# taz.de -- Jiddischer Film aus New York: Der Rabbiner drängt auf Heirat
       
       > In seinem ersten Spielfilm „Menashe“ erzählt Joshua Z. Weinstein eine
       > Vater- und Sohn Geschichte unter chassidischen Juden in New York.
       
 (IMG) Bild: Menashe (Menashe Lustig) und sein Sohn Rieven (Ruben Niborski) ​
       
       Eine großstädtische Straßenszene, gefilmt in Borough Park, Brooklyn, New
       York. Die meisten Passanten, die hier ihren Geschäften nachgehen, sind
       religiöse Juden. Die Frauen tragen Kopftücher, die Männer schwarze Mäntel
       und Hüte. Die Leute stören sich an der Kamera nicht, die wohl weit entfernt
       steht und die Szene heranzoomt.
       
       Irgendwann taucht zwischen ihnen ein Mann auf, der im wahrsten Sinne des
       Worts hemdsärmeliger aussieht als die anderen. Er trägt weder Mantel noch
       Hut, sein Talit lugt unter der schwarzen Weste hervor. Später wird er von
       seinem Sohn gefragt: „Warum mögen dich meine Onkel und meine Lehrer nicht?
       Warum trägst du nicht Hut und Mantel wie alle? Das wäre schöner.“ Die
       Fragen des Kinds sind Teil der vorsichtigen Annäherung von Vater und Sohn.
       
       Der Mann heißt Menashe, gespielt von Menashe Lustig. Menashe steht sich
       selbst im Weg, er ist etwas schusselig. Sein Chef im Supermarkt schubst ihn
       herum, die Familie seiner verstorbenen Frau nimmt ihn nicht ernst. Sein
       größtes Problem aber ist, dass er gemäß Beschluss seines Rabbiners heiraten
       muss, bevor sein Sohn Rieven wieder mit ihm zusammenleben darf.
       
       Menashe hat große Sehnsucht nach dem Sohn, heiraten will er aber
       ersichtlich nicht, obwohl er pflichtgemäß Gespräche mit Kandidatinnen
       führt, in denen en passant die Probleme von chassidischen Juden
       aufscheinen. „Warum müssen sich die Rabbiner in alles einmischen?“, fragt
       Menashe. Die Frau erklärt ihm wenig später: „Ich verstehe schon, warum ihr
       chassidischen Männer so unbeholfen seid. Erst verwöhnen euch eure Mütter,
       dann machen eure Frauen damit weiter.“
       
       Eines Tages nimmt Menashe seinen Sohn Rieven aus dem Haus des Onkels
       einfach mit nach Hause. Menashes Schwager ist fromm und streng. Er hat eine
       eigene Begründung dafür, warum der Rabbiner recht hat mit seiner
       Entscheidung, dass ein jüdischer Junge in einer jüdischen Familie
       aufwachsen müsse, zu der nun mal eine Mutter gehöre. „Die Familien der
       Gojim sind zerrüttet, deswegen ist auch ihre Gesellschaft zerrüttet.“ Eine
       Woche dürfe der Junge beim Vater bleiben. Dann aber müsse er zurück, bis
       Menashe eine Frau finde, erbarmt sich dann doch der Ruv, wie der Rabbiner
       genannt wird.
       
       Der gesamte Film ist auf Jiddisch gedreht und dann untertitelt worden. Für
       Leute, die Deutsch können, ergibt sich dadurch eine unterhaltsame
       zusätzliche Ebene, weil es Spaß macht, herauszuhören, was gesprochen wird.
       Wenn die Nachbarin zu Menashe sagt, „die Mischpoche is grois, der Zores is
       noch groisser“, dann weiß man schon, was los ist.
       
       ## Ein schlechtes Omen
       
       Vor dem Zweiten Weltkrieg haben einige Millionen Menschen die Sprache
       gesprochen, heute sind es noch knapp eine Million. Die meisten sind
       religiöse aschkenasische Juden, einige wenige sind letzte Anhänger des
       Jiddischismus, einer im 19. Jahrhundert entstandenen Bewegung, der Jiddisch
       als zeitgemäßeste Form des „jüdischen Geistes“ galt. Ruben Niborski, der
       Sohn Rieven spielt, ist Sohn israelischer Jiddischisten.
       
       Die Helden von Joshua Z. Weinsteins zarter Komödie im Geist des
       Neorealismus sind allesamt keine professionellen Schauspieler, sondern zum
       größten Teil selbst Angehörige chassidischer Gemeinden, aber ihre
       Performance vor der Kamera ist beeindruckend. Umso mehr, als Weinstein, der
       gelernter Dokumentarfilmer ist, einen langsamen Rhythmus vorgibt und oft
       nur die Gesichter und Bilder die Geschichte erzählen lässt. Wenn das Küken,
       das Menashe seinem Sohn schenkt und das beide füttern und baden, eines
       Tages tot in seinem Karton liegt, ist das ein Symbol für die Unfähigkeit
       von Menashe, ein erfolgreicher, geachteter Mensch zu werden und ein
       weiteres schlechtes Omen.
       
       Weinstein hat über einen längeren Zeitraum vor allem in Wohnungen, im
       Supermarkt, aber auch im Bethaus gedreht. Manchmal mussten die Dreharbeiten
       unterbrochen werden, weil sich jemand an der Kamera störte. Fernsehen ist
       in Borough Park und anderen chassidischen Gemeinden verpönt. Allerdings hat
       sich in Israel und den USA eine kleine chassidische Industrie entwickelt
       für Filme, die von Frauen für Frauen gemacht werden und dann in
       Gemeindezentren gezeigt werden, ohne Männer.
       
       ## Ärger in der Gemeinde
       
       Als [1][„Menashe“ auf Festivals gezeigt wurde], gab es den erwartbaren
       Ärger in der Gemeinde. Hauptdarsteller Menashe Lustig erklärte einer
       Reporterin später, er habe absichtlich nicht vorher um Erlaubnis gefragt:
       „Es ist besser, um Entschuldigung zu bitten, als um Erlaubnis zu fragen.“
       
       Lustig gilt als der erste Chasside, der ein Video auf YouTube hochgeladen
       hat. Seine YouTube-Clips sind faszinierend, weil man ihnen ansieht, dass
       die Kameraleute und die Person am Schnittpult sich vorsichtig an ein Format
       herantasten, das ihnen fremd ist. Weinstein erinnern die komödiantischen
       Kurzfilme Menashe Lustigs an Charlie Chaplins frühe Werke, hat er zu
       Protokoll gegeben. Menashe Lustig ist selbst Witwer. Er habe ein gutes
       Verhältnis zu seinem Sohn, sagt er, aber der sei zu fromm, sich „Menashe“
       anzuschauen.
       
       6 Sep 2018
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://blogs.taz.de/filmanzeiger/2017/02/12/berlinale-2017-bulletin-2-menashe/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrich Gutmair
       
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