# taz.de -- Dokumentarfilm über die Juden Iraks: Das Leben war gut in Bagdad
       
       > An eine vergessene Geschichte erinnert der Film „Remember Baghdad“. Vor
       > hundert Jahren war noch die halbe Bevölkerung der Stadt jüdisch.
       
 (IMG) Bild: Hakham Ezra Dangoor mit seiner Familie, Bagdad 1910
       
       Edwin Shuker lebt im Norden Londons. Er ist in Bagdad geboren, er ist
       irakischer Jude, und das Land seiner Vorfahren lässt ihn nicht los. „Wer
       wird glauben, dass es jemals Juden im Irak gab“, fragt er sich, um im
       nächsten Atemzug zu bekräftigen: „Wir gehören zum Irak, und ich werde nicht
       loslassen.“ Edwin Shuker will ein Haus im Irak kaufen. Er ist der erste
       Protagonist, den Filmemacherin Fiona Murphy in ihrer Doku „Remember
       Baghdad“ auftreten lässt. Der Film wird am Sonntag beim Jüdischen
       Filmfestival Berlin & Brandenburg zu sehen sein.
       
       „Remember Baghdad“ ist ein melancholischer Film voller historischer
       Filmaufnahmen und Fotos, der den Menschen und ihren Erinnerungen an einen
       verlorenen Ort nahekommt. Chronologisch erzählt der Film die Geschichte der
       Bagdader Juden im 20. Jahrhundert, eine Geschichte, deren Echos bis in die
       biblische Zeit zurückreichen.
       
       Die Babylonier unter Nebukadnezar II. hatten im Jahr 586 v. Chr. Jerusalem
       erobert und weitgehend zerstört. Die Israeliten wurden nach Babylon
       verschleppt, wovon Psalm 137 erzählt, den Boney M. gesungen haben: „By the
       rivers of babylon, there we sat down. Ye-eah we wept, when we remembered
       Zion.“
       
       Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts lebten 140.000 Juden in Bagdad, das war
       fast die Hälfte der Stadtbevölkerung. Kaum einer erinnert sich heute an
       sie, obwohl die Stadt voller jüdischer Häuser und Synagogen ist. „Remember
       Baghdad“ zeigt einige heruntergekommene Fassaden mit Inschriften, die auf
       ihre jüdischen Besitzer verweisen.
       
       ## Das Archiv der Familie Dangoor
       
       Das jüdische Leben von einst kann man in den Fotoalben und
       Super-8-Aufnahmen der Familie von David Dangoor in London betrachten. Sie
       gaben auch den Anstoß für diesen Film, als Fiona Murphy den Auftrag bekam,
       das Archiv der Familie Dangoor zu katalogisieren. Es gab viele Stunden
       Filmmaterial und Tausende Fotos zu sichten. Seine Mutter habe sorgfältig
       notiert, wann die Fotos entstanden, erzählt David Dangoor.
       
       Es gibt Aufnahmen von Maskenbällen und tanzenden Paaren, die Frauen in
       Kleidern, die Männer in Smoking und Fliege. Diese Aufnahmen aus den
       Fünfzigern hätten überall auf der Welt entstanden sein können. „Das Leben
       war gut in Bagdad“, sagt David Dangoor. Es ist ein Satz, der oft wiederholt
       wird in diesem Film.
       
       Auf einem älteren Foto von 1910 trägt die Familie traditionelle arabische
       Kleidung. Sein Urgroßvater war Rabbiner, erzählt Dangoor, aber in der
       Generation seiner Eltern hätten viele das Gefühl gehabt, Religion sei ein
       überkommener Rest aus der Vergangenheit.
       
       ## Das Pogrom von 1941
       
       In den dreißiger Jahren zieht der Mufti von Jerusalem, ein antisemitischer
       Ideologe und Hitler-Anhänger, nach Bagdad. Ironischerweise wohnt er direkt
       neben den Dangoors am Ufer des Tigris.
       
       Im März 1941 wird die von den Briten installierte Monarchie gestürzt, eine
       pronationalsozialistische Regierung kommt an die Macht. Das Deutsche Reich
       hat nun Zugriff auf das irakische Öl. Als die Briten im Irak
       einmarschieren, aber vor Bagdad Halt machen, um nicht als Besatzer
       aufzutreten, bricht ein als „Farhud“ bezeichnetes Pogrom gegen die jüdische
       Bevölkerung los.
       
       ## Gesegnet soll sie sein
       
       Im Film erzählt Eli Amir, während er über den Schuk von Jerusalem spaziert,
       wie die muslimische Nachbarin, beste Freundin seiner Mutter und seine Amme,
       drei Tage vor der Tür seiner Familie stand, um sie vor dem Mob zu schützen.
       „Sie hat unser Leben gerettet“, sagt Amir, „gesegnet soll sie sein.“ 180
       Juden wurden ermordet, über 2.000 verletzt. Der Einmarsch der Briten in die
       Stadt beruhigt die Lage, der Mufti flieht nach Berlin.
       
