# taz.de -- Zukunft Essen?: Hier wächst sich was zusammen
       
       > Permakultur-Gärtner pflanzen Gemüse durcheinander – ohne Pestizide, aber
       > auch mal mit Musikbeschallung. Spinner oder Visionäre?
       
 (IMG) Bild: Mischkultur, 10 Meter breite „Insektenhotels“, ein See: Permakultur ist ein Idyll
       
       Mozart, Bach und Beethoven tun seinen Obstbäumen gut, findet Friedrich
       Lehmann. Sechs Lautsprecher hat er auf seiner Plantage Jelanisol in
       Andalusien anbringen lassen – am Wohnhaus, am Lager und an der Pumpstation
       für die Bewässerung. Von dort plätschert klassische Musik auf die Bäume
       voller Avocados, Orangen und Mangos. Gerade dreht sich „Piano Love. Die
       schönsten Klaviermelodien“ im CD-Player. Das soll die Poren öffnen, damit
       die Blätter mehr Energie aufnehmen. „Da sagen die anderen: Das ist doch
       alles bescheuert. Ja, guck dir doch mal an, wie viele Avocados an diesem
       Baum hängen. Und der hat seit 15 Jahren keinen Dünger gesehen!“, ruft
       Lehmann.
       
       Für manche ist Friedrich Lehmann ein esoterischer Spinner. Für andere aber
       ist er ein knallharter Kapitalist. Denn außer dieser und anderen Fincas
       besitzt er auch Deutschlands größtes Importunternehmen für Bioobst und
       -gemüse, das vor allem konventionelle Supermarktketten beliefert.
       
       Lehmann läuft in Sportschuhen über seine Plantage, die Ärmel des Pullovers
       hat er hochgekrempelt. Seine grauen Haare trägt er ohne Scheitel.
       Eigentlich könnte er schon in Rente sein. Wie alt er genau ist? „Nach
       Erfahrung gefühlte 270, nach Energie 23,5 Jahre, alles klar?“
       
       Auf seiner Finca Jelanisol macht Lehmann vieles, was Agrarökonomen für
       Unsinn halten: Bäume und Sträucher scheinen wild durcheinander zu wachsen.
       Statt das Land komplett für die Produktion zu nutzen, stehen an den Rändern
       der Plantage im Ort Gibraleón 10 Meter breite Hecken. „Insektenhotels“,
       nennt Lehmann sie. Ruhezonen, beispielsweise für Marienkäfer, die ihm bei
       der Schädlingsbekämpfung helfen. Mitten auf der Finca liegt ein kleiner See
       mit Schilf und Enten. „Da ist Leben!“ Euphorisch und laut sagt Lehmann
       solche Sätze, fast schreit er.
       
       ## „Permakultur hat mit Liebe zu tun.“
       
       Über Schläuche in der Erde bringen seine Leute Wasser mit Mikroorganismen
       aus, die den Boden fruchtbarer machen sollen. Sie bauen nicht nur eine
       Obstart je Feld an, was Arbeitszeit für die Pflege sparen würde. Lehmann
       lässt lieber abwechselnd je zwei Reihen Zwergorangen neben Kakibäumen
       wachsen – und auf dem Boden dazwischen Luzerne. Viele Bäume stehen in
       geschwungenen Linien, was den Wind brechen soll. Denn Wind, erklärt
       Lehmann, sei Stress für die Pflanzen.
       
       „All das“, sagt Lehmann, „ist Permakultur.“ Das Wort „Permakultur“ setzt
       sich zusammen aus „permanent“ und „agriculture“, also: dauerhafte
       Landwirtschaft. So heißt das Prinzip, nach dem Lehmann hier anbaut. Einer
       ihrer Begründer, der Australier Bill Mollison, hat Permakultur als Entwurf
       „von landwirtschaftlich produktiven Ökosystemen“ definiert, die so
       vielfältig und widerstandsfähig sind wie natürliche Ökosysteme. Ziel ist
       „die harmonische Integration von Landschaft und Menschen“. Viele Autoren
       fassen die Philosophie in drei Punkten zusammen: Sorge für die Erde, sorge
       für die Menschen, begrenze Konsum und Wachstum! Oder wie Lehmann
       formuliert: „Permakultur hat mit Liebe zu tun.“
       
       Permakulturlandwirtschaft soll umweltfreundlicher sein als die
       Agrarbranche. Was nicht schwer ist, weil die konventionelle Landwirtschaft
       mit ihren chemisch-synthetischen Pestiziden und Unmengen Dünger maßgeblich
       dafür verantwortlich ist, dass Tier- und Pflanzenarten aussterben. Aber
       Permakultur will sogar besser sein als der gängige Biolandbau, der
       beispielsweise auf synthetische Unkrautvernichtungsmittel wie Glyphosat
       verzichtet.
       
