# taz.de -- Klimakonferenz in Bonn: Wer sich selbst eine Grube gräbt
       
       > Deutschland gibt sich in Bonn als vorbildlicher Gastgeber. Eine kurze
       > Busfahrt entfernt sorgt der Braunkohleabbau bei den Gipfelbesuchern für
       > Entsetzen.
       
 (IMG) Bild: Die dreckige Energie bedroht das Image des Energiewende-Landes Deutschland
       
       Garzweiler/Bonn taz | Thiru Pathi blickt in den blauen Himmel. 150 Meter
       über ihm wischt ein rot-weißes Rotorblatt durch die Luft. Der Ingenieur aus
       Malaysia steht in schwarzer Daunenweste auf einem Höhenzug über dem
       rheinischen Ort Grevenbroich. Auf den Feldern, grün mit Wintersaat und
       gesäumt von Rübenbergen, forscht die Firma „Windtest“ daran, wie ihre
       Anlagen besser werden können. Pathi macht ein Selfie vor dem Turm, den
       weißen Helm auf dem Kopf. Am Horizont sieht man ein paar Wattewolken.
       
       Natürliche Wolken? Von wegen. Es ist Wasserdampf aus Kühltürmen. Geradeaus
       liegt Neurath, das modernste Braunkohlekraftwerk der Welt. Links
       Frimmersdorf, gerade abgeschaltet. Hinten am Horizont qualmt Niederaußem.
       Und irgendwo hinter Pathi und seiner Besuchergruppe brummt Weisweiler. Es
       ist die größte Konzentration von Braunkohle-Kraftwerken weltweit. Selbst
       der „Windtest“-Hügel ist eine alte Abraumhalde. „Erstaunlich“, sagt Pathi
       und klettert wieder in den Bus. Auf dem steht „#EnergiederZukunft“.
       
       „Das ist eine Herausforderung für Deutschland“, sagt der Delegierte aus
       Malaysia. Er ist ein höflicher Mensch. Ähnlich wie der Rest der
       Besuchergruppe von Klima-Delegierten, die an diesem sonnigen Novembertag
       einen Ausflug ins rheinische Braunkohlerevier machen. Sie kennen
       Deutschland als Land der Energiewende und großzügigen Gastgeber. Sie essen
       belegte Brötchen und Birnen aus den braunen Papiertüten der Organisatoren.
       Sie lauschen den Vorträgen, und sie sehen, wie die Energiewende auf
       dreckigen Füßen steht. In einem Bundesland, das drei Viertel seines Stroms
       aus der Kohle holt. So wie Polen. Oder China.
       
       „Klimaschutzlösungen made in Germany“ heißen die Touren, die
       Nordrhein-Westfalen und die Bundesregierung während der Konferenz anbieten.
       Da fahren Busse zu effizienten Heizungen in Erkrath, zur Erdwärme bei der
       Deutschen Post, zur Solarforschung in Jülich. Nur Eingeweihte wissen, dass
       sich unter der Überschrift „Rückenwind für die Energiewende“ und den bunten
       Bildern von Windanlagen eine Tour ins dunkle Herz der deutschen Kohle
       verbirgt. In den Tagebau Garzweiler II.
       
       ## Einen Meter pro Tag fressen die Bagger
       
       Der reicht bis zum Horizont, als die Besuchergruppe zwei Stunden später an
       der gigantischen Grube ankommt. Langsam schaukelt der Reisebus die
       schlammige Piste hinunter in das 240 Meter tiefe Loch, dessen Fläche sich
       über 3 mal 5 Kilometer erstreckt. Endlos lang ziehen sich die Förderbänder
       hin. Dann stoppt der Bus direkt am Fuß eines gigantischen Baggers. Ein
       Schaufelrad, hoch wie ein siebenstöckiges Haus, frisst sich am Rand des
       Tagebaus entlang. Übrig bleibt eine Mondlandschaft. Schwarze Klumpen, groß
       wie Autoreifen, liegen neben der sandigen Piste. Thiru Pathi macht eifrig
       Fotos. „Ich wusste nicht, dass es so etwas in Deutschland gibt.“
       
       Einen Meter pro Tag fressen sich die Bagger in Garzweiler nach Westen. 2007
       versprach Bundeskanzlerin Angela Merkel, Deutschland werde seine Emissionen
       von Klimagasen bis 2020 um 40 Prozent verringern. Bewegt hat sich seitdem
       nicht viel. Nur die Bagger sind vier Kilometer weiter gekommen. Und die
       weltweite Konzentration von CO2 ist weiter gestiegen.
       
       Deutschland ist technischer Gastgeber der COP. Und Bonn ist die erste COP
       mit offiziellem „Emas“-Ökosiegel. Deshalb summen Elektroshuttles durch die
       Rheinauen, der Müll wird getrennt, eine halbe Million Plastikbecher
       eingespart. Gleichzeitig kämpfen sich jeden Tag schwer beladene
       Kohleschiffe rheinaufwärts. Und 70 Kilometer nordwestlich der Konferenz
       reißen Schaufelbagger riesige Löcher in die deutsche Ökobilanz. Das
       schlechte Gewissen der Gastgeber ist mit Händen zu greifen.
       
