# taz.de -- Interview mit Europapolitikerin Barley: „Wir müssen endlich loslegen“
       
       > Katarina Barley (SPD) hat im Juli noch gegen Ursula von der Leyen als
       > Kommissionschefin gestimmt. Was hat sich seitdem verändert?
       
 (IMG) Bild: Katarina Barley hat gegen Ursula von der Leyen gestimmt, hat aber persönlich nichts gegen sie
       
       taz: Frau Barley, die neue EU-Kommission steht, fehlt noch grünes Licht aus
       dem Europaparlament, die Abstimmung findet am Mittwoch statt. Wie schätzen
       Sie das Team um Ursula von der Leyen ein? 
       
       Katarina Barley: Ich habe weiter Bedenken, vor allem mit dem Dossier
       Ungarn. Dass Ungarn die Zuständigkeit für die EU-Erweiterung bekommt, halte
       ich nach wie vor für falsch. Es kann doch nicht angehen, dass ein Land, das
       selbst Probleme mit dem Rechtsstaat hat, nun über Fortschritte bei der
       Rechtsstaatlichkeit in der Türkei und auf dem Balkan wachen soll. Außerdem
       ist das französische Dossier immer noch zu groß. Der neue
       Binnenmarktkommissar Thierry Breton soll sich um zu viele, sehr
       unterschiedliche Themenfelder kümmern.
       
       [1][Breton soll den Binnenmarkt, die Industrie, Rüstung, den Weltraum und
       Digitales betreuen]. Warum hat das Parlament das nicht verhindert? 
       
       Das kommt ja nicht aus dem Parlament, das ist die Denke der Regierungen.
       Ein großes Land fordert für seinen Kommissar so viele Kompetenzen wie
       möglich. Wir erleben eine Machtverlagerung von der Kommission zum Rat.
       (Vertretung der EU-Mitgliedsländer; Anm. der Red.) Da kann man sich als
       Parlament nicht zu hundert Prozent durchsetzen. Dennoch haben wir einiges
       erreicht.
       
       Was steht denn auf der Habenseite? 
       
       Wir Sozialdemokraten haben beispielsweise durchgesetzt, dass der
       Migrationskommissar nicht mehr für den „Schutz der europäischen
       Lebensweise“ verantwortlich ist, sondern für deren Förderung. Damit ist
       klar, dass es nicht um eine Abschottung der EU vor Migration gehen soll,
       wie es vorher aussah. Außerdem haben wir das Aufgabenportfolio für den
       künftigen Sozialkommissar Nicolas Schmitt geändert. Er ist nun nicht nur
       einfach für mehr Jobs verantwortlich, sondern auch für soziale Rechte. Das
       ist ein wichtiger Unterschied zu den Marktliberalen!
       
       Reicht das, um der neuen EU-Kommission zuzustimmen? [2][Im Juli haben Sie
       noch gegen von der Leyen gestimmt.]
       
       Ja, ich musste mit Nein stimmen. Dabei mag ich sie persönlich, wir kennen
       uns gut und haben auch in Brüssel noch Kontakt. Aber diese grundsätzliche
       Entscheidung ist gefallen, jetzt geht es um die Kommission. Es ist wichtig,
       dass wir endlich loslegen können. Wir stehen alle in den Startlöchern und
       wir sind guten Willens. Das Europaparlament ist sehr konstruktiv!
       
       Das müssen Sie erklären. In vielen Hauptstädten heißt es, man könne sich
       beim neuen Europaparlament auf nichts mehr verlassen … 
       
       Dass es zuletzt so turbulent zuging, hat sich der Rat leider selbst
       zuzuschreiben. Er ist wenig respektvoll mit dem Parlament umgegangen und
       vom Spitzenkandidatenprinzip abgewichen. Der Rat hat dies sehenden Auges
       getan: Das Parlament hat 2018 sogar einen Beschluss gefasst, in dem es den
       Rat warnt, dass es nach der Europawahl nur eine oder einen
       Spitzenkandidaten zum Kommissionspräsidenten wählen wird. Deshalb mussten
       wir uns wehren. Aber mittlerweile gibt es eine konstruktive Zusammenarbeit
       mit von der Leyen.
       
       Die neue Kommissionspräsidentin hat aber noch keine eigene, proeuropäische
       Mehrheit. Die große Koalition zwischen Konservativen und Sozialdemokraten
       ist zerbrochen … 
       
       … aber es gibt immer noch eine sehr vernünftige Mehrheit im
       Europaparlament. Allerdings ist sie kein Selbstläufer mehr, so ist das nun
       einmal in der Demokratie!
       
       Der Elan aus der Europawahl ist verflogen. Rechnen Sie trotzdem noch mit
       einem Aufbruch für Europa, wie ihn Berlin versprochen hat? 
       
       Ja, darauf warten alle. Und ich denke, dass wir Sozialdemokraten mit dem
       Vizekommissionspräsidenten Frans Timmermans für den nötigen Schwung sorgen
       können. Damit er beim Klimaschutz durchstarten kann, braucht er allerdings
       auch die nötigen Mittel. Deshalb wird die mittelfristige Finanzplanung so
       wichtig – und die Haltung der Bundesregierung in Berlin. Ohne mehr Geld
       kann der Neustart in Brüssel nicht gelingen.
       
       22 Nov 2019
       
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