# taz.de -- Protest in Polen: Junge Generation gegen alte Parolen
       
       > Immer mehr junge Menschen in Polen beteiligen sich an Protesten gegen die
       > nationalkonservative Regierung. Was hat sich verändert?
       
 (IMG) Bild: Anderer Ton, andere Protagonisten: Massenproteste in Polen gegen die umstrittene Justizreform der Regierung
       
       Auch in Deutschland sind uns diese Bilder schon wohlbekannt: Seitdem in
       Polen die nationalkonservative Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) im
       Oktober 2015 die Parlamentswahlen gewann, gehen Menschen in Warschau,
       Krakau oder Danzig zu Tausenden auf die Straße. Sie schwenken polnische und
       europäische Fahnen, pfeifen die Regierenden aus und bilden Lichterketten –
       sie demonstrieren gegen die Entmachtung des Verfassungsgerichts, die
       Verschärfung des Abtreibungsgesetzes oder, wie zuletzt, gegen eine
       Justizreform, die der PiS absolute Verfügungsgewalt über die polnischen
       Gerichte gäbe.
       
       Same old, same old, Polen auf den Straßen, alles schon gesehen, wird manch
       einer sagen. Doch die jüngsten Proteste sind anders, im Ton und in Hinblick
       auf ihre Protagonisten. Auf einmal sind die Jungen da! Dies sind nicht
       ausschließlich die 30-Jährigen, sondern auch die 20-Jährigen, die
       milenialsi, wie sie auf Polnisch heißen, die um die Jahrtausendwende
       geborenen Millennials. Sie tragen ihren Hedonismus in den Protest.
       
       Gegen die PiS zu sein wird auf einmal zu einem Fashion Statement. In
       sozialen Netzwerken finden sich etliche Selfies sonnenbebrillter,
       aufgehübschter Kids: #DemokratieRetten. In vielen Foren reagieren User
       kritisch darauf.
       
       Ein Foto etwa zeigt einen Typ mit Rauschebart, hinter die Ohren
       gestrichenen Haaren und einer Kippe im Mund. Darunter steht: „Protestchen,
       Bierchen, Bildchen auf Instagram und dann ab mit dem Uber-Taxi nach Hause“.
       
       ## Gegen Europa zu sein, gilt vielen immer noch als cool
       
       Belächeln sollte man den jungen Protest trotzdem nicht – und zwar nicht
       nur, weil schließlich Staatspräsident Andrzej Duda zwei der drei Gesetze
       nicht unterschrieben hat, sondern weil jene Kids der Opposition die
       Deutungshoheit im Internet retten. Bisher waren es vor allem rechte
       Aktivisten und Journalisten, die es geschafft haben, die Jungen an sich zu
       binden. Gegen Europa zu sein, ein Nationalist zu sein, das gilt vielen
       immer noch als cool, das ist beinahe schon subversiv.
       
       Nun aber werden Proteste gegen PiS mithilfe von Snapchat organisiert, also
       dem sozialen Netzwerk, das offenbar niemand versteht, der älter als 23
       Jahre ist. Hinzu kommt eine Ästhetisierung, die über Selfies hinausgeht.
       Ein [1][Internetposter] mit einer Hand etwa, die drei Finger zeigt,
       kubistisch verfremdet, dazu die Forderung an Präsident Duda, dreimal mit
       einem Nein zu unterzeichnen. Plötzlich geistern Schnappschüsse durchs Netz,
       wie das von einem Demonstranten, der eine Kerze hochhält und dem heißes
       Wachs an der Hand herunterläuft: ein Symbol für die Lichterketten vor dem
       Parlament oder dem Obersten Gericht. Derartige Bilder helfen, die jungen
       Protestierenden bei der Stange zu halten.
       
       Nur: Warum engagieren sie sich erst jetzt? Gründe, sich einzumischen, gab
       es in den vergangenen Monaten in Polen doch genug. Für viele war mit der
       Justizreform allerdings eine gewisse Grenze überschritten. Diejenigen, die
       apolitisch zu Hause saßen oder still sogar Teile der PiS-Reformen
       guthießen, treibt es jetzt hinaus. Fragt man sie, warum, sagen sie,
       Kaczyński sei zu weit gegangen, unverschämt sei die Art und Weise, wie das
       Gesetz durchgedrückt werden solle, wenn jetzt nicht protestiert werde, dann
       sei es das gewesen mit der Gewaltenteilung und der Demokratie in Polen.
       
       ## Gegen konzentrierte Macht
       
       Den Unmut erregt also auch die Figur Jarosław Kaczyńskis, des starken
       Mannes in Warschau, der während der Proteste mit einer Wutrede im Sejm, dem
       Parlament, die Jungen nur noch mehr abgeschreckt hat. Nach Luft japsend,
       beschimpfte er die Opposition als Kanaillen. Protestiert wurde auch vor
       seinem Wohnhaus im Stadtteil Żoliborz – Parlament, Gericht, Kaczyńskis
       Heim, als wäre der einfache Abgeordnete selbst ein Verfassungsorgan. Auch
       das erzählt etwas über die aktuellen Proteste: Zu viel Macht, konzentriert
       auf eine Partei oder einen Mann, empört die Jungen.
       
