# taz.de -- Mediale Inszenierung eines Streits: Die Angela und der Horst
       
       > Politik ist ein Boxkampf. Das vermittelt zumindest die Inszenierung des
       > Streits zwischen Merkel und Seehofer – bei der alle Medien dankbar
       > mitspielen.
       
 (IMG) Bild: Sie reden noch: Bundekanzlerin Merkel und Heimatminister Seehofer
       
       Hat Horst Seehofer neulich wirklich über Angela Merkel gesagt, er könne
       „mit der Frau nicht mehr arbeiten“? Dazu haben Journalisten in den
       vergangenen Tagen unterschiedliche Einschätzungen verbreitet. Dabei sollte
       die Frage, ob Seehofer seine Befindlichkeit in leicht Dieter-Bohlen-artiger
       Manier zum Ausdruck gebracht hat, aber eigentlich nur für LeserInnen von
       Klatschmagazinen relevant sein.
       
       Politikjournalismus hierzulande sei „die Beschreibung der Macht und ihrer
       Organisation als endlose Telenovela“, hat Kay Sokolowsky Anfang des Jahres
       in der Zeitschrift konkret geschrieben, und das trifft auch auf die
       aktuelle Berichterstattung über den [1][Streit zwischen CDU und CSU] zu.
       Sokolowsky skizziert in dem Artikel eine Art ungeschriebenes
       Standard-Drehbuch: „Alles Politische wird zu einer Sache der Gefühle,
       Stimmungen, ‚Chemie‘. Irgendeiner lauert im Hintergrund, irgendeine probt
       den Aufstand, jemand spielt auf Zeit, alle verlieren die Geduld, ‚hinter
       den Kulissen‘ tobt ein ‚Krach‘.“
       
       Auch der Sportjournalismus hinterlässt Spuren: „Merkels Streit mit Seehofer
       über Zurückweisungen an der Grenze: Warum diese Runde an die Kanzlerin
       ging“ – so teaserte Robin Alexander bei Twitter kürzlich eine „Analyse“ für
       die Welt an. Das Ganze ist also auch ein Boxkampf, irgendwie.
       
       Die Berichterstattung ist in eine Schieflage geraten – zum einen wegen der
       geradezu kindisch anmutenden Personalisierung politischer Vorgänge, zum
       anderen, weil der Eindruck erweckt wird, Änderungen des Prozederes an der
       bayerisch-österreichischen Grenze hätten Einfluss auf die globalen
       Flüchtlingsbewegungen.
       
       ## Journalisten als Populisten
       
       Der Zeit-Online-Redakteur Christian Bangel schrieb nach der Bundestagswahl
       2017 von einem „[2][Journalistenpopulismus]“, der entstanden sei. Diesen
       konnte man auch in der vergangenen Woche wieder beobachten, direkt am
       Kiosk. Der Stern titelte: „Der Mordfall Susanna F. und das Ende von Merkels
       Flüchtlingspolitik“. Die Zeit hob das gleiche Thema auf Seite 1 mit der
       Zeile: „Ein Mord, der etwas ändern muss“. Der Spiegel schrieb auf dem
       Cover: „Wie gehen wir mit Migranten um? Die Flüchtlingskrise gefährdet
       Merkels Kanzlerschaft“.
       
       Die Journalistik-Professorin Friederike Herrmann von der Katholischen
       Universität Eichstätt-Ingolstadt beschäftigte sich schon 2016 in der
       Zeitschrift Communicatio Socialis mit dem „narrativen Muster“ der
       „Langzeiterzählung zur sogenannten Flüchtlingskrise“. Der Text klingt
       verblüffend aktuell. „Die öffentliche Allgegenwart des Themas über Wochen
       in allen Medien“ konstruiere „ein ‚Zuviel‘ allein schon durch das Ausmaß
       der Berichterstattung“. Ein globales Thema werde weitgehend reduziert auf
       eine „innenpolitische Auseinandersetzung, die weniger an Parteien als an
       Personen gebunden scheint. Paradigmatisch stehen in dieser Personalisierung
       des Themas die ‚Wir-schaffen-das-Kanzlerin‘ und der
       ‚Ich-will-eine-Obergrenze-Seehofer‘ gegeneinander.“
       
