# taz.de -- Die neue Fraktion im Bundestag: Was die AfD spalten könnte
       
       > In der AfD-Fraktion sitzen viele Anfänger. Da sitzen Höcke-Anhänger und
       > Wirtschaftsliberale. Schafft es ihre Spitze, sie zusammenzuhalten?
       
 (IMG) Bild: Viele Sollbruchstellen: Die AfD-Fraktion gilt als zerrissen
       
       Berlin taz | Dorotheenstraße 93, ein Gebäude im neoklassizistischen Stil,
       das 1939 als Erweiterung des Reichsinnenministeriums gebaut wurde. Im
       Erdgeschoss, links vom Eingang, schmückt ein Marmorfries die Tür zu einem
       Sitzungssaal. Darin: ein mäanderndes Hakenkreuz in Goldgravur. Eine breite
       Treppe führt nach oben.
       
       Im vierten Stock, Raum 4 13, sitzt Peter Felser, ein freundlicher, kleiner
       Mann mit runder Brille, zum blauen Anzug trägt er, farblich abgestimmt,
       Hemd und Krawatte. Bislang war Felser Unternehmer im Allgäu, jetzt ist der
       48-Jährige Fraktionsvize der Alternative für Deutschland im Bundestag. Die
       Wände in dem kleinen Büro sind weiß, die Büromöbel leer, auf dem
       Schreibtisch hat Felser sein Laptop aufgeklappt. Daneben ein Apfel, eine
       Banane, ein paar Zettel. Mehr nicht. „Ich habe das Büro erst seit einer
       halben Stunde“, sagt Felser und lächelt verschmitzt. „Das Telefon geht noch
       nicht. Und zu Trinken kann ich Ihnen auch nichts anbieten.“ Vergangener
       Montag, kurz nach elf, drei Wochen nach der Bundestagswahl.
       
       Eine Woche Bedenkzeit hatte Felser, bevor er sich zur Kandidatur für den
       Fraktionsvorstand entschied. Es ist ein schwieriger und für die AfD
       wichtiger Job. Unter Führung von Alexander Gauland und Alice Weidel sollen
       die elf Mitglieder das zusammenhalten, was Gauland „einen gärigen Haufen“
       nennt – und es zu einer schlagkräftigen Truppe formen. Zum Kraft- und
       Machtzentrum der AfD. Eine Herausforderung.
       
       Die AfD ist tief gespalten, in den 92 Abgeordneten der Fraktion steckt die
       ganze Sprengkraft der Partei: Anhänger des AfD-Rechtsaußen Björn Höcke sind
       dabei, die ihren Meister im Bundesvorstand sehen wollen, auch wenn gegen
       diesen ein Parteiauschlussverfahren läuft. Das sitzen Wirtschaftsliberale
       und Arbeitnehmerorientierte, für die genau das die rote Linie ist, die
       nicht überschritten werden darf. Manche wollen den Bundestag eher als Bühne
       für populistischen Krawall nutzen, andere Sacharbeit leisten. Und ganz
       vielen fehlt parlamentarische Erfahrung.
       
       ## Peter Felser, der stramme Konservative
       
       Gleich am Morgen nach der Wahl hat die damalige Parteichefin Frauke Petry
       verkündet, sie werde der AfD-Bundestagsfraktion nicht angehören. Ein
       Bundestagsabgeordneter folgte ihr wenig später. Werden weitere gehen? Kommt
       beim Bundesparteitag Anfang Dezember, wenn der Vorstand neu gewählt wird,
       der große Knall? Oder lässt sich die Fraktion einen?
       
       Das hängt auch von Peter Felser und den zehn anderen Mitgliedern des
       Fraktionsvorstands ab. Von Gauland, Weidel und der umtriebigen Beatrix von
       Storch einmal abgesehen, sind die meisten von ihnen weitgehend unbekannt.
       Vier sind an diesem sonnigen Tag zu einem Treffen bereit.
       
