# taz.de -- DDR-Subkultur in Cottbus: Die Sehnsucht nach Öffnung
       
       > Mit den Künstlerbüchern von Gabriele Stötzer erinnert das Museum im
       > Dieselkraftwerk Cottbus an ein Kapitel der DDR-Subkultur.
       
 (IMG) Bild: Expressives und spielerisches Werk: Ausschnitt einer Seite aus dem Mackenbuch von Gabriele Stötzer von 1985
       
       Eine junge Frau, das Gesicht weiß geschminkt, nimmt Maß an ihrer Umgebung.
       Sie breitet an einem Laternenpfahl die Arme aus wie der Leuchtkörper über
       ihr, sie klemmt sich senkrecht zwischen Mülltonnen und Briefkästen, sie
       biegt sich um Ecken, bringt ihre Silhouette mit dem Turm des Domes in
       Übereinstimmung. Sie wird zum Echo der Architektur und gewinnt selbst den
       tristen Ecken einen Hauch von Poesie und Witz ab.
       
       Erfurt ist der Schauplatz, die Zeit Mitte der 1980er Jahre, die Künstlerin
       heißt Gabriele Stötzer. Ihre Performance in der Stadt ist auf kleinen
       schwarzweißen Fotografien festgehalten, die zu einer Seite in einem ihrer
       vielen Künstlerbücher montiert sind.
       
       Wie sie Körper, Stein und Stadtmöblierung ins Verhältnis setzt, erinnert an
       Arbeiten von Valie Export, die sich ähnlich mit dem Pflaster in Wien
       beschäftigte. Allein Exports Aktionen sind in einzelnen, großen Fotografien
       erhalten. Schon die kleinen Formate von Gabriele Stötzer und ihre einmalige
       Montage in einem fragilen Buch verweisen auf den anderen Kontext ihrer
       Kunstproduktion, in der Subkultur der DDR.
       
       Das Brandenburgische Landesmuseum für moderne Kunst in Cottbus zeigt die
       Künstlerbücher von Gabriele Stötzer in einer Ausstellung, „Gerissene
       Fäden“, die erstmals viele Seiten der Bücher nebeneinander an den Wänden
       aufgereiht hat. Die Kuratorin (und Museumsdirektorin) Ulrike Kremeier will
       damit den Blick auf die Ästhetik, die Reflexionsformen und das
       Spannungsverhältnis zwischen der Thematisierung des öffentlichen Raums und
       der Intimität der Künstlerbücher von Gabriele Stötzer lenken. Denn bisher
       ist die Rezeption der Künstlerin und Autorin, die im April 65 Jahre alt
       wird, oft von ihrer Biografie geprägt.
       
       ## Die sich nicht erpressen ließ
       
       Christa Wolf hat ihr 1979 ein kleines literarisches Denkmal gesetzt in
       ihrer Erzählung „Was bleibt“. Da beschreibt Wolf eine Zeit, in der
       Überwachung jeden Schritt im Alltag dreimal überlegen ließ. Eines Tages
       klingelt eine junge, ihr unbekannte Frau bei ihr: „Durch ein paar schnelle
       Fragen und Antworten wurde klar, daß der Name des Mädchens wirklich mit
       einer bestimmten Affäre an einer bestimmten Universität, im Zusammenhang
       mit Denunziationen, mit Verfahren und Erpressungen aufgetaucht war, daß
       wirklich sie es war, die man damals vom Studium ausgeschlossen hatte, das
       sie nicht zu den Erpressbaren gehörte.“
       
       Kurz nach der Relegation von der Hochschule brachte Stötzer die
       Mitorganisation der Unterschriftenlisten, die 1976 gegen die Ausbürgerung
       von Wolf Biermann protestierten, anderthalb Jahre Gefängnis ein.
       
       Was man jetzt in Cottbus sehen kann, ist ein expressives und spielerisches
       Werk, das niemals bitter wirkt, sich aber mit vielen Erfindungen immer
       wieder gegen die Festlegung von Identität und die Begrenzung von
       Spielräumen wehrt. In inszenierten Fotografien, Zeichnungen, überzeichneten
       Fotos und in Texten werden Haltungen und Posen ausprobiert, die mal an die
       Gegenkultur der Hippies andocken, mal an Märchen und Kunstgeschichte, mal
       an sexuelle Libertinage, mal an Punk-Attitüden.
       
       Man findet darunter auch die Thematisierung von Transsexualität, wo die
       nicht eindeutigen Körper einerseits verwirren, andererseits aber, wie oft
       in Stötzers Büchern, schnell zu einem humorvollen Spiel finden, das
       zwischen Küchenszenen und SM-Posen changiert, immer ein wenig schüchtern,
       immer ein wenig mit Erstaunen über das eigene Treiben von den Protagonisten
       in Szene gesetzt.
       
       Wie überhaupt oft der Eindruck entsteht, dass eine symbolische Setzung, wie
       das Stillstellen des Körpers als Mumie, zwar den Ausgangspunkt bildete,
       dann aber das physische Erleben der Posen ein Eigenleben entfaltet und zu
       weiteren Fantasien geführt hat.
       
       Denkt man in der Ausstellung an die Auseinandersetzungen in Cottbus heute,
       an die Demonstrationen der AfD und der „Zukunft Heimat“ auf der einen
       Seite, die eine vermeintlich deutsche Identität gegen andere Einflüsse
       absichern wollen, und den Cottbuser Aufbruch andererseits, der die Vielfalt
       verteidigen möchte, dann sind Stötzers Bilder eigentlich wunderbares
       Anschauungsmaterial für die Sehnsucht nach Öffnung.
       
       ## Bisher wenig bekannt
       
       Denn erzählen ihre Bücher nicht auch, dass in der Heimat der
       DDR-Sozialisierten die Einengung und Festschreibung der Identität eben zu
       einem großen Problem wurde, Quell persönlichen Unglücks und politischen
       Starrsinns. Haben die, die jetzt Heimat auf ihre Fahnen schreiben, das
       schon vergessen?
       
       Zwischen den Arbeiten von Gabriele Stötzer sind zwei von der französischen
       Künstlerin Annette Messager zu sehen, die sich, zehn Jahre älter, schon in
       den 1960er Jahren mit weiblichen Rollenmustern beschäftigt hat. Ein zartes
       Gespinst aus Wollfäden bildet einen Körper mit seinem Geflecht aus
       Blutbahnen und Nerven nach, leicht angreifbar auf einem Kissen
       ausgebreitet. Das ist nur eine sparsame Markierung, um Stötzers bisher
       wenig bekanntes bildnerisches Werk in einen internationalen Kontext von
       Künstlerinnen zu stellen, die sich mit Zuschreibungen von Weiblichkeit
       beschäftigt haben.
       
       6 Mar 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Bettina Müller
       
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