       Heute konstatiert Herrmann: „Der Diskurs verroht, es werden humanitäre
       Werte verraten, Werte, die unsere Gesellschaft erst lebenswert machen.“ Im
       Gespräch mit der taz betont sie aber, dass sie „kein Journalistenbashing
       betreiben“ möchte. Vielmehr möchte Herrmann den Blick gerichtet wissen auf
       die „Mechanismen, die der Berichterstattung eingeschrieben sind“. Das
       Problem seien die Regeln des Nachrichtenjournalismus: Journalisten
       berichteten „zu sehr aus der Perspektive der Politik, aus der
       Institutionenperspektive, und es zeigt sich jetzt, wie fatal das ist.“
       Diese Regeln, so Herrmann, müssten neu diskutiert werden. Journalismus
       brauche mehr Distanz zur Politik.
       
       Ob und wie das überhaupt möglich ist, ist eine andere Frage. Ebenso, ob die
       Journalisten angesichts des ökonomischen Drucks, unter dem viele von ihnen
       stehen, und angesichts des ständigen Blicks auf die Klickraten selbstsicher
       genug sind, derartige Neuerungen anzugehen.
       
       Möglicherweise sind erst einmal verhältnismäßig kleine Schritte angezeigt.
       Der stellvertretende Zeit-Chefredakteur Bernd Ulrich twitterte kürzlich:
       „Für den Pluralismus und den lebendigen Streit in diesem Land ist es enorm
       wichtig, dass der rechts-rigorose Mainstream in der #Flüchtlingspolitik
       durch einen links-liberalen Gegenstrom ausgeglichen wird.“
       
       Dafür bräuchte es aber eine Klarstellung, wo die Fronten in der
       Flüchtlingspolitik überhaupt verlaufen. Die aktuelle Bundesregierung setzt,
       wie auch die vorige, längst die Politik um, die jene fordern, die sich
       rechts von Merkel positionieren. Es geht diesen Kritikern nur vorgeblich um
       die Flüchtlingspolitik. Vielmehr geht es ihnen darum, das gesellschaftliche
       Klima für einen autoritären Staat und für die Beschneidung der
       Freiheitsrechte zu schaffen.
       
       Manche dem eher linksliberalen Lager zuzuordnenden Journalisten haben sich
       in den Seehofer-gegen-Merkel- und den AfD-gegen-Merkel-Erzählungen aber
       derart verheddert, dass sie nunmehr Partei für Merkel ergriffen haben. Das
       ist vielleicht der größte Treppenwitz in einer ohnehin irrwitzigen
       Gemengelage, und vielleicht werden das ja Medienwissenschaftler in zehn
       Jahren ausführlich analysieren.
       
       ## Mehr Empathie wagen
       
       Mehr Empathie wagen – auch das ein möglicher Schritt. „Ich gebe zu: Ich
       schäme mich! Ich schäme mich für diese Flüchtlingspolitik“, proklamierte
       „Monitor“-Redaktionsleiter Georg Restle im August vergangenen Jahres in
       [3][einem viel diskutierten „Tagesthemen“-Kommentar]. Er schäme sich für
       „eine Politik, die von der deutschen Bundeskanzlerin wesentlich mitbestimmt
       wird – und die eine einzige Schande ist – für dieses Land und für diesen
       Kontinent“, und er schäme sich für die Verlegung der EU-Außengrenze nach
       Afrika und die Kumpanei mit dortigen „Regimen, die mit europäischen
       Grundwerten wenig bis gar nichts zu tun haben“.
       
       Derlei Pathos steht Journalisten nicht immer gut, aber es ist allemal
       wichtiger, die deutsche Flüchtlingspolitik immer wieder auf ihren Kern
       herunterzubrechen, anstatt aktuellen Statements hinterherzuhecheln.
       
       22 Jun 2018
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Asylstreit-in-der-Union/!5511567
 (DIR) [2] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-09/wahlkampf-2017-afd-linke-rechtspopulismus-bundestagswahl
 (DIR) [3] https://twitter.com/tagesthemen/status/902255295820439552?ref_src=twsrc%5Etfw&ref_url=https%3A%2F%2Fwww.waz.de%2Fpolitik%2Fso-geisselt-tagesthemen-kommentar-merkels-fluechtlingskurs-id211742981.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) René Martens
       
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