       Peter Felser sieht sich selbst in der Mitte der AfD, eher
       wirtschaftsliberal, gesellschaftspolitisch aber stramm konservativ. „Ich
       kann aber auch mit den anderen reden“, sagt er im freundlichen Plauderton
       in seinem leeren Büro. „Ich bin ein Brückenbauer.“ Ohnehin solle die
       Fraktion Sacharbeit leisten und die Zeit nicht mit Querelen, den Flügeln
       und Strömungen der Bundespartei vertun. „In der Fraktion wird es keine
       Strömungen geben“, sagt Felser. Dann hält er kurz inne und fügt hinzu:
       „Hoffentlich nicht.“
       
       Felser ist seit 2015 in der AfD, allerdings nicht primär wegen der
       Flüchtlingspolitik. „Die Positionen dazu trage ich mit, aber mein
       Herzensthema ist das nicht.“ Wichtiger für ihn: Mittelstand und
       Landwirtschaft, auch die Eurorettungspolitik. „Wir müssen raus aus dem
       Euro, so schnell wie möglich“, das hat er im Wahlkampf gefordert. Felser
       lebt mit seiner Familie auf einem Bauernhof, er hat fünf Kinder und zwei
       Unternehmen. Das eine produziert Filmdokumentationen über Traktoren, die
       Feuerwehr oder Gartenarbeit, das andere entwickelt Apps. Die AfD ist nicht
       Felsers erste rechte Partei, Anfang der Neunziger war er bei den
       „Republikanern“. Der Verfassungsschutz begann damals, die Partei wegen
       rechtsextremer Tendenzen zu beobachten. „Die Republikaner waren im
       demokratischen Parteispektrum angesiedelt“, antwortet Felser, sie hätten
       sich aber anders entwickelt als von ihm gewünscht. Deshalb sei er 1992
       ausgetreten.
       
       ## Von den „Republikanern“ zur AfD
       
       Die Tür geht auf, und ein Mitarbeiter Felsers kommt herein, er hat
       Mineralwasser und Pappbecher dabei und den Antrag für einen Hausausweis,
       den er im Internetcafé ausgedruckt hat. Er setzt sich an den runden
       Beistelltisch, füllt den Antrag aus und hält ihn Felser zur Unterschrift
       hin. Dann geht er wieder. Ein eigenes Büro hat er nicht. Weil im Bundestag
       gerade akuter Raummangel herrscht, müssen sich die 92 AfD-Abgeordneten
       provisorisch 71 kleine Einraumbüros teilen. „Käfighaltung“ nennen das
       manche von ihnen.
       
       Felser war zwölf Jahre bei der Bundeswehr, „operative Kommunikation“ heißt
       die Einheit heute, früher sprach man von „psychologischer Kriegsführung“.
       Bei der Propagandatruppe, so erzählt er, habe er Götz Kubitscheck
       kennengelernt, den heutigen Vordenker der Neuen Rechten. Kubitschek war
       damals Germanistikstudent und kam als Reserveoffizier. 1997 haben die
       beiden gemeinsam ein Buch herausgebracht, „Raki am Igman. Texte und
       Reportagen aus dem Bosnien-Einsatz der Bundeswehr“, in dem die Innere
       Führung der Bundeswehr lächerlich gemacht und die Verbrechen der Wehrmacht
       kleingeredet werden.
       
       „Wir haben das zusammengeworfen, Kubitschek ist das politischer angegangen
       als ich“, sagt Felser in seinem Büro. Heute würden Welten zwischen ihnen
       liegen. Aber hinter dem Buch stehe er noch, sagt Felser. Das sei Teil
       seiner Vita, genau wie die Reps. „Dem schwöre ich nicht ab.“
       
       ## Hans-Jörg Müller, für den alle anderen linksaußen sind
       
       Montagfrüh viertel vor neun, ein Möwenpick-Hotel wenige Kilometer vom
       Reichstag entfernt. Mit etwas Verspätung kommt Hans-Jörg Müller aus dem
       Aufzug in die Lobby gestürmt. Müller, hellblaues Hemd und Jeans, die Haare
       Richtung Glatze gestutzt, hat einen Rucksack auf der Schulter, in der Hand
       eine Baumwolltasche mit Bundesadler darauf und eine Tüte. „Mein Büro“, sagt
       er und grinst. Müller ist einer der nachgeordneten parlamentarischen
       Geschäftsführer der AfD-Fraktion, er ist für ihren Haushalt und die Büros
       zuständig, auch für Kontakte zu Parteien im Ausland. In seinem Rucksack hat
       er die Schlüssel für neun Büros, die er später in der Dorotheenstraße an
       Felser und die anderen bayerischen Abgeordneten verteilen wird.
       
       Müller und Felser kommen beide aus Bayern, sind selbstständig und im
       Mittelstandsforum der AfD aktiv. Sonst aber sind sie sehr unterschiedlich.
       Felser plaudert, Müller doziert. Und während Felser sich in der AfD kurz
       einordnet, sagt Müller, da müsse er erst einmal sein Konzept der „echten
       Mitte“ erläutern.
       