       Und natürlich verhält es sich mit dem Protest ähnlich wie mit einem gut
       besuchten Café: Wenn es voll ist, wollen noch mehr Leute rein. Als deutlich
       wurde, dass der Unmut nicht vom KOD (Komitee zur Verteidigung der
       Demokratie) getragen wird, auch nicht von einer Oppositionspartei und
       trotzdem etwas bewirkte, war das für viele ein Anreiz, mitzumachen. Die
       KOD-Bewegung die die bisher größten Proteste gegen PiS auf die Beine
       stellte, ist alles andere als jung. Sie steht mitunter für die
       Besitzstandswahrer der Ära der liberalkonservativen PO (Bürgerplattform),
       der Partei von Ex-Premierminister Donald Tusk.
       
       Die Jungen, deren Arbeitsverhältnisse prekär sind – egal, ob sie PiS
       unterstützen oder nicht –, hatten von Beginn an Probleme mit dem KOD. Zudem
       hat die Bewegung wegen eines Veruntreuungsskandals um ihren Gründer Mateusz
       Kijowski deutlich an Unterstützung verloren.
       
       ## Gegen alte Parolen
       
       Auch die kämpferische Sprache des KOD oder den Vertretern der PO schreckt
       die milenialsi ab. Das Grabenkampfvokabular erscheint der Generation Selfie
       als ein Relikt aus der Zeit der Solidarność-Bewegung. Dass der
       demokratische Oppositionelle aus den 1980er Jahren, Władysław Frasyniuk,
       nun ein bescheidenes Comeback feiert, passt nicht in die Choreografie der
       Proteste. Wenngleich sie seine Lebensleistung anerkennen, sagen viele
       Junge: „Seine Zeit ist vorbei, wir brauchen neue Gesichter.“
       
       Tatsächlich aber fehlen Führungsfiguren. Als sich am vergangenen Freitag in
       Berlin vor der Baugrube der neuen polnische Botschaft etwa 500 Menschen
       versammelten, um ihre Stimmen gegen die Justizreform zu erheben, wurde
       genau das von den Organisatoren positiv betont. Weit und breit keine
       Parteiabzeichen, auch wenn vor den polnischen und europäischen Fahnen am
       Bauzaun Mitglieder der Berliner Sektion der linken Partei Razem
       („zusammen“) standen.
       
       Die polnische Nationalhymne wurde gesungen, Absätze der Verfassung wurden
       verlesen. Vorne stand das bekannte polnische Model Anja Rubik und machte
       Fotos, ein paar Meter neben Rubik der polnischamerikanische Historiker Jan
       T. Gross: eine friedlich-fröhlich-hippe Eintracht.
       
       Das sei ein „Plüschprotest“, sagt ein Aktivist aus Warschau. Die Jungen
       seien unfassbar harmoniebedürftig – obwohl ihnen die Sache ernst sei.
       Jemanden, zu dem sie aufschauen und an dem sie sich orientieren können,
       wünschen sich die Protestierenden aber offenbar doch. Nur so erklärt sich
       der Jubel für Kamila Gasiuk-Pihowicz, eine junge Abgeordnete der
       Oppositionspartei Nowoczesna (Die Moderne), die bei den Protesten vor dem
       Präsidentenpalast auf einem Podium redete und die alten und mittelalten
       Männer der Opposition verblassen ließ.
       
       ## Die Jugend des Landes ist gespalten
       
       Und wo sind die Rechten und Regierungstreuen abgeblieben? Immerhin liegt
       die PiS mit etwa 40 Prozent Zustimmung weiter deutlich vor allen anderen
       Parteien; bei den unter 24-Jährigen kommt sie laut einer aktuellen
       repräsentativen Umfrage sogar auf 63 Prozent. Darüber hinaus ziehen
       Bewegungen, die noch weiter rechts stehen als die PiS, ebenfalls viele
       junge Menschen an. Dazu gehören der ONR (Nationalradikales Lager) oder die
       Młodzież Wszechpolska (Allpolnische Jugend).
       
       Diese zeigen sich an anderen Tagen auf der Straße, zum Beispiel am 11.
       November, dem polnischen Nationalfeiertag. Wenn es also bald wieder so
       weit ist, werden viele Kommentatoren im Ausland sich wundern, was denn aus
       den schönen bunten Protesten geworden sei. Dabei gilt es, zu begreifen:
       Hier besteht kein Widerspruch. Wie Polen im Allgemeinen, so ist auch die
       Jugend des Landes gespalten.
       
       27 Jul 2017
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.kod-mazowsze.pl/mc-events/3xveto-pod-palacem-prezydenckim-bez-partyjnych-liderow/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Philipp Fritz
       
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