# taz.de -- Bundestag beschließt Migrationspaket: Zu kompliziert für Abgeordnete
       
       > Die durch den Bundestag gepeitschten sieben Gesetze werden mit Stimmen
       > der Groko angenommen. Kritik kommt von Grünen und Linken.
       
 (IMG) Bild: Seehofer doppelt und dreifach am Freitag im Bundestag
       
       Berlin taz | Helge Lindh ist sauer. „Wenn es nach Ihnen geht, steht jetzt
       hier ein Unmensch und Anbiederer an die AfD vor Ihnen“, schleudert der
       SPD-Bundestagsabgeordnete zu Beginn seiner Rede den Fraktionen von Grünen
       und Linkspartei entgegen.
       
       Die beiden Oppositionsparteien hatten die Sozialdemokraten zuvor scharf für
       ihre Zustimmung zum sogenannten [1][„Geordnete Rückkehr-Gesetz“]
       kritisiert, das am Freitag als Teil eines Gesetzespakets zur
       Migrationspolitik im Bundestag beschlossen wurde. In namentlicher
       Abstimmung votieren 372 von 641 Parlamentariern schließlich dafür.
       Lediglich acht SPD-Abgeordnete verweigern dem Gesetz ihre Stimme.
       
       Das Gesetz trägt die Handschrift von Innenminister Horst Seehofer (CSU) und
       soll Abschiebungen erleichtern. Unter anderem sieht es vor, dass
       Abzuschiebende künftig wie Strafgefangene in regulären Haftanstalten
       untergebracht werden können.
       
       Konstantin von Notz, Innenpolitiker der Grünen, nennt das Gesetz einen
       Angriff auf Prinzipien des Grundgesetzes, „verbunden mit einem Angriff auf
       die Zivilgesellschaft“. So sollten „Menschen kriminalisiert werden, die
       Abschiebetermine weitersagen“. Er hielt der SPD vor, dem Gesetz trotz
       Kritik auch in den eigenen Reihen zuzustimmen und sich dabei darauf zu
       verlassen, dass das Bundesverfassungsgericht die verfassungswidrige
       Neuregelung „wieder einsammelt“. Und Ulla Jelpke, innenpolitische
       Sprecherin der Linken, fragt die SPD-Abgeordneten, wo „ihr Anstand“
       geblieben sei, wenn sie einem Gesetz zustimmten, das „den Geist von CDU und
       AfD“ trage.
       
       Helge Lindh, der selbst von Rechtsradikalen bedroht worden ist, wirft
       Grünen und Linken Scheinheiligkeit und Selbstgerechtigkeit vor und erntet
       dafür am Freitag begeisterten Beifall von Union und SPD gleichermaßen. Er
       habe in den vergangenen Tagen „über die Grenzen gehende moralische
       Erpressungsversuche“ erlebt. Das gefährde eine sachliche Debatte über die
       deutsche Migrationspolitik, in der vor allem die „Kraft der Argumente
       zähle“.
       
       Damit liefert er der Opposition unfreiwillig eine Steilvorlage: Wenn der
       SPD so sehr an einem sachlichen Dialog gelegen sei, warum habe sie dann
       zugestimmt, ihr Gesetzespaket zur Migrationspolitik [2][im
       Hauruckverfahren] durch den Bundestag zu peitschen, fragt eine
       Grünen-Abgeordnete.
       
       Sieben Gesetze zur Migrationspolitik stehen an diesem Freitag zur
       Abstimmung. Das ist ungewöhnlich viel. Für vier davon waren erst am Montag
       Sachverständige befragt worden. Die Parlamentarier monieren, zu wenig Zeit
       für Beratungen gehabt zu haben. Grüne und Linke hatten deswegen beantragt,
       die Abstimmung über das Gesetzespaket noch einmal zu verschieben, waren
       damit aber gescheitert.
       
       „Reden wir nicht um den heißen Brei herum“, sagt der FDP-Abgeordnete Marco
       Buschmann. „Der einzige Grund, warum die Regierung das Parlament jetzt mit
       diesen Anträgen flutet, ist weil sie fürchtet, hier nicht mehr lange die
       Kontrolle zu haben.“
       
       Wie um Zweifel an der Stabilität der Groko zu entkräften, demonstrieren
       Abgeordnete von Union und SPD an diesem Tag Einigkeit, bedanken sich immer
       wieder gegenseitig für die gute Zusammenarbeit – und versuchen dennoch,
       unterscheidbar zu bleiben.
       
       Das zweite wichtige Gesetz, das an diesem Tag beschlossen wird, ist das
       „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“ – ein Herzensanliegen der SPD. Wo das
       „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ zusätzliche Härten bedeute, schaffe es im
       Gegenzug Integrationschancen und legale Zugangswege für Einwanderer, so die
       Botschaft. Der SPD-Abgeordnete Lars Castellucci sagt, mit dem
       Fachkräfteeinwanderungsgesetz werde die Groko „in die Geschichtsbücher
       eingehen“.
       
       Erstmals werde anerkannt, dass Deutschland ein Einwanderungsland sei. Dafür
       kämpfe die SPD seit 20 Jahren, die Union dagegen habe jahrelang gebremst –
       oder selbst Angst vor Zuwanderung geschürt. Ein Hauch von Dissenz.
       
       Nur einmal noch kommt es zwischen den strauchelnden Koalitionären zu
       Missstimmung. Der parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion,
       Carsten Schneider, drückt seinen Ärger über [3][ein ARD-Interview mit Horst
       Seehofer] (CSU) am Tag vor der Debatte aus. Der Innenminister hatte darin
       vor laufender Kamera zugegeben, Gesetze – darunter eines aus dem
       Migrationspaket – absichtlich kompliziert zu gestalten, um eine öffentliche
       Debatte darüber unwahrscheinlicher zu machen.
       
       Schneider sagt nun, die Sozialdemokraten hätten sich von dem Interview
       verhöhnt gefühlt. „Ein solches Interview führt dazu, Vertrauen in die
       Politik zu zerstören, dabei müsste es Ihre Aufgabe sein, Vertrauen
       aufzubauen.“
       
       Am Ende des Abstimmungstags bekommen alle sieben Gesetze eine Mehrheit.
       Innenminister Seehofer nennt das eine „Zäsur in der Migrationspolitik“.
       
       7 Jun 2019
       
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