser Senat ist so uneins wie kaum einer vor ihm. Die SPD macht gerade mit
       den Grünen, was schon die Linkspartei vor 2011 erlebt hat und was danach
       für uns galt: Wenn es der SPD nicht gut geht, sind immer die anderen
       schuld, also wird kräftig ausgeteilt gegen den Koalitionspartner. Ich
       wundere mich, dass die Grünen das mit sich machen lassen.
       
       Es spricht Ihnen auch kaum einer ab, viel unterwegs zu sein und Ihre
       Parteifreunde zu begeistern – aber außerhalb dieser 12.000 Mitglieder
       schlägt sich das nicht nieder: Als Sie vor knapp einem Jahr ankündigten,
       Vorsitzender werden zu wollen, lag die CDU bei 20 Prozent, aktuell sind es
       gerade mal noch 16. 
       
       Natürlich wünsche ich uns bessere Werte. Aber wenn man einmal Vertrauen
       verloren hat, übrigens auch auf Bundesebene, dann ist das nachhaltig.
       Vertrauen zurückzugewinnen braucht Zeit. Das spornt mich an. Die CDU wird
       sich weiterentwickeln, 2020 wird das Jahr der Ideen.
       
       „Jahr der Ideen“ klingt wie eine Beratersprechblase – können Sie das ein
       bisschen erden?
       
       Nachdem wir mit unserer Idee des „Klimawaldes“ am Tempelhofer Feld und
       einer behutsamen Randbebauung für 20.000 Menschen überraschen konnten,
       wollen wir weiter daran anknüpfen. Wir haben beispielsweise am 6. Juni
       unseren Parteitag zum Thema Mobilität. Da wird die CDU einige neue Pflöcke
       einrammen.
       
       Was ist denn da Ihre Vision? 
       
       Für Berlin stelle ich mir weder eine autogerechte Stadt noch eine
       fahrradgerechte Stadt vor, sondern ich möchte eine menschengerechte Stadt,
       die allen unterschiedlichen Mobilitätsbedürfnissen der Berlinerinnen und
       Berliner gerecht wird. Nicht das Gegeneinander, das ich vor allem bei
       grünen Verkehrssenatorin erlebe, sondern das Miteinander soll im
       Vordergrund stehen. Ich möchte, dass Berlin besser regiert wird.
       
       Und mit einer grünen Regierungschefin und der CDU als Juniorpartner wäre
       das so? 
       
       Mit einer CDU-Regierungschefin oder einem CDU-Regierungschef garantiert.
       
       Dann müssten Sie ja noch mehr zulegen. 
       
       Die Grünen vier, fünf Prozent runter, wir vier Prozent hoch, schon sind wir
       auf Augenhöhe – das ist möglich. Wir sehen es doch jetzt vor der Wahl in
       Hamburg: Wenn es konkret wird, verlieren die Grünen an Zustimmung. Die
       Berliner Grünen profitieren vom Rückenwind, der von der Bundesebene kommt –
       das ist nicht selbst verdient. Mein Ziel ist es, dass die CDU bei der
       nächsten Wahl stärkste Kraft wird.
       
       20 Feb 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Alberti
       
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