       Auch Ökolandwirte setzen im Obstbau anders als etwa bei Getreide weitgehend
       auf Monokulturen. Auf den Feldern soll also nur eine Pflanzenart wachsen,
       weil Äpfel schon lange so angebaut wurden und weil es billiger ist, eine
       Plantage mit nur einer Pflanzenart zu unterhalten.
       
       ## Mehr bio als Bio
       
       Doch in Monokulturen können weniger andere Pflanzen- und Tierarten
       überleben. Zudem sind sie anfälliger für Krankheiten und Schädlingsbefall.
       Deshalb greifen auch Bioobstbauern zur Pestizidspritze. Gegen einen Pilz
       etwa nutzen sie Mittel aus dem Schwermetall Kupfer. Die sind auch im
       Ökolandbau erlaubt, aber [1][laut Umweltbundesamt reduzieren sie die
       Artenvielfalt] und schädigen Nützlinge wie Regenwürmer.
       
       Permakultur entstand schon in den Siebzigern, doch bisher ist ihr Anteil an
       der Landwirtschaft minimal. Das australische Permaculture Research
       Institute hat [2][2.300 Projekte registriert] – weltweit. Lange wurden sie
       als Hippie-Hobby belächelt. Schließlich produzieren die meisten Projekte
       nur wenig, oft ausschließlich für den Eigenbedarf.
       
       Dennoch ist Permakultur attraktiv für einen wie Lehmann, der sein Leben
       lang auf der Suche zu sein scheint. Der gebürtige Düsseldorfer ist Erbe
       eines konventionellen Obst- und Gemüsegroßhandels. Mit 14 schmiss er die
       Schule, dann fuhr er für die Firma seiner Familie Lkw. Später wurde er der
       Chef – und suchte weiter: „Du merkst auf einmal: Du hast eine Firma, mit
       die größte von Deutschland, du hast Geld, aber das fühlt sich nicht so gut
       an. Ich kam in die konventionellen Farmen rein und merkte: Da ist ja gar
       kein Leben mehr.“
       
       Schließlich verkaufte Lehmann das konventionelle Geschäft an US-Investoren
       und etablierte Ende der achtziger Jahre einen reinen Biohändler:
       [3][Lehmann natur.] Inzwischen arbeiten für die Firmengruppe in Meerbusch
       nahe Düsseldorf etwa 200 Menschen. Hauptsächlich importieren sie Obst und
       Gemüse von anderen Lieferanten, aber das Unternehmen produziert auch selbst
       – auf Jelanisol und drei weiteren Höfen in Südspanien.
       
       ## Musik und Mischkultur
       
       Die Arbeit hielt Lehmann nicht davon ab, 15 Jahre lang durch die Welt zu
       reisen, sich mit Quantenphysik, Hirnforschung, Buddhismus zu befassen.
       Lehmann war in Indien, berauschte sich mit der Droge Ayahuasca – und las
       ein Standardwerk über Permakultur. Vor zehn Jahren fing er an, Jelanisol
       auf diese Anbauphilosophie umzustellen. Eine Nachbarfinca zieht gerade
       nach.
       
       Wie Lehmann Permakultur umsetzt, klingt erst einmal ziemlich esoterisch.
       Aber ist er deshalb verrückt – nicht ernst zu nehmen?
       
       Ob Musik wirklich Pflanzen besser wachsen lässt, ist – gelinde gesagt –
       umstritten. Nicht aber, dass Mischkulturen, Hecken und Teiche in
       landwirtschaftlichen Betrieben besonders naturfreundlich sind.
       
       Jelanisol ist mit 52 Hektar [4][fast fünfmal so groß wie vergleichbare
       deutsche Obsthöfe]. Die Finca produziert gemeinsam mit einem etwa 30 Hektar
       großen Betrieb in Italien so viel Obst und Gemüse, dass sie alle rund 300
       Filialen der deutschen Supermarktkette Real beliefern kann. Dort liegt ihr
       Obst neben der konventionellen und der normalen Bioware. Eingepackt in die
       gleichen Plastikfolien und -schalen. „Real Permakultur“ steht auf den
       Etiketten. Und: „Mehr Natur. Mehr Geschmack. Mehr Bio!“
       
       ## Es zahlt sich aus
       
       Jelanisol, sagt Lehmann, mache Gewinn. In einem normalen Jahr lieferten
       ihre 50 Hektar 800 Tonnen Obst. Die Preise sind etwas höher als für normale
       Bioware, aber eben nur etwas. Zwar ist der Arbeitsaufwand höher. Eine
       Mischkultur zu pflegen und zu ernten kostet mehr Zeit. Aber dafür, sagt
       Lehmann, werde der Boden immer fruchtbarer und das System
       widerstandsfähiger gegen Schädlinge. Am Ende ernte er mehr als in einer
       herkömmlichen Bioplantage. „Wenn man’s gut macht, kann man sehr gut davon
       leben“, sagt Lehmann.
       
