# taz.de -- NS-Dokumentation in Berliner Bunker: Müllhaufen der Geschichte
       
       > „Hitler – wie konnte es geschehen?“ Mit dieser Frage beschäftigt sich
       > eine Dokumentation im „Berlin Story Bunker“. Sie wird gelobt wie
       > kritisiert.
       
 (IMG) Bild: Bis zu 12.000 Menschen fanden in diesem Bunker Schutz vor Luftangriffen
       
       Nicht weit von der Ruine des Anhalter Bahnhofs in Kreuzberg entfernt
       befindet sich ein ebenfalls geschichtsträchtiger Ort: Ein ehemaliger
       Bunker, in dem gegen Ende des Krieges 1945 bis zu 12.000 Menschen eng
       aneinander gequetscht Zuflucht vor Luftangriffen suchten, erinnert noch
       heute an die Schrecken des Nationalsozialismus. Eben hier eröffnete im Mai
       2017 die Dokumentation „Hitler – wie konnte es geschehen“, kuratiert von
       Wieland Giebel und Enno Lenze.
       
       Auf insgesamt drei Stockwerken und 2.500 Quadratmetern erstreckt sie sich.
       Mehr als 330 Tafeln mit über 2.000 Abbildungen sind zu sehen, die der Frage
       nachgehen, wie die Terrorherrschaft der Nazis, der Zweite Weltkrieg und der
       Holocaust möglich wurden. Die Kuratoren betonen, dass rund 800 der
       gezeigten Abbildungen nie zuvor veröffentlicht wurden. An die 70.000 Fotos
       seien dazu im Vorfeld gesichtet worden, viele stammen aus dem National
       Archive in Washington, sagt Kurator Giebel.
       
       Was es im Bunker zu sehen gibt, sei eine Dokumentation, keine Ausstellung,
       betont er. Daher gibt es keine Exponate. „Wir sind kein Museum. Ziel ist
       nicht, Originale zu zeigen, sondern zu vermitteln, was Antisemitismus,
       Rassismus und Nationalismus bedeuten“, erläutert Giebel. Entsprechend liegt
       der Fokus auf Text und Bild.
       
       Auch kommt die Dokumentation mit wenig multimedialen Elementen aus. Es gibt
       lediglich eine größere Leinwand, auf der Hitlers von Menschenmassen
       bejubelter Einzug nach dem Sieg über Frankreich 1940 gezeigt wird, oder
       einen kleinen Bildschirm, der Joseph Goebbels’ Rede zum „Totalen Krieg“ in
       Ausschnitten zeigt. Einordnende Texte sind immer nebendran.
       
       ## Eine Lücke schließen
       
       Wieland Giebel hat 1993 den Giebel Verlag gegründet, später wurde er in
       Berlin Story Verlag umbenannt. Der heutige geschäftsführende Gesellschafter
       des Verlags, Enno Lenze, und er sind Mitglieder des gemeinnützigen Vereins
       Historiale e.V., der das Projekt „Berlin Story Bunker“, in dem die
       Dokumentation beheimatet ist, trägt. Fachlich beraten wurden sie von
       Sven-Felix Kellerhoff, Historiker und Journalist bei Die Welt.
       
       Mit ihrer Dokumentation versuchen sie eine aus ihrer Sicht bestehende Lücke
       zu schließen. „Die bisherigen Ausstellungen, die es gibt, zeigen nur einen
       Teil der Geschichte“, erklärt Enno Lenze. Als Beispiele werden die
       Topographie des Terrors, die sich explizit mit der Terrorherrschaft der
       Nazis beschäftigt, und das Deutsche Historische Museum (DHM) genannt, das
       laut Wieland Giebel, was die NS-Zeit betrifft, „katastrophal“ sei.
       
       „Hitler steht dort auf einem Denkmalsockel in einer Museumsvitrine. Dieser
       Teil des DHM vermittelt gerade nicht die Ziele, die wir vermitteln“,
       erklärt Giebel seine Kritik an dem Museum. Und zeigt sie auch gegen Ende
       der Dokumentation in einer zertrümmerten Hitler-Büste – entsorgt auf „dem
       Müllhaufen der Geschichte“, wie die Kuratoren sagen. Der Müllhaufen besteht
       aus Kriegsschutt.
       
