# taz.de -- Breitensport in deutschen Großstädten: Die Zukunft spielt auf dem Bero
       
       > Städteplaner müssen kreativer werden. Denn integrative Sportvereine wie
       > Berolina Mitte in Berlin machen die verdichteten Zentren erst lebenswert.
       
 (IMG) Bild: Großer Platz für kleine Leute: der Platz von Berolina Mitte
       
       Berlin taz | Die elf Mädchen in den neongrün leuchtenden Leibchen über den
       blauen Trikots haben sich zu einem Kreis formiert. Sie legen die Arme
       umeinander, beugen sich zueinander vor und brüllen in hellem Sopran: „Blau
       Weiß Berolina olé!“. Schrill hallt der Schlachtruf zwischen den
       Häusermauern; der Kunstrasenplatz, auf dem nun das Ligaspiel der
       C-Juniorinnen angepfiffen wird, liegt wie eingekesselt zwischen den Bauten.
       Es ist Sonntagnachmittag, kalter Regen geht nieder, am Spielfeldrand stehen
       Eltern und Trainer, einige Rentner. Es gibt Bockwurst mit Senf. Glühwein
       und Kaffee. Oder auch eine Molle, ein Bier.
       
       Wir sind in Berlin-Mitte. Genauer: in der Mitte von Mitte. Wäre Berlin eine
       Dartscheibe, wäre das hier das Bullseye. Es ist die inzwischen teuerste
       Gegend der ganzen Stadt, laut einem aktuellen Wohnmarktreport liegt die
       Kaltmiete bei Neuvermietungen hier durchschnittlich bei 13,70 Euro pro
       Quadratmeter. In der Nachbarschaft befindet sich der moderne, grausilber
       schimmernde Neubau des ME Collectors Room, einer von Kunstmäzen Thomas
       Olbricht ins Leben gerufenen Galerie. Kunsträume, Designermodeläden,
       Chai-Latte-Cafés, ein schrumpfender Restbestand 90er Subkultur: Dieses Bild
       prägt den Ortsteil heute.
       
       Inmitten all dessen ist dieser Breitensportverein beheimatet: Berolina
       Mitte, kurz Bero. Ein Klub, der ein containergroßes Vereinsheim mit
       Wimpeln, Trikots, Fanschals, Pokalen und gerahmten Mannschaftsfotos hat,
       der über winzige Kabinen für Schiedsrichter und Platzwart sowie muffige
       10-Quadratmeter-Umkleiden verfügt; ein Klub, bei dem sonntags der Grill
       angeschmissen wird und bei dem es Wurst und Bulette gibt.
       
       900 Kinder, 38 Teams 
       
       60 mal 90 Meter misst der Kunstrasenplatz von Berolina Mitte in der Kleinen
       Hamburger Straße, drum herum gibt es gerade noch den Spielfeldrand, viel
       mehr nicht. Rund 900 Kinder und Erwachsene aus 38 Teams wollen hier Fußball
       spielen. Fast das ganze Jahr über, 7 Tage die Woche. 1.300 Mitglieder zählt
       der Verein, vor zehn Jahren waren es noch 450. An manchen Abenden
       trainieren vier Mannschaften auf einem Platz. Vor allem die Mädchen- und
       Frauenteams boomen. Sportlerinnen und Sportler aus etwa 30
       unterschiedlichen Nationalitäten treffen bei Bero aufeinander.
       
       Hier wächst etwas. Aber der Platz zum Wachsen fehlt.
       
       Dass es in den Berliner Innenstadtbezirken Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg
       und Tempelhof-Schöneberg an Sportstätten mangelt, ist seit Jahren bekannt.
       Die Senatsverwaltung für Inneres und Sport hat schon vor drei Jahren
       festgestellt, dass die Stadtteile weit unterdurchschnittlich mit „gedeckten
       und ungedeckten Kernsportanlagen“ (so heißen im Amtsdeutsch Sporthallen und
       -anlagen) versorgt sind. Seither ist Berlin gewachsen, ist Mitte gewachsen.
       Vor sechs Jahren lebten im Bezirk noch 333.000 Menschen, nun 368.000.
       Tendenz steigend. Bebaubare Flächen, sagen Politiker und Sportverbände
       unisono, gibt es nicht mehr.
       
       Anderen Großstädten ergeht es genauso wie Berlin. In Hamburg hat man im
       gesamten Bezirk Mitte Schwierigkeiten mit Bewegungsräumen, besonders
       angespannt ist die Lage laut Hamburger Sportbund in Horn und Hamm – und in
       St. Pauli sei „Chaos“. Die Sportverbände schlagen Alarm: „Der Breitensport
       wird systematisch herausgedrängt aus der Innenstadt“, sagt Gerd Liesegang,
       Vizepräsident des Berliner Fußballverbands, „und für mich ist derzeit nicht
       erkennbar, dass man einen Weg findet, um dem entgegenzuwirken.“ Thomas
       Härtel, beim Berliner Landessportbund (LSB) für Infrastruktur zuständig,
       sagt: „Wir müssen verstehen, dass wachsende Stadt auch wachsender Bedarf an
       Sport und Bewegung bedeutet.“ Immerhin, in Berlin kündigt die neue
       rot-rot-grüne Regierungskoalition jetzt einen „Stadtentwicklungsplan Sport
       und Bewegung“ an – etwas, das der LSB fordert und das es bislang nicht gab.
       
