# taz.de -- Kranker Staatssekretär muss gehen: Kirchner-Rauswurf: Grüne streiten
       
       > Dass Verkehrssenatorin Günther ihren erkrankten Verkehrs-Staatssekretär
       > in den Ruhestand versetzt, sorgt für lautes Rumoren. Auch der Nachfolger
       > ist umstritten.
       
 (IMG) Bild: Jens-Holger Kirchner im Einsatz vor dem Gleimtunnel – ein Bild aus dem Jahr 2016
       
       Die Entscheidung der parteilosen Verkehrssenatorin Regine Günther, ihren
       Staatssekretär Jens-Holger Kirchner (Grüne) zu entlassen, sorgt bei den
       Grünen in Partei und Fraktion teils für gehörigen Unmut. Kritisiert wird
       die Personalie fachlich wie menschlich. Am Mittwoch war bekannt geworden,
       dass Günther den an Krebs erkrankten Kirchner in den einstweiligen
       Ruhestand versetzen will, um ihr Haus „wieder voll funktionsfähig zu
       machen“. Nächste Woche soll das der Senat beschließen. Die Parteiführung
       sah sich am Donnerstag genötigt, in einem Mitgliederrundschreiben die
       Personalie zu erläutern. Darin behauptet sie, es sei „nicht absehbar“, wann
       Kirchner in die Senatsverwaltung zurückkehren könne. Der hingegen sagte der
       taz, er könne im Frühjahr wieder einsteigen.
       
       Kaum ein Blatt vor den Mund nehmen manche Grüne außerhalb der Fraktion.
       „Eine schwerkranke Spitzenkraft mitten in der Behandlungsphase entsorgen –
       DAS GEHT NICHT!“, schreibt Sergey Lagodinsky, früherer grüner
       Kreisvorsitzender in Pankow und aussichtsreicher Berliner Kandidat bei der
       Europawahl, auf seiner öffentlichen Facebookseite. „Eine gute Leitung
       zeichnet sich durch die Fähigkeit aus, Arbeit trotz Ausfall zu organisieren
       und dem Betroffenen eine Genesung zu ermöglichen.“ Fachlich und politisch
       sei die Entscheidung „kaum nachvollziehbar“, Kirchner sei „der erfahrenste
       Verkehrspolitiker und Stadtplaner im politischen Berlin“.
       
       Auch Svenja Borgschulte, Sprecherin der grünen Landesarbeitsgemeinschaft
       (LAG) Migration und Flucht, bezeichnet Kirchners geplante Entlassung auf
       Facebook als „menschlich und fachlich ganz schwach“, wird aber noch
       schärfer: „Warum denken wir nicht darüber nach, Regine Günther
       loszuwerden?! Halte ich für die bessere Entscheidung.“ Ihr Kollege von der
       LAG Mobilität, Matthias Dittmer, berichtete der taz von einer Sitzung
       seiner Arbeitsgemeinschaft, bei der Landesparteichef Werner Graf und
       Günthers Umweltstaatssekretär Stefan Tidow den Schritt kommuniziert hätten.
       „Es war niemand im Raum, der das gut hieß.“
       
       ## „Fachliche Qualifikation nachweisen“
       
       Von den menschlichen Aspekten der Entlassung abgesehen, sei völlig unklar,
       ob Ingmar Streese als designierter Nachfolger Kirchners in der Lage sei,
       die Vakanz zu füllen, so Dittmer. „Eine verkehrspolitische fachliche
       Qualifikation“ Streeses hätten Graf und Tidow nicht nachweisen können. „Wir
       hatten vielmehr den Eindruck, dass beide die Personalie noch nicht lange
       kannten.“ Günther müsse diese fachliche Qualifikation dem Landesverband
       erst einmal nachweisen, findet Dittmer: „Ich frage mich, wie eine
       entscheidungsführende Ebene der Senatsverwaltung ohne ausgewiesenen
       verkehrspolitischen Sachverstand erfolgreich arbeiten kann. Fehler können
       wir uns nicht mehr leisten.“
       
       Graf und seine Co-Parteichefin Nina Stahr stellen das in ihrem
       Rundschreiben, das der taz vorliegt, teilweise ganz anders da. Demzufolge
       ist die Entlassung keine einsame Entscheidung von Senatorin Günther: Nach
       „wochenlangen, intensiven Gesprächen zwischen Partei, Fraktion und
       Senatsverwaltung sehen auch wir keine andere Möglichkeit mehr, als diesen
       traurigen Schritt zu gehen“, schreiben die beiden Landesvorsitzenden. Zudem
       ist Kirchners designierter Nachfolger aus ihrer Sicht mitnichten zu wenig
       qualifiziert, sondern besitze „umfangreiche Erfahrung in der Verkehrs- und
       Umweltpolitik“.
       
