# taz.de -- Krise in Tunesien: Regierungspartei bekämpft sich selbst
       
       > Präsident Essebsi hat seine Allianz mit der gemäßigten islamistischen
       > Ennahda-Partei gekündigt. Der eigentliche Dissens aber sitzt in den
       > eigenen Reihen.
       
 (IMG) Bild: Wir er erneut antreten? Präsident Essebsi am 7. Jahrestag der Tunesischen Revolution
       
       Madrid taz | Es ist der vorläufige Höhepunkt einer Krise, die seit Monaten
       schwelt: „Es gibt keinen Konsens mehr, die Beziehungen mit Ennahda
       aufrechtzuerhalten“, erklärte der tunesische Präsident Beji Caid Essebsi am
       Montagabend in einem auf einem Privatsender ausgestrahlten Interview.
       
       Die Aussage bedeutet nichts weniger als den Bruch des weltlichen Politikers
       mit den gemäßigten Islamisten der Ennahda-Partei – und dies nach Jahren
       intensiver Zusammenarbeit.
       
       Dabei ist Ennahda nicht der Grund der Krise. Eigentlich geht es um einen
       Grabenkrieg innerhalb von Nidaa Tounes, der von Essebsi 2012 ins Leben
       gerufenen Partei, die mit der Unterstützung von Ennahda das Geburtsland des
       arabischen Frühlings regiert.
       
       In Nidaa Tounes bekämpfen sich der Parteichef und Sohn des Präsidenten,
       Hafez Caid Essebsi, und der Premierminister Youssef Chahed. Ennahda hatte
       sich in dem Streit auf die Seite des Premiers geschlagen – aus Gründen der
       Stabilität Tunesiens, wie Ennahda-Chef Rachid Ghannouchi beteuert.
       
       „Nach fünf Jahren des Konsens hat die Bewegung Ennahda vergangene Woche
       beschlossen, diesen zu beenden“, wertete Präsident Essebsi dies im
       Interview. Der Schulterschluss mit dem Gegner von Sohnemann Hafez sei „ein
       Wechsel ins andere Lager“. Er habe mit Ghannouchi gesprochen. „Wir waren
       uns nicht einig.“
       
       ## Kommt es zu Neuwahlen?
       
       Als Unterstützung seines Sohnes will Präsident Essebsi die Entscheidung
       aber nicht bewertet sehen. „Es wäre von Vorteil für Tunesien, wenn beide
       gingen oder ihre Auseinandersetzung beendeten“, sagte er. Und beteuerte: Er
       wolle keine vorgezogenen Neuwahlen. Die Tunesier sollen erst am Ende der
       Legislaturperiode, Ende 2019, an die Urnen gerufen werden.
       
       Eine weitgehend stabile Regierung wird es voraussichtlich weiterhin geben.
       Denn Premierminister Chahed, der seit Sommer 2016 im Amt ist, kann auf die
       Unterstützung von Ennahda und einigen ihm treuen Abgeordneten aus den
       Reihen der bisherigen Nidaa-Tounes-Fraktion rechnen.
       
       Bei dem Streit innerhalb von Nidaa Tounes geht nicht nur um persönliche
       Befindlichkeiten geht, sondern vor allem um die Wirtschafts- und
       Sozialpolitik. Chahed ist zwar der jüngste Regierungschef, den Tunesien
       seit der Revolution 2011 hatte, doch seitdem war kein Premier so lange im
       Amt wie er. Während seiner Amtszeit hat er sich in der Bevölkerung nicht
       nur Freunde gemacht.
       
       Chahed setzt auf Privatisierung von Staatsbetrieben wie etwa von Banken
       oder der Fluggesellschaft Tunisair. Auch will er Subventionen von
       Grundnahrungsmitteln streichen, um den Staatshaushalt zu sanieren.
       
       ## Gegenwind von Gewerkschaften
       
       Die Islamisten von Ennahda, die wie die meisten ihrer Gesinnungsbrüder in
       der arabischen Welt eher neoliberal gesonnen sind, unterstützen Chahed in
       seinem Wirtschaftskurs. Gegenwind kommt aber von der mächtigen
       Gewerkschaftszentrale UGTT. Diese hat namhafte Vertreter innerhalb von
       Nidaa Tounes.
       
       Die Partei war von Anfang an ein Mischmasch aus wirtschaftsliberalen
       Nationalisten und Sozialdemokraten. Das Bündnis war nur deshalb möglich,
       weil es in erster Linie darum ging, den [1][Übergang von der 2011
       gestürzten Diktatur] hin zur Demokratie zu sichern. Dabei sollte
       sichergestellt werden, dass das neue Tunesien moderne Errungenschaften wie
       die weitgehende Gleichstellung der Frau im Übergangsprozess nicht verliert.
       
       Doch in der Regierungsverantwortung angekommen, ließen die Flügelkämpfe
       nicht lange auf sich warten. Bis zur Wahl Ende kommenden Jahres wird sich
       die Parteienlandschaft vermutlich grundlegend ändern.
       
       Und auch in den Präsidentenpalast könnte ein neuer Bewohner einziehen. Beji
       Caid Essebsi erklärte im TV-Interview, er sei nicht sicher, dass er erneut
       antreten werde. Der Präsident ist 91 Jahre alt.
       
       26 Sep 2018
       
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