       ## Alle wollen das Wort „Kohleausstieg“ hören
       
       Angela Merkel weiß das sehr genau. Aber als sie am Mittwoch auf der
       Klimakonferenz kurz eine Rede hält, geht sie nicht darauf ein. Schließlich
       ist das Thema bei den Jamaika-Sondierungen heiß umstritten. In Bonn wollen
       alle von ihr das Wort „Kohleausstieg“ hören. Länder wie Großbritannien,
       Kanada oder Frankreich machen es vor. Aber die Kanzlerin sagt nur: „Die
       Kohle, und besonders die Braunkohle, wird einen wesentlichen Beitrag
       leisten“, die Klimaziele zu erreichen. Ein Ausstieg sei „auch in einem
       reichen Land wie Deutschland nicht einfach“.
       
       Thiru Pathi hat dafür Verständnis. „Es ist hart für eine Volkswirtschaft,
       Bodenschätze im Boden zu lassen“, sagt der Ingenieur. Er blickt auf die
       andere Seite der Garzweiler-Grube, wo gigantische „Absetzer“ den Abraum auf
       die Hänge kippen. Die Erde dort ist in Anthrazit und hellen Gelbtönen
       gesprenkelt. „Man muss irgendetwas opfern“, sagt er. „Entweder die Profite
       der Konzerne oder die Inselstaaten“. Pathi weiß, wovon er spricht. Zu Hause
       bezieht seine Regierung 40 Prozent ihres Budgets von der staatlichen Öl-
       und Gasfirma Petronas.
       
       Entsetzen und Zuversicht halten sich auch bei den anderen Besuchern im Bus
       die Waage. „Deutschland ist für uns ein großes Vorbild in der
       Umweltpolitik“, sagte Kotoe Kuroda, Jugenddelegierte aus Japan. „Der Erfolg
       der Erneuerbaren hier macht uns Mut. Aber ich hoffe, ihr könnt das noch
       besser.“ Huan-chun Wu aus Taiwan findet, die deutsche Doppelrolle als
       Weltmeister der Erneuerbaren und der Braunkohle sei keine Heuchelei. „Ich
       glaube, Deutschland meint es ernst mit dem Klimaschutz.“ Der grüne Ruf
       Deutschlands ist durch den Garzweiler-Besuch nur angeknackst.
       
       ## Dieselskandal und die deutsche Kohlepolitik
       
       Die Gruppe besucht das Städtchen Bedburg, wo 1.500 von 11.000 Familien von
       der Braunkohle leben. „Die Region will sich verändern“, sagt der junge
       SPD-Bürgermeister Sascha Solbach. „Aber das darf nicht zu schnell gehen.“
       Seit Jahren zahle RWE keine Steuern mehr, sondern fordere sogar 24
       Millionen Euro an Rückzahlungen. Nur der neue Windpark liefert jedes Jahr
       verlässlich 1,5 Millionen ins Stadtsäckel. Thiru Pathi kann seine Fragen
       kaum zurückhalten: Werden im reichen Deutschland wirklich Menschen für die
       Kohle umgesiedelt? Bekommen sie neue Jobs?
       
       Auf der Konferenz sagen viele, die deutsche Kohlepolitik sei „verrückt“.
       Merkels Zögern beim Kohleausstieg sei „nicht die Art von Führung, die wir
       von Deutschland erwarten“, meint Teresa Riberia vom französischen Thinktank
       IDDRI. Für Li Shuo von Greenpeace China schafft „Deutschland entweder einen
       ambitionierten Ausstieg aus Kohle und Verbrennungsmotor, oder es riskiert
       es seine grüne Tradition“. Noch will aber niemand ernsthaft an Deutschlands
       Rolle rütteln. So viele Vorreiter in der Klimadiplomatie mit Geld und
       Einfluss gibt es auch wieder nicht.
       
       Deutschland müsse allerdings aufpassen, seinen grünen Ruf nicht zu
       verspielen, sagt Bob Ward von der London School of Economics. „Eine Sache
       ist es, dreckig zu sein und alle wissen das. Aber wer sauber sein will und
       plötzlich als dreckig dasteht, der verliert seinen Ruf. Das ist das
       Schlimmste, was einem passieren kann.“
       
       Der Dieselskandal sei der erste Kratzer am Ökolack gewesen. „Wenn ihr an
       der Kohle festhaltet, könnte das so aussehen, als wärt ihr ein Land im
       Niedergang.“ Der Brexit-Gegner lacht und fügt hinzu: „Wie sich das anfühlt,
       wissen wir Briten genau.“
       
       Als der Besucherbus das Tagebaurevier verlässt, blickt Thiru Pathi
       zurück. „Was mir Hoffnung macht, sind die Windkraftanlagen hier“, sagt er.
       „Die Arbeiter in der Kohle sehen jeden Tag ihre Zukunft vor Augen.“ Der
       Gouverneur des US-Bundesstaats Washington hatte seine Kritik an der
       Kohleindustrie am Tag zuvor mit einem alten amerikanischen Sprichwort
       formuliert: „Wenn du schon in der Grube sitzt, solltest du aufhören zu
       graben.“
       
       17 Nov 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernhard Pötter
       
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