       Aus der Fraktion dringen zurzeit nur wenige Stimmen nach außen. Wie die taz
       aus grünen Kreisen erfuhr, gab es am Dienstag eine offene Aussprache in der
       Fraktion, bei der Regine Günther die zum Teil kritischen Fragen der
       Abgeordneten beantwortete. Zum Schluss soll bis auf wenige Einzelne die
       Fraktion die Notwendigkeit der Personalentscheidung anerkannt haben.
       
       Ein Grünen-Abgeordneter, der sich schon am Mittwoch öffentlich explizit
       kritisch geäußert hatte, war der Pankower Andreas Otto. Einige seiner
       KollegInnen wollten sich am Donnerstag gar nicht zur Sache äußern. Die
       verkehrs- und umweltpolitischen Sprecher Harald Moritz und Georg Kössler
       sagten, sie respektierten Günthers extrem schwierige Entscheidung. Die
       Neubesetzung des Postens habe gedrängt, so Moritz: „Auf Dauer können das
       die Senatorin und der Umweltstaatssekretär nicht allein leisten.“ Zur
       Kritik, Streese sei verkehrspolitisch ein weitgehend unbeschriebenes Blatt,
       sagte er, der Nachfolger bringe Verwaltungserfahrung mit: „Das ist eine
       wichtige Voraussetzung, um Prozesse zu steuern.“ Einen fachlich so
       beschlagenen Politiker wie Kirchner zu ersetzen, werde aber „für den Neuen
       einen Riesenhürde“.
       
       Kössler twitterte: „Es gibt manchmal keine richtige Entscheidung und
       dennoch muss eine getroffen werden. ⁦@RegineGuenther⁩ hat es sich damit
       nicht einfach gemacht, denn sie und StS #Kirchner haben zuletzt sehr gut
       zusammengearbeitet.“ Ob er darauf anspielen wollte oder nicht – es ist ein
       offenes Geheimnis, dass anfangs die Chemie zwischen den beiden gar nicht
       stimmte. Kirchner, der auf dem Verkehrsgebiet deutlich profilierter ist,
       soll von Günther zeitweise untersagt bekommen haben, sich in Interviews zu
       äußern.
       
       Kirchner selbst bestätigte der taz, dass die Versetzung in den Ruhestand
       gegen seinen Willen erfolgt. Er habe nicht nur in Aussicht gestellt, ab dem
       Frühjahr wieder voll einsatzfähig zu sein, sondern vielmehr Günther schon
       im September angeboten, zwischen seinen Chemotherapien in Teilzeit zu
       arbeiten: „Das betraf die nicht tagesaktuelle strategische Planung, die
       Arbeit am VBB-Vertrag und die BVG.“ Auch bestimmte Sitzungen des
       Verkehrsausschusses im Abgeordnetenhaus hätte er übernehmen können. Aber:
       „Die Senatorin hat das nicht angenommen.“
       
       ## „Das Letzte, was wir brauchen“
       
       In einem Schreiben, das der taz vorliegt, rät Kirchners behandelnder Arzt
       ihm, auf keinen Fall aus dem Arbeitsleben auszusteigen. Die berufliche
       Tätigkeit in reduziertem Maß fortzusetzen, sei „von nicht zu
       unterschätzender Bedeutung für den Heilerfolg“. Ein Rückzug – „im
       schlimmsten Fall noch gegen den eigenen Willen“ – könne nicht nur eine
       depressive Stimmung hervorrufen, sondern auch zu einer „nachweisbaren
       Schwächung des Immunsystems“ führe. „Das ist aber das Letzte, was wir in
       Ihrer Situation brauchen.“
       
       Auch Verkehrsexperten außerhalb der Parteipolitik kritisieren Günthers
       Entscheidung: Für Jens Wieseke vom Fahrgastverband IGEB kann die
       Verkehrswende nur gelingen, wenn alle ökologischen Verkehrsformen gemeinsam
       entwickelt werden. „Für den Bereich des ÖPNV gibt es nun auf der
       Leitungsebene niemanden mehr, der dies kann und auch die Strukturen der
       Berliner Verwaltung versteht.“
       
       Heinrich Strößenreuther von der Agentur für Clevere Städte, der Mann hinter
       dem Fahrradvolksbegehren, sagte der taz, es sei zwar grundsätzlich gut,
       dass jetzt „wieder Manpower am Start“ sei – die Entscheidung gegen
       Kirchners Willen zu treffen, sei aber indiskutabel: „Das würde heute in
       keinem Unternehmen toleriert.“ Zur Nachfolge meinte Strößenreuther, eine
       Metropole wie Berlin, in der nun ein gesetzlicher Anspruch auf nachhaltige
       Mobilität umgesetzt werden müsse, hätte Anspruch auf jemanden mit mehr
       Erfahrung: „Da wäre es schon gut, wenn man vorher fünf, sechs Jahre im
       Verkehrsbereich gearbeitet hat.“
       
       6 Dec 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Claudius Prößer
 (DIR) Uwe Rada
 (DIR) Stefan Alberti
       
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