# taz.de -- Kunst und Konsum: Jenseits der Mauern
       
       > Feministische Ermächtigung durch Kunst von Chantal Akerman und Annette
       > Messager – ausgerechnet im Espace Louis Vuitton in München.
       
 (IMG) Bild: Ausschnitt aus: Annette Messager, Mémoire-Robots, 2015
       
       Das wohl bestgehütete Geheimnis der Stadt liegt in ihrem Herzen, dort, wo
       die vielgerühmte bayerische Lebensart, Reminiszenzen an die königliche
       Vergangenheit, Hochkultur und Luxus in fröhlichem Hedonismus vereint sind.
       Kaum jemand würde vermuten, und es gibt auch so gut wie keinen Hinweis
       darauf, dass seit 2014 hinter den Geschäftsräumen der Münchner
       Louis-Vuitton-Filiale hochkarätige wechselnde Ausstellungen mit
       zeitgenössischer Kunst gezeigt werden.
       
       Vorbei an megateurem Gepäck, schnatternden Chinesen und nervenzerfetzend
       zuvorkommendem Personal gelangt man in die Hinterzimmer – und zur Kunst
       (um der Wahrheit die Ehre zu geben: Es gibt einen eigenen Eingang, der,
       recht versteckt, auch nur Eingeweihten bekannt ist).
       
       Die Kuratoren – LV unterhält unter anderem in Tokio und Venedig solche
       „Espaces“ – bedienen sich unter dem Motto „Hors les Murs“ aus dem schier
       unerschöpflichen Depot der Fondation. Zuletzt haben sie erstmals in München
       den amerikanischen Digitalavantgardisten Cory Arcangel vorgestellt.
       
       Auch zum Werk von Sheila Hicks, deren skulpturale, überwiegend textile
       Arbeiten, die winzigen und die monumentalen, hierzulande viel zu wenig
       bekannt sind, gab es zum ersten Mal einen komprimierten, nichtsdestoweniger
       prägnanten Überblick.
       
       ## Frauen, die rauchen
       
       Wer die Welt der von warmem Licht übergossenen glamourösen Koffer hinter
       sich gelassen hat, um den wird es derzeit zappenduster. Im Dunklen leuchten
       sechs nicht sonderlich große Bildschirme, auf denen im zeitlich versetzten
       Loop, mal schwarz-weiß, mal in Farbe, Videos laufen. Es ist Nacht, wir
       sehen Frauen, die rauchen. Alle.
       
       Sie sind allein, gehen durch verlassene Straßen, sitzen auf Bänken, lehnen
       an einer Mauer, sind betrunken, nachdenklich, müde, traurig. Sie sind ganz
       bei sich. „Les Femmes d’Anvers en Novembre“ von der Ende vergangenen Jahres
       verstorbenen belgischen Künstlerin Chantal Akerman entstand 2008 und ist
       auf den ersten Blick eine Reminiszenz an den „Film noir“ der Sechziger. Mit
       den starken Frauen, deren ungestümes oder wenigstens naives Bestreben nach
       Freiheit und Unabhängigkeit begleitet wurde von der erschütternden
       Erkenntnis, ausgeliefert und schier ausnahmslos auf sich allein gestellt zu
       sein.
       
       Das mag heute anders sein. Nun ja, zumindest hat sich die Perspektive ein
       wenig verschoben. Naturgemäß. Zwiespalt und Zweifel behaupten dennoch ihren
       angestammten Platz. Dieser melancholischen Bestandsaufnahme in
       Zigarettenlänge stellt Akerman auf einem weitaus größeren Screen die
       geradezu obsessive Betrachtung einer schönen Frau gegenüber, die mit
       langsamen Bewegungen im Close-up den Akt des Rauchens zelebriert.
       
       Scheinbar selbstvergessen auch sie, doch Akerman versetzt den Betrachter
       der erotisch aufgeladenen Szene in die Rolle des magisch angezogenen
       Voyeurs. Das alte Spiel ist ewig präsent, da können sich die Positionen und
       Ideologien noch so angestrengt verwirbeln.
       
       ## Der Blick auf den männlichen Schritt
       
       Eine Treppe höher hat die französische Bildhauerin und
       Installationskünstlerin Annette Messager selbst die Präsentation älterer
       und aktueller Werke arrangiert. „Les Approches“, Annäherungen, ist der
       Titel der Ausstellung der beiden Künstlerinnen und auch der eines 1973 in
       30er-Auflage erschienen Leporellos, in dem Messager Fotos in stets gleichem
       Ausschnitt und Maßstab versammelt, die den Blick auf den Schritt Anzug
       tragender (Geschäfts-)Männer fokussieren.
       
       Explizit sexualisiert und das Individuum, das Geschöpf völlig ausklammernd,
       erschließt sie mit dieser nüchternen Typologie eine unverschämt befreiende
       Variante der gesellschaftlich unterstellten und sanktionierten
       Geschlechterrollen. Wer sich so köstlich über angeblich den Männern
       vorbehaltene Verhaltensmuster samt den dazugehörigen Verklemmungen
       amüsieren kann, hat nachgedacht und viel gesehen.
       
       Bekannt geworden ist Messager für ihre Assemblagen, in denen Puppen und
       Plüschtiere, in oft bizarren Arrangements zwischen steife Tülltutus und
       stählerne Umklammerungen gepresst, bösen Fantasien, schlimmen Träumen,
       diffusen Urängsten in einem imaginären, fetischhaften Code Gestalt geben.
       Wie ambivalent dieser Code gelesen werden kann, zeigt sich in „Mes
       Transports“, einer der drei zwischen 2011 und 2013 entstandenen Skulpturen.
       
       Zwei Bauchrednerpuppen hocken rettungslos gefangen zwischen den Stäben
       einer Schaufensterpuppe auf einem Rollwägelchen. Wohin geht die Reise? Was
       lassen wir hinter uns? Welche Gefühle, welche Erinnerungen? Was nehmen wir
       mit, was werden wir nie mehr los?
       
       ## Die Unschärfe der Erinnerung
       
       In der jüngsten Arbeit „Mémoire-Robots“ (2015) kreuzen sich die beiden
       Begriffe: Der Schriftzug Mémoire ist melancholisch schwarz verschleiert und
       symbolisiert so das allmähliche Verschwimmen, die Unschärfe der Erinnerung;
       „Robots“ hingegen, geformt aus quietschbunten Plüschtieren, gibt sich
       robust, unbekümmert. Dabei gewinnt keine der Chiffren die Oberhand. Sie
       sind, zwei ungleiche Schwestern, verknüpft auf ewig.
       
       Mit „Ma Collection des Proverbes“, eine in kleinster Auflage herausgegebene
       Edition von 2012, beschreibt Messager betont kühl und puristisch – keine
       Schleier, keine grausamen Puppen, keine Metaphern aus dem Reich der
       Imagination – die im Volksmund tradierte abwertende Haltung gegenüber
       Frauen.
       
       Auf einer Serie fein säuberlich gerahmter, blütenweißer Taschen- oder
       Küchentücher sind französische Sprichwörter gestickt, die haarsträubend
       frauenfeindlich daherkommen („Alles ist von Gott geschaffen, die Frau
       nicht“). So haarsträubend, dass sich der Gedanke aufdrängt, dass es sich
       bei diesen stereotypen Erniedrigungen vielmehr um volkstümlichen
       Abwehrzauber handelt.
       
       Angst ist freilich ein schlechtes Vehikel für eine gelungene Annäherung.
       Die humorgesättigte Ironie von Annette Messager taugt da schon eher.
       
       7 Jul 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Annegret Erhard
       
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