       ## Faszination Hitler
       
       Es scheint so, als wolle die Dokumentation mit ihrer Herangehensweise und
       Aufbereitung zum Thema Nationalsozialmus bisher Vorhandenes umfassend
       erweitern und besser machen. Dabei spielt sie jedoch auch in paradoxer
       Weise mit der Faszination Adolf Hitler – die bis heute Bestand hat,
       zumindest, wenn man die aberhundert von Büchern und Filmen betrachtet, die
       sich mit ihm befassen. Damit beschäftigt sich eine Einleitung der
       Dokumentation.
       
       Indem Hitler als Person in den Fokus der Dokumentation gerückt wird und
       seine Biografie als roter Faden durch sie hindurchführt, wird er aber als
       zentrale Figur der Terrorherrschaft der Nazis personifiziert, eine These,
       die inzwischen viele Historiker*innen nicht mehr so unterschreiben würden.
       
       Die US-amerikanische Tageszeitung Washington Post kritisierte gar, dass ein
       Teil der Dokumentation Hitler zu menschlich darstelle. Den Kuratoren schien
       eben bewusst gewesen zu sein, dass die Person Hitler fasziniert und
       Aufmerksamkeit erregt. Weshalb die Dokumentation auf seine Person hin
       konzipiert und betitelt wurde. Enno Lenze berichtet, dass bei Besuchen im
       Bunker regelmäßig, vor allem von Schüler*innen, danach gefragt werde, ob
       Hitler nicht doch noch lebe. Deshalb räumt die Dokumentation mit einigen
       Verschwörungstheorien auf.
       
       ## Eine gewagte These
       
       2014 erwarb Enno Lenze den Bunker, kurz darauf entstand die Idee und
       Konzeption von „Hitler – wie konnte es geschehen“. 1,4 Millionen Euro hat
       das alles gekostet. „Wir haben so viel rechtes Pack – im Bundestag, auf den
       Straßen –, da muss man was tun“, sagt er über den Auftrag, den er hinter
       dem Projekt sieht. In dem Bunker weisen gelbe Pfeile den Weg, die Stationen
       und Tafeln sind nummeriert, sodass es eine klare Vorgabe gibt, in welcher
       Reihenfolge sie angeschaut werden soll.
       
       Ungewohnt im Kontrast zu anderen vergleichbaren Dokumentationen ist, dass
       sich in den Texten oft klar positionierende Meinungen und Thesen finden. Da
       liest man etwa die Annahme, dass Extremisten in einem geordneten, sicheren,
       demokratischen, wohlhabenden Staat wohl kaum Fuß fassen. Im Hinblick auf
       die AfD im Bundestag eine etwas gewagte These. An anderer Stelle heißt es
       in Hinblick auf die Bombardements auf KZs oder Zufahrtsstrecken, die nicht
       stattgefunden haben: „Wir schließen die Vermutung nicht aus, dass den
       Alliierten die Rettung der Juden nicht so wichtig war.“
       
       ## Schockierend und einprägsam
       
       Es sind aber insbesondere die Fakten und Bilder, die man so noch nie
       gesehen hat, die die Dokumentation spannend und sehenswert machen. So wird
       ein Zeitungsartikel des US-amerikanischen Journalisten Cyril Brown
       ausgestellt, der bereits 1922 in einem Zeitungsartikel für die New York
       Times die Gefahr, die von den Nationalsozialisten und insbesondere von
       Hitler ausging, haargenau analysierte.
       
       Was außerdem heraussticht, sind die Umfrageergebnisse des Soziologen
       Theodore Abel, die er 1938 in seinem Buch „Warum Hitler an die Macht kam“
       veröffentlichte. Darin erklären NSDAP-Mitglieder, warum sie sich dem
       Nationalsozialismus verschrieben haben. Bei all dem wird versucht, die
       Ursprungsfrage – Hitler – wie konnte es geschehen? – nicht aus dem Blick zu
       verlieren.
       
