# taz.de -- Kommentar Tunesien: Eine Frage der Gerechtigkeit
       
       > In Tunesien hat die Wahrheitskommission ihren Bericht vorgelegt. Ein
       > wichtiger Schritt, dem aber Konsequenzen folgen müssen.
       
 (IMG) Bild: Vertreter der alten Eliten: Tunesiens Staatschef Beji Caid Essebsi
       
       Die tunesische Wahrheitskommission, die „Instanz für Wahrheit und Würde“
       (IVD), hat ihren Abschlussbericht vorgelegt. Das nordafrikanische Land
       schreibt damit Geschichte. Es ist der einzige Fall, in dem nach dem
       „arabischen Frühling“ versucht wurde, die dunkle Vergangenheit
       aufzuarbeiten. Dies war nicht immer leicht. Die IVD musste sich über viele
       Widerstände in der Politik hinwegsetzen. Doch letztendlich hat sie ihre
       Arbeit abgeschlossen. Doch das ist ein wichtiger Schritt, aber eben nur ein
       erster Schritt.
       
       Denn die [1][Opfer wollen mehr als die Wahrheit]. Sie haben ein Recht auf
       Wiedergutmachung. Dabei geht es erst in zweiter Linie um finanzielle
       Entschädigung, die an sie ausbezahlt werden soll. Es geht um Gerechtigkeit,
       um richterliche Schritte gegen die Verantwortlichen der
       Menschenrechtsverletzungen und horrenden Korruption, die oft – das zeigt
       der Fall von Präsident Béji Caid Essebsi – noch heute wichtige Funktionen
       innehaben.
       
       Doch nicht nur die Justiz ist gefragt, sondern auch die Politik. Die
       Regierung hat jetzt ein Jahr Zeit, auf den Bericht und die darin
       aufgeführten Vorschläge zu reagieren. Es braucht Reformen im Sicherheits-
       und Justizapparat, damit sich solche Menschenrechtsverletzungen nicht
       wiederholen können. Außerdem sind Maßnahmen nötig, damit die Korruption,
       die in vielen Fällen die Ungerechtigkeit des Regimes noch zusätzlich
       verschärfte, endgültig ausgemerzt werden kann.
       
       Und der Fall von [2][Staatschef Essebsi] zeigt, dass Tunesien eine
       [3][generationelle Erneuerung] braucht. Es kann nicht sein, dass belastete
       Veteranen des alten Regimes die künftige Entwicklung weiterhin bestimmen.
       
       Tunesien ist bisher mit allen Licht- und Schattenseiten der Entwicklung
       seit der Revolution 2011 ein Vorbild in der arabischen Welt. Das
       Geburtsland des „arabischen Frühlings“ steht vor einem entscheidenden
       Moment: Die Art und Weise, wie Regierung und Parlament auf den Bericht
       reagieren, ist ein wichtiger Test dafür, ob sie es mit Demokratie und
       Menschenrechten ernst meinen.
       
       29 Mar 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Debatte-Islam-und-Feminismus/!5331394
 (DIR) [2] /Krise-in-Tunesien/!5538757
 (DIR) [3] /Tunesien-im-Generalstreik/!5563592
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Reiner Wandler
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Tunesien
 (DIR) Zehn Jahre Arabischer Frühling
 (DIR) Geschichte
 (DIR) Repression
 (DIR) Béji Caïd Essebsi
 (DIR) Tunesien
 (DIR) Tunesien
 (DIR) Tunesien
 (DIR) Tunesien
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Tunesien stellt sich der Vergangenheit: Sechs Bände Wahrheit
       
       Die tunesische Wahrheitskommission hat ihren Abschlussbericht vorgelegt.
       Sie erhebt schwere Vorwürfe gegen Staatschef Essebsi.
       
 (DIR) Tunesien im Generalstreik: Stillstand in Tunis
       
       Ein Generalstreik legt das öffentliche Leben in Tunesien lahm. Mehr als
       650.000 Angestellte des öffentlichen Dienstes erschienen nicht zur Arbeit.
       
 (DIR) Neuer arabischer Frühling?: Protestwelle in Tunesien
       
       An einer Selbstverbrennung entzündet sich Aufruhr in mehreren Städten. Das
       erinnert an den Start des „Arabischen Frühlings“ vor acht Jahren.
       
 (DIR) Krise in Tunesien: Regierungspartei bekämpft sich selbst
       
       Präsident Essebsi hat seine Allianz mit der gemäßigten islamistischen
       Ennahda-Partei gekündigt. Der eigentliche Dissens aber sitzt in den eigenen
       Reihen.