       Dass Permakultur ökonomisch funktioniert, ist wissenschaftlich nicht
       belegt. Zwar bescheinigte [5][eine Studie] dem in der Szene sehr bekannten
       französischen Permakulturhof [6][Bec Hellouin] ein gutes Einkommen. Doch
       der [7][Forscherin Catherine Stévens] zufolge hat die Untersuchung zum
       Beispiel die eingesetzte Arbeitszeit unterschätzt.
       
       Und wie kann der Verbraucher sicher sein, dass da, wo Lehmann Permakultur
       draufschreibt, wirklich Permakultur drin ist? Wie lässt sich solch ein
       Konzept überhaupt in konkreten Richtlinien festschreiben?
       
       Bisher lassen Real und Lehmann neue Betriebe nur von einem Beirat aus einem
       Permakulturforscher, einem Verbraucherschützer und einem Umweltschützer
       überprüfen. Diese sollen beurteilen, ob der Kandidat die [8][Richtlinie
       erfüllt, in der Lehmann Permakultur definiert].
       
       ## Dehnbare Regeln, wenige Standards
       
       Aber diese Regeln sind sehr flexibel. Neben der unabdingbaren
       Biozertifizierung verlangen sie zum Beispiel „geschwungene Linien“ – aber
       nur „wenn umsetzbar“. Es ist auch nicht festgelegt, auf welcher Fläche die
       Kulturen gemischt sein müssen. Deshalb dürfen beispielsweise auf Jelanisol
       in 20 Reihen nebeneinander ausschließlich Granatapfelbäume wachsen, solange
       in dem Betrieb insgesamt mehrere Pflanzenarten vorhanden sind. Es gibt auch
       keine Vorschrift, wonach der Beirat die Betriebe regelmäßig nach der ersten
       Freigabe kontrolliert.
       
       „Das reicht für uns und die wenigen Projekte, die wir bisher haben“, sagt
       Lehmann. „Als Nächstes werden wir die Standards heben. Und zum Schluss
       werden die von einer Prüfungsgesellschaft überwacht.“
       
       Genauso entwickelte sich auch die Biokontrolle: Die wenigen Pionierbauern
       hatten gar keine verbindlichen Regeln, dann gab es welche von privaten
       Bioverbänden, Jahrzehnte später detaillierte Gesetze, die auf nunmehr
       Tausenden Betrieben von hauptamtlichen Kontrolleuren und Behörden
       durchgesetzt werden.
       
       Permakultur steht heute dort, wo die etablierte Ökolandwirtschaft vor 30,
       40 Jahren war. Die Pioniere von damals waren auch als Spinner verschrien,
       heute macht ihre Branche Milliardenumsätze. Es ist eine
       Professionalisierungsgeschichte, aber gleichzeitig auch die einer
       Entideologisierung. Wenn einige große Biobetriebe kalkulieren, wie sie am
       meisten Geld erwirtschaften, indem sie Schlupflöcher in der
       EU-Bioverordnung ausnutzen – ist das dann noch die Ökozukunft, von der die
       Vordenker einst träumten?
       
       ## „Faires Handeln fehlt“
       
       Die Marke „Permakultur bei Real“ wird ausgerechnet aus der Permakulturszene
       und aus den Reihen ihrer Unterstützer kritisiert. Zum Beispiel von Hannes
       Gerlof und Janina Fago. An Hochschulen in Berlin und Brandenburg forschen
       sie seit einem Jahr zu dem Konzept. „Die Kriterien missachten die
       Philosophie der Permakultur“, schreiben sie. „Vor allem ein anderes
       Wirtschaften und ein faires Handeln fehlt bei Reals Konzept von
       permakultureller Landwirtschaft komplett.“ Anderes Wirtschaften könnte etwa
       eine finanzielle Grundsicherung der Landwirte unabhängig vom Ertrag
       bedeuten.
       