       Dann legt der seine Armbanduhr und den langen, schmalen Löffel, den der
       Ober zu seinem Latte Macchiato gebracht hat, zu einem Kreuz als
       Koordinatensystem auf die weiße Untertasse. Linksaußen seien alle
       „Altparteien“, die Linkspartei vielleicht ein bisschen weiter links als
       Grüne, CDU und SPD, aber nicht viel. Deshalb wirke das, wo sich Löffel und
       Armband kreuzen, als rechts. Dort, in der „echten Mitte“, sei die AfD zu
       verorten. Und er mitten drin.
       
       Müller ist der aus dem Fraktionsvorstand, der dem
       völkisch-nationalistischen Flügel um Höcke am nächsten steht. Er hat die
       Erfurter Erklärung unterschrieben, die als Gründungsmanifest der Strömung
       um Höcke gilt. Mitglied ist Müller nach eigenen Angaben aber nicht. „Aber
       es ist nicht falsch zu sagen, dass es eine Nähe gibt“, sagt er. Das
       Parteiausschlussverfahren gegen Höcke hält er für falsch. Abgrenzungsdruck
       von außen dürfe man möglichst nicht nachgeben. Er sagt aber auch: „Als
       Vorsitzender des AfD-Mittelstandsforums vertrete ich auch
       wirtschaftsliberale Positionen. Unsere Partei braucht beides.“
       
       Müller, 48, Volkswirt, drei erwachsene Kinder, ist selbstständig und
       saniert mittelständische Unternehmen, er spricht vier Fremdsprachen.
       Sechseinhalb Jahre hat er in Russland gelebt, seine Frau stammt von dort.
       In Russland, so sagt er, „ist der gefühlte Freiheitsgrad wesentlich größer
       als hier“. Auf YouTube kann man Müller sehen, wie er brüllt, dass die
       „durchgeknallte Nato alles tue, um Russland zum Krieg zu reizen“. Oder dass
       die US-Finanzindustrie die „Gleichschaltung der Welt“ anstrebe und die
       Bevölkerung zu „Arbeits- und Konsumsklaven“ abrichten will.
       
       Dann muss Müller los, in die Dorotheenstraße, Büroschlüssel verteilen.
       Draußen vor dem Hotel wartet die Fahrbereitschaft des Bundestags.
       
       Von Müller aus gesehen am anderen Ende des Fraktionsvorstands steht Roland
       Hartwig, 63. Der promovierte Jurist hat 17 Jahre lang bis 2016 die
       Rechtsabteilung des Bayer-Konzerns geleitet. Ein Büro hat Hartwig an diesem
       Montagmittag noch nicht, im Laufe der Woche wird auch er in die
       Dorotheenstraße einziehen. In Anzug und Krawatte und mit Aktenkoffer
       betritt er ein Café in der Nähe des Bundestags, setzt sich auf einen der
       abgewetzten Polsterstühle, lächelt milde und bestellt eine Chai-Latte,
       geeist.
       
       ## Der Gemäßigte: Roland Hartwig
       
       Dann erzählt Hartwig, dass er konservativ-liberal sei und sich lange bei
       CDU und FDP gut aufgehoben fühlte, bis die CDU nach links gewandert und die
       FDP beliebig geworden sei. 2013 trat Hartwig in die AfD ein. Der Auslöser:
       Europa. „Der Bruch politischer und rechtlicher Grundlagen durch die
       Eurorettungspolitik der Kanzlerin. Seitdem sind viele Themen dazugekommen,
       darunter die Flüchtlingspolitik. Auch völlig verfehlt, auch rechtswidrig.“
       
       Hartwig stand auf Platz 14 der Landesliste der AfD-NRW, einem tief
       gespalteten Landesverband, dem mit Petry-Gatten Marcus Pretzell einer der
       beiden Landeschefs abhanden gekommen ist. Nach der Wahl wurde Hartwig
       unerwartet erst zum Vorsitzenden der größten Landesgruppe gewählt, dann zum
       ersten Fraktionsvizechef. Einen Gegenkandidaten hatte er nicht. „Ich stehe
       für eine sehr solide bürgerliche Politik, im Bundestag ist konstruktive
       Realpolitik meine Agenda“, sagt Hartwig.
       
       Vor vier Wochen ist er nach Tettau gereist, ins bayerisch-thüringische
       Grenzgebiet. Dort haben etwa 150 AfD-Mitglieder aus dem eher
       bürgerlich-liberalen Spektrum die „Alternative Mitte“ gegründet, das
       Gegenstück zu Höckes Flügel. Die Gemäßigteren wollen mehr Einfluss in der
       Partei.
       