       Das Bildmaterial der Dokumentation ist besonders im Hinblick auf den
       Holocaust schockierend und einprägsam zugleich, weil die Dokumentation hier
       einen anderen Weg geht als vergleichbare Projekte. Gezeigt werden große
       Bilder von einzelnen Individuen in erniedrigenden und menschenabwertenden
       Situationen, dem Tode nahe. Abgemagerte Kinder, an denen in
       Konzentrationslagern Versuche durchgeführt wurden. Oder auch Zeichnungen
       von Kindern, die in KZs waren und ihre Umgebung auf Papier festgehalten
       haben.
       
       ## Kann auch kontraproduktiv sein
       
       Kommen Familien mit Kindern in die Dokumentation, weisen die
       Mitarbeiter*innen an der Kasse explizit auf diese Räume hin. Eltern sollen
       selbst entscheiden, was ihre Kinder sich anschauen sollen und was nicht.
       Nicht alle finden diese Art von Geschichtsvermittlung sinnvoll. „Wenn die
       emotionale Ebene zu stark ist, kann das auch kontraproduktiv sein“, findet
       beispielsweise Anja Witzel von der Berliner Landeszentrale für politische
       Bildung, „dann kann man nicht mehr über Dinge diskutieren und sprechen und
       nachdenken, sondern dann ist man nur noch von diesen Gefühlen überwältigt.“
       
       Kritik an der Dokumentation, besonders an dem zum Abschluss der Ausstellung
       rekonstruierten Bunker, in dem Hitler bis zu seinem Suizid lebte, äußerte
       auch der Pressesprecher der Topographie des Terrors, Kay-Uwe von Damaros,
       im Namen des Leiters Andreas Nachama. Er sprach von „Disneyland-Variante“
       und „Effekthascherei“. Besucht haben er oder der Leiter der Topographie
       „Hitler – wie konnte es geschehen“ aber bis heute nicht, sagen die
       Kuratoren. „Es ist für mich persönlich ein radikaler, schmerzlicher
       Erkenntnisprozess, dass unser Engagement auf keinen fruchtbaren Boden
       fällt“, so Wieland Giebel dazu in einem E-Mail-Wechsel. Förderanträge, die
       sie bisher gestellt hätten, wurden abgelehnt.
       
       ## Wenn Nazis einen hassen
       
       Die fehlende Unterstützung stößt ihm und Enno Lenze sauer auf, mehrfach
       hätten sie sich erklären müssen, ob das wirklich gemeinnützig und
       ehrenamtlich sei. Dem muss man allerdings entgegenhalten, dass in der
       Dokumentation mehrfach auch auf den Verlag hingewiesen wird. Der
       detaillierte Blick auf Hitlers Bunkerleben wie die großformatigen
       Standbilder aus dem Film „Der Untergang“ sind denn auch überflüssig und
       tragen wenig zur Beantwortung der Frage bei, wie „es“ geschehen konnte.
       Trotzdem steht das Engagement gegen Rassismus und Nationalismus deutlich im
       Vordergrund, das wird in persönlichen Gesprächen deutlich.
       
       Neben kritischen Tönen gibt es aber auch viel Lob, etwa vom israelischen
       Botschafter Jeremy Issacharoff, der auf Facebook schrieb: „Es ist eine
       extrem wirksame Erinnerung daran, wie wir jede Form von Antisemitismus,
       Rassismus und Fremdenfeindlichkeit bekämpfen müssen.“ Seit der Eröffnung im
       Mai vergangenen Jahres sind um die 200.000 Besucher*innen gekommen, circa
       zur Hälfte aus dem In- und Ausland. Viele hinterlassen begeisterte
       Nachrichten im Gästebuch. Giebel, Lenze und seine Mitarbeiter*innen
       bekommen jedoch regelmäßig Morddrohungen, hauptsächlich aus dem rechten
       Spektrum. Teilweise haben sie auch Personenschutz. Enno Lenze sieht darin
       eine Bestätigung seiner Arbeit: „Wenn Nazis einen hassen, dann muss man
       irgendwas richtig gemacht haben.“
       
       3 Jul 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Mirjam Ratmann
       
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