       Der Permakulturberater Burkhard Kayser bemängelt: „Der Verbraucher kann
       nicht nachvollziehen, wo die Produkte genau herkommen, weil sie nicht
       einzelnen Betrieben zugeordnet sind.“ So könne keine Verbindung zwischen
       Erzeuger und Konsument entstehen. Kayser fragt auch: „Wie ist die
       Energiebilanz, besonders in puncto Transportwege?“ Schließlich wird das
       Permakulturobst Tausende Kilometer mit dem Lastwagen aus Spanien nach
       Deutschland gefahren. Dabei ist Regionalität für Kayser ein wichtiger
       Bestandteil der Permakulturphilosophie.
       
       „Regionale Bananen und Orangen werden Sie in Berlin nicht finden“,
       antwortet Lehmann darauf. Radieschen etwa würde er, sagt der Händler, gern
       nur in der Zeit anbieten, in der sie dort auch geerntet werden. „Aber die
       Verbraucher wollen die auch außerhalb der Saison in Deutschland. Und wenn
       wir nicht liefern, sind wir aus dem Geschäft, und dann können wir gar
       nichts mehr verändern.“
       
       Den Finca-Mitarbeitern zahle er mehr als in Andalusien üblich. „Wir können
       den Bauern aber keinen Preis garantieren. Das macht der Markt“, ergänzt
       Lehmann. „Wir müssen mit unseren Preisen runtergehen, wenn zu viel Ware auf
       dem Markt ist.“ Der Großhändler sieht sich auch nicht in der Lage,
       Landwirten Geld zu zahlen, damit sie auf Permakultur umstellen können. „Der
       Bauer muss brennen dafür. Dann kommt alles andere schon“, sagt Lehmann.
       
       ## Kapitalismus übertrumpft Hippie-Kultur
       
       Real macht auch keinerlei Anstalten, grundlegend anders zu wirtschaften.
       Zwar beteuert die Kette, dass für sie bei der Permakulturware Umsatzziele
       nicht im Vordergrund stünden. Aber sehr wohl „die große
       Profilierungschance“ als einziger großer Handelskonzern mit
       Permakulturangebot. „Wir sind damit als Frische-Einkaufsstätte auch für
       solche Kunden interessant geworden, die ihr Obst und Gemüse bislang
       ausschließlich im Bioladen gekauft haben“, schreibt das Unternehmen. Real
       will also mit Permakultur auch eines: dem Naturkostfachhandel Konkurrenz
       machen.
       
       Nein, den Kapitalismus überwindet „Permakultur bei Real“ nicht. Für die
       Permakulturhippies der Siebziger dürfte es ein Graus sein, wenn Lehmann und
       Real von den Zwängen des Marktes sprechen.
       
       Aber Immo Fiebrig, Permakulturforscher der englischen Coventry University,
       freut sich vor allem, dass wegen des Projekts „die breite Öffentlichkeit
       von diesem Nachhaltigkeitskonzept erfährt“. Das gebe der „etablierten
       ökologischen Landwirtschaft“ Impulse, sich weiterzuentwickeln. „Ökolandbau
       ist ja schon sehr gut, aber vielen Leuten reicht das nicht mehr. Denn auch
       er ist oft eine großflächige, industrielle Landwirtschaft.“
       
       In der Nische konsequent bleiben oder für die Masse Kompromisse eingehen?
       Lehmann balanciert schon sein halbes Leben zwischen Streitschrift und
       Geschäftsbericht und macht es niemandem so richtig recht.
       
       Wenn er sein Portemonnaie zieht, prangt darauf ein Che-Guevara-Bild. Aber
       zu Hause in Deutschland fährt er ein Auto der Nobelmarke Tesla. Listenpreis
       rund 70.000 Euro. Natürlich vergleichsweise ökologisch: mit Elektromotor.
       
       13 Feb 2017
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/einsatz-von-kupfer-als-pflanzenschutzmittel
 (DIR) [2] https://permacultureglobal.org/projects
 (DIR) [3] http://www.lehmann-natur.com/de/
 (DIR) [4] https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Wirtschaftsbereiche/LandForstwirtschaftFischerei/LandwirtschaftlicheBetriebe/Tabellen/LandwirtschaftlicheBetriebeausgewaehlteMerkmalenachBetrieblicherAusrichtung.html
 (DIR) [5] http://www.fermedubec.com/inra/Permacultural%20Organic%20Market%20Gardening%20and%20Economic%20Performance_Final%20Report_Nov15_Bec%20Hellouin%20Farm_sylva_AgroParisTech.pdf
 (DIR) [6] http://www.fermedubec.com/en/
 (DIR) [7] http://www.barricade.be/publications/analyses-etudes/permaculture-maraichage-biologique-un-choix-economiquement-interessant
 (DIR) [8] http://www.lehmann-natur.com/fileadmin/user_upload/FINAL_lehmann_Produktionsgrundlagen_DT_09_2016.pdf
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jost Maurin
       
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