       Jetzt sagt Hartwig: „In der Fraktionsspitze insgesamt gibt es eine klare
       bürgerliche Ausrichtung, auch die breite Masse der Basis gerade in den
       alten Bundesländern ist bürgerlich. Höcke und seine Anhänger dagegen sind
       eine kleine Minderheit.“ Mit Höckes Äußerungen in Dresden, in der dieser
       eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad forderte, ist Hartwig nicht
       einverstanden. „Auch sein Habitus ist nicht mein Ding.“ Doch auch der
       rechte Flügel sei nicht per se schlecht. „Ein gutes Team besteht aus
       heterogenen Charakteren, die sich aber der gemeinsamen Sache verschreiben
       müssen“, sagt Hartwig, das habe er schon bei seinem Arbeitgeber so
       gehalten. „Die AfD verträgt auch einen Höcke.“ Dann bricht er auf, um 14
       Uhr tagt der Fraktionsvorstand.
       
       ## Ganz flexibel: Leif-Erik Holm
       
       Leif-Erik Holm hat ein Treffen um 17 Uhr vorgeschlagen, kurz vorher schickt
       er eine SMS: „Können Sie auch gegen 19 Uhr?“ Es ist fast halb acht, als er
       im weißem Hemd und Jackett die Kneipe am Spreeufer in der Nähe des
       Reichstags betritt. Holm, 47, hat als Radiomoderator gearbeitet, dann das
       Berliner Büro von von Storch geleitet, die ihm jetzt in der Wahl zum
       vierten Fraktionsvize unterlag. Bislang ist er AfD-Fraktionschef in
       Mecklenburg-Vorpommern. Holm gilt als gemäßigt, sieht sich selbst „in der
       Mitte der Partei“, hat den Rechtsaußen in seiner Fraktion in Schwerin aber
       wenig entgegengesetzt. Er bestellt ein großes Bier.
       
       Holm war früher einer der Vertrauten Petrys, anders als sie aber strahlt
       er, ganz der Norddeutsche, stets eine gewisse Ruhe und Gelassenheit aus.
       Mit sanfter Stimme bemüht er sich, die Konflikte in der Partei
       kleinzureden. Die inhaltlichen Gegensätze? „Teils künstlich“. Die Debatte,
       ob man im Parlament nun Fundamentalopposition oder realpolitische
       Alternative sein wolle, die Petry betont hatte? „An den Haaren
       herbeigezogen.“ Was alle eine, sei „der Erhalt Deutschlands, wie wir es
       kennen“. Davon müsse man ausgehen. Das Parteiausschlussverfahren gegen
       Höcke sieht Holm pragmatisch: Es sei juristisch kaum mehr durchsetzbar.
       Eine Abmahnung als Sanktion nach dessen Dresdener Rede wäre aus seiner
       Sicht sinnvoller gewesen. Selbstverständlich sei, dass der Flügel im
       Bundesvorstand vertreten sein will. Konkret zu einer Kandidatur Höckes will
       Holm sich nicht äußern. Nur so viel: Wichtig sei, dass ein Team gefunden
       werde, das den Zusammenhalt in der Partei stärkt. Das soll wohl heißen,
       dass er eine Kandidatur Höckes nicht wirklich für glücklich hält.
       
       Im Bundestag will Holm, sagt er beim Bier, die AfD zusammenführen. Bislang
       klappe das trotz Petrys Abgang ganz gut: Die verschiedenen Strömungen in
       der Fraktion zögen an einem Strang. „Wir müssen die Meinung der anderen
       akzeptieren, das ist uns auch im ersten Jahr in Schwerin ganz gut
       gelungen.“
       
       Das kann man auch ganz anders sehen. In Mecklenburg-Vorpommern sind von den
       2016 gewählten 18 Landtagsabgeordneten nur noch 13 übrig. Erst musste der
       frühere Fraktionsvize Holger Arppe wegen gewaltverherrlichenden und
       kinderpornografischen Chats gehen, dann traten am Tag nach der
       Bundestagswahl vier Abgeordnete aus der Fraktion aus und begründeten dies –
       wie Petry – mit dem Rechtsruck der Partei.
       
       Es ist nicht ausgeschlossen, dass das in der Bundestagsfraktion manche ganz
       ähnlich sehen. Auf die selbsternannten Brückenbauer in der AfD-Fraktion
       kommt viel Arbeit zu.
       
       22 Oct 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sabine am Orde
       
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