# taz.de -- Demo gegen Justizreform in Polen: „Wir müssen die Gerichte verteidigen“
       
       > Zehntausende Menschen sind in Warschau gegen die umstrittene Justizreform
       > auf die Straße gegangen. Sie fordern ein Veto des Präsidenten.
       
 (IMG) Bild: Nahe des Parlaments: Menschen trampeln aus Protest mit den Füßen gegen eine Absperrung
       
       Warschau taz | Es ist ihre erste Demonstration. Kurz vor Mitternacht
       skandieren Anna, Tomek und ihre Freunde vor dem hell erleuchteten
       Präsidentenpalast in Warschau: „Wir wollen ein Veto!“ und „Freie
       Gerichte!“. Alle fünf studieren Jura. Anna will einmal Richterin werden.
       Zusammen mit zehntausenden Polen versucht sie, im letzten Augenblick die
       Gleichschaltung der Justiz zu verhindern. Innerhalb weniger Tage hatte die
       nationalpopulistische Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) mit
       ihrer absoluten Mehrheit im Parlament ein Gesetzespaket durchgewunken, mit
       dem Polens bislang unabhängige Richter dem Justizministerium unterstellt
       werden, so wie zuvor auch schon die Staatsanwälte.
       
       „Der Präsident ist auch Jurist. Er hat in Krakau studiert“, sagt Anna
       verzweifelt. Sie hat Tränen in den Augen. „Nur er kann mit einem Veto die
       Katastrophe noch aufhalten. Aber auch er ist ja ein PiS-Mann“. Wie fast
       alle Demonstranten – das Warschauer Rathaus schätzt die Zahl auf rund
       50.000 – streckt sie den Arm mit der weiß-flackernden Grabeskerze in den
       tiefschwarzen Himmel und ruft „Freiheit! Freiheit!“. Tomek schwenkt eine
       große EU-Fahne. „Wir haben uns bisher nicht für Politik interessiert“,
       schreit er gegen den Lärm an. „Jetzt bekommen wir dafür die Rechnung.
       
       Wie soll ich jemanden verteidigen, wenn das Urteil vom Parteibuch abhängt?“
       Der 24-Jährige will Rechtsanwalt werden. „Der normale Bürger wird keine
       Chance mehr auf einen fairen Prozess haben. Es wird nur noch
       PiS-Staatsanwälte und PiS-Richter geben. Das ist das Ende!“ Er schüttelt
       den Köpf, schwenkt wieder die Fahne und umarmt seine Freundin Anna: „Wenn
       der Präsident kein Veto einlegt, wandern wir aus. Wir haben noch unser
       ganzes Leben vor uns!“
       
       Eine ältere Dame, die neben ihnen steht und ebenfalls eine weiß-flackernde
       Trauerkerze in der Hand hält, nickt. „Ich bin Polin“, sagt sie resolut und
       zieht die grüne Baseballkappe über den weißen Stoppelhaaren herausfordernd
       in den Nacken. „Ich habe schon einmal für Polens Freiheit gekämpft. In den
       70er- und 80er-Jahren. Heute würde ich den Jungen sagen: “Geht! Verlasst
       Polen. Meinen Segen habt Ihr!“ Anna und Piotr schauen sie zweifelnd an.
       „Ja, ja“, sagt die 73-Jährige und zeigt auf die Bühne „Wladyslaw Frasyniuk
       hat schon in der Volksrepublik für seinen Widerstand im Gefängnis gesessen.
       Er und wir – wir werden das wieder in Ordnung bringen! Und dann könnt ihr
       zurückkommen.“
       
       In die Menge gerät Bewegung. Polizisten bahnen sich den Weg nach vorne zum
       Präsidentenpalast. Dort ruft Frasyniuk, der berühmte Bürgerrechtler aus
       Wroclaw (Breslau), den Demonstranten zu: „Wir müssen die Gerichte
       verteidigen. Wir müssen die Richter verteidigen. Und deswegen werden wir
       jetzt – jetzt sofort – zum Obersten Gericht marschieren.“ Sein rotes
       Poloshirt ist weithin zu sehen. Das Mikro trägt seine Stimme über die
       gesamte Krakauer Vorstadtstraße. „Und ab morgen werden wir jeden Tag diese
       Institution des Rechts verteidigen. Wir alle, alle Staatsbürger Polens,
       werden ab morgen den Rechtsstaat vor den Gerichten im ganzen Land
       verteidigen!“
       
       Auf den Treppenstufen einer Kneipe sitzen Andrzej und seine Frau Izabella.
       Er ist Bankangestellter, sie Krankenschwester, beide Mitte 30 Jahre alt.
       „Woher dieser Mann seine Energie nimmt! Das ist unglaublich“, sagt Andrzej,
       starrt auf die hell erleuchtete Bühne und trinkt einen Schluck Cola.
       Izabella hält die weiß-rote polnische und die blaue EU-Fahne umklammert. Es
       ist kurz vor Mitternacht. „Wir wollen nicht aus der EU gedrängt werden“,
       wiederholt sie einen Satz, der an diesem Abend immer wieder durch die
       Straßen Warschaus schallt. „Bloß kein Polexit!“ Andrzej wischt sich den
       Schweiß von der Stirn: „Wir sind immer noch zu wenig. Wenn die PiS auch die
       nächsten Wahlen gewinnt, was dann?“
       
       Izabella steht auf und reicht Andrzej die polnische Fahne: „Komm, lass uns
       noch zum Obersten Gericht gehen. Das ist kein Spaß. Das ist unsere
       verdammte Pflicht!“
       
       21 Jul 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gabriele Lesser
       
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