       Wieder ist das Leben gut in Bagdad – bis 1948. Als die Vereinten Nationen
       den Teilungsplan für Palästina billigen und Ben Gurion den Staat Israel
       ausruft, schicken die arabischen Nachbarländer Ägypten, Syrien, Libanon,
       Jordanien und Irak ihre Armeen los. Nach dem Sieg Israels müssen die
       irakischen Juden dafür bezahlen. Die Regierung beginnt eine antijüdische
       Kampagne, jüdische Beamte werden entlassen. Ihre Läden werden boykottiert.
       „Jeder hat verstanden, wir können hier nicht mehr leben“, erzählt Eli Amir.
       
       ## Vermögen beschlagnahmt
       
       Ein amerikanischer Zionist macht einen Deal mit dem Ministerpräsidenten:
       Die Juden können ihre Staatsbürgerschaft aufgeben und das Land verlassen.
       120.000 Juden lassen sich für die Ausreise registrieren. Als die Liste
       geschlossen wird, werden alle Vermögen der Ausreisenden vom Staat
       beschlagnahmt.
       
       Nur 7.000, meist wohlhabende Juden bleiben im Land. Doch auch sie verlassen
       den Irak nach weiteren antijüdischen Kampagnen in den kommenden
       Jahrzehnten.
       
       ## Die letzte Synagoge
       
       Heute gibt es nur noch eine Synagoge in Bagdad, die vollkommen erhalten
       ist. Saddam Hussein zeigte sie gern amerikanischen Besuchern. Edwin Shuker
       sucht sie, begleitet von Fiona Murphys Kamera, auf. Es ist die Synagoge, in
       die ihn sein Großvater früher mitnahm. Heute leben in Bagdad noch fünf
       Juden, heißt es im Film. Sie können ihren Glauben nicht offen ausüben, die
       Synagoge steht leer. Selbst Shukers Taxifahrer hat Angst, in das Viertel zu
       fahren, im Film ist er unkenntlich gemacht.
       
       Murphys Film endet mit einer Szene in Erbil, im kurdischen Teil des Irak.
       Dort kauft Edwin Shuker eine Wohnung und weint.
       
       30 Jun 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrich Gutmair
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Juden
 (DIR) Irak
 (DIR) Bagdad
 (DIR) Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
 (DIR) Protest
 (DIR) Juden
 (DIR) Brooklyn
 (DIR) Erinnerungskultur
 (DIR) Flüchtlinge
 (DIR) Irak
 (DIR) Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)
 (DIR) Israel
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Zweiter Weltkrieg im jüdischen Palästina: Die Deutschen vor El Alamein
       
       Der Historiker Dan Diner betrachtet den Zweiten Weltkrieg vom Jischuv, dem
       jüdischen Palästina, aus. Damit gelingt ein fulminanter Perspektivwechsel.
       
 (DIR) Massenproteste im Irak: Schwarzer Rauch, leere Straßen
       
       Im Irak gehen Tausende Menschen auf die Straße. Sie fordern ein Ende der
       Korruption, eine bessere Grundversorgung und mehr Arbeitsplätze.
       
 (DIR) Juden in der arabischen Welt: Die Wahrheit steht im Tagebuch
       
       Arabische Länder erlebten im 20. Jahrhundert einen Exodus der jüdischen
       Bevölkerung. Die Studie „Die Juden der arabischen Welt“ erklärt die
       Hintergründe.
       
 (DIR) Jiddischer Film aus New York: Der Rabbiner drängt auf Heirat
       
       In seinem ersten Spielfilm „Menashe“ erzählt Joshua Z. Weinstein eine
       Vater- und Sohn Geschichte unter chassidischen Juden in New York.
       
 (DIR) NS-Dokumentation in Berliner Bunker: Müllhaufen der Geschichte
       
       „Hitler – wie konnte es geschehen?“ Mit dieser Frage beschäftigt sich eine
       Dokumentation im „Berlin Story Bunker“. Sie wird gelobt wie kritisiert.
       
 (DIR) Doku über geflüchtete somalische Familie: Familiennachzug in Zeiten von Mauern
       
       „Global Family“ von Melanie Andernach und Andreas Köhler begleitet die über
       drei Kontinente verstreute Familie Shash bei einer schwierigen Mission.
       
 (DIR) Nach Parlamentswahl im Irak: Bündnis in Sicht
       
       Seit der Parlamentswahl ist ungewiss, wie die Regierung im Irak aussehen
       wird. Nun will der Geistliche Al-Sadr will mit Amtsinhaber al-Abadi
       zusammenarbeiten.
       
 (DIR) „Nutznießer“ das Bamf-Skandals: Zu schnell vergessen
       
       Die Jesiden, die in Bremen angeblich unrechtmäßig als Flüchtlinge anerkannt
       wurden, flohen vor einem Völkermord. Wir haben zwei Familien besucht.
       
 (DIR) Miss Irak, Miss Israel und die Vertreibung: Wir bleiben Schwestern
       
       Zwei Frauen machen ein Selfie, worauf die eine mit dem Tod bedroht wird.
       Dahinter verbirgt sich die Geschichte der Vertreibung der arabischen Juden.