# taz.de -- Neue EU-Kommission: Europäischer Etikettenschwindel
       
       > Ursula von der Leyen hat zu viele Wünsche erfüllt. Einige ihrer
       > KandidatInnen sind völlig ungeeignet für den vorgesehenen Posten.
       
 (IMG) Bild: Ursula von der Leyen stellt ihr „Dreamteam“ vor
       
       Auf dem Papier sieht sie gut aus, die [1][neue EU-Kommission um Ursula von
       der Leyen]. Die erste Frau an der Spitze der mächtigen Brüsseler Behörde
       hat alle Wünsche erfüllt, die ihr die Staats- und Regierungschefs der EU
       bei der umstrittenen Nominierung im Juli aufgetragen haben.
       
       Die Kommission ist weiblicher geworden, die versprochene Parität wurde nur
       knapp verfehlt. Sie ist politisch einigermaßen ausgewogen, auch wenn Grüne
       kaum und Linke gar nicht eingebunden wurden. Und die bisher
       vernachlässigten Süd- und Osteuropäer haben wichtige Posten bekommen.
       
       Margrethe Vestager, Vera Jouriva und Sylvie Goulard werden die neuen
       „starken Frauen“ in Brüssel sein – neben von der Leyen natürlich, die alle
       Strippen zieht. Mit dem Letten Valdis Dombrovskis wird der Osten
       aufgewertet, mit dem Italiener Paolo Gentiloni der Süden.
       
       Und dass der Ire Phil Hogan künftig für den Handel zuständig sein wird, ist
       ein starkes Signal an die Briten. Nach dem Brexit – wenn er denn kommt –
       wollen sie ein Freihandelsabkommen mit der EU aushandeln. Irland sitzt
       dabei nun in der ersten Reihe.
       
       Doch das „Dreamteam“ hat ein Problem: Die Ressorts wurden einzelnen
       Kommissaren auf den Leib geschnitten – aber nicht so, dass es der Sache
       dient, sondern der Person beziehungsweise dem dahinter stehenden EU-Land.
       Zudem hat sich von der Leyen wohlklingende Titel ausgedacht, die sich bei
       näherer Betrachtung als Etikettenschwindel erweisen.
       
       ## „Europäischer Lebensstil“
       
       Besonders krass ist das Beispiel Margaritis Schinas. Der Grieche, der
       bisher Chefsprecher von Kommissionschef Jean-Claude Juncker war, soll sich
       darum kümmern, „unseren europäischen Lebensstil (zu) schützen“. Dahinter
       verbirgt sich aber nicht etwa die Kultur oder die Ernährung, sondern die
       Abwehr von „irregulären“ Migranten.
       
       Kein Wunder, dass diese Nominierung auf Widerstand stößt. Das Etikett sei
       „beängstigend“, schrieb die grüne Ko-Fraktionsvorsitzende Ska Keller. Sie
       hoffe, dass von der Leyen „keinen Widerspruch zwischen der Unterstützung
       für Flüchtlinge und europäischen Werten sieht“. Auch andere Abgeordnete
       wollen das nicht durchgehen lassen.
       
       Ebenfalls mit Gegenwind rechnen muss die neue Kommissarin für „Werte und
       Transparenz“, die Tschechin Věra Jourová. Sie ist Mitbegründerin der
       populistischen Partei ANO von Ministerpräsident Andrej Babiš, gegen den
       wegen Betrugsverdachts ermittelt wurde. Dass ausgerechnet Jourová für
       Rechtsstaat und Demokratie zuständig sein soll, ist nicht nur für viele
       Tschechen ein Hohn.
       
       Selbst noch an der „Wirtschaft für die Menschen“ muss man zweifeln. Hinter
       der wohlklingenden Jobbeschreibung für Dombrovskis verbergen sich nämlich
       so kritische Themen wie Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und
       Kapitalmarktunion. Es geht mehr um marktkonforme Demokratie als um den
       Schutz der Arbeitnehmer.
       
       Auch die Kommissionspräsidentin sorgt für kognitive Dissonanz. Sie
       verspricht mehr Klimaschutz und Soziales, ihre Bewerbungsrede im
       Europaparlament klang phasenweise wie ein rot-grünes Regierungsprogramm. In
       der Praxis will sie aber für jedes neue EU-Gesetz ein altes abschaffen –
       was in der Vergangenheit meist Sozialabbau bedeutete.
       
       Außerdem hat sie Verteidigung, Rüstung und „Geopolitik“ zu neuen
       Schwerpunkten der Europapolitik erklärt. Die ehemalige deutsche
       Verteidigungsministerin will sogar eine neue Generaldirektion
       „Verteidigungsindustrie und Rüstung“ schaffen und die europäischen
       Waffenschmieden aus EU-Mitteln subventionieren.
       
       Bei ihrer Bewerbung hat sie davon nichts gesagt. Auch jetzt bekennt sie
       nicht wirklich Farbe. Das Motto ihrer Kommission heißt „Eine Union, die
       mehr erreichen will“. Fragt sich nur, was.
       
       11 Sep 2019
       
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