       Ist doch nur Freizeitvergnügen, mag so mancher denken. Ist doch nur Sport.
       
       Ist doch nur Sport?
       
       „Mit jedem Sportplatz, der fehlt, nimmt man dem Kiez Leben“, erklärt Gerd
       Liesegang, der zuletzt für sein Engagement in Sachen Inklusion mit dem
       Respektpreis des Bündnisses gegen Homophobie ausgezeichnet wurde. „Gerade
       in Zeiten, in denen die Gesellschaft gespalten ist, kann der Sport ein
       entscheidendes Bindeglied in den Stadtteilen sein. Und um die vielen
       Flüchtlinge zu integrieren, gibt es kaum etwas Besseres als Sport. Nichts
       ist einfacher, als ein paar Fußballregeln zu beachten; sie sind universal.“
       
       Das Problem beginnt aber nicht erst mit Hallen, Plätzen und Anstoßzeiten.
       Es beginnt in den Köpfen. Das zumindest meint Bernard Kössler, der beim
       Hamburger Sportbund für infrastrukturelle Fragen verantwortlich ist.
       „Notwendig ist erst mal die Akzeptanz des sozialen und integrativen
       Effekts, den der Breitensport hat. Das ist meines Erachtens noch nicht
       gegeben.“
       
       An der Kleinen Hamburger Straße in Berlin-Mitte flitzen die Bero-C-Mädchen
       nach dem Spiel schnell durch den kalten Dezemberregen in die
       Umkleidekabinen. 5:0 haben sie am Ende gewonnen, standesgemäß. Einige
       Eltern nehmen sie an der Seite in Empfang, manche klopfen ihnen auf die
       Schultern und geben ihnen ein „Jut jemacht“ mit auf den Weg.
       
       Hannah Herbst, 14 Jahre alt, ist eine der Spielerinnen. „Abwehr und
       Mittelfeld“ spielt sie, „ein paar Titel“ würde sie gern holen, sagt sie
       nach dem Spiel im Vereinsheim. In den vergangenen Jahren hätten sie die
       Hallenmeisterschaften gewonnen, erzählt sie. Hannah ist groß für ihr Alter
       und schmal, hat blonde, lange Haare, trägt Doc Martens, ist alterstypisch
       etwas einsilbig. Ihr Vorbild? „Andrés Iniesta.“ Dreimal pro Woche trainiert
       sie, „bei Berolina verbringe ich einen großen Teil meiner Freizeit, ich
       habe viele Freunde hier. Es geht nicht nur um Erfolg, sondern auch um
       Spaß.“
       
       Die Mädchen und Frauen sind die Vorzeigeabteilung des Klubs. Rund 200
       weibliche Mitglieder hat Bero, damit hat man in wenigen Jahren eine der
       größten Frauenfußballsparten an der Spree aufgebaut. Die Mädchen sind den
       Jungs gleichgestellt, das ist in den wenigsten Vereinen so. Mit den
       B-Mädchen, den 15- bis 17-Jährigen, will man perspektivisch in die
       Bundesliga. Aber auch der Erfolg würde den Klub wieder vor Probleme
       stellen: Das Feld ist so klein, dass man die Verbandsnormen für die höchste
       Spielklasse nicht erfüllen würde. Man wäre also wieder mal auf Platzsuche.
       
       Für Thomas Meyer, der zwischen wuchernden Wimpeln und Schals vor einem
       Kaffee in der Vereinskneipe sitzt, ist der Erfolg der Frauenteams schön,
       aber nachrangig. Meyer, von Beruf Jurist, ein offener, zugänglicher Typ,
       ist seit 2006 Präsident des Klubs. Er trägt einen dunkelblauen
       Kapuzenpullover, auf dem „Bero Mitte Präsi“ steht. Die Jugendarbeit und das
       Soziale stehen für den SPD-Mann im Vordergrund. „Was machen wir denn
       hier?“, fragt Meyer, „wir bereiten die Jungs und Mädchen spielerisch auf
       einige Facetten des Lebens vor. Gewinnen. Verlieren. Oder auch mal Abschied
       nehmen, wenn Trainer oder Spieler wechseln.“ Das hier ist Breitensport,
       sagt er. Hier geht’s um echte Menschen. Schickimicki sei vielleicht drum
       herum. Bei Bero gebe man derlei besser an der Garderobe ab.
       
       Die positive Nachricht 
       
       „Hier kommen alle Schichten zusammen“, erzählt der 52-Jährige. Bero ist ein
       Anlaufpunkt, die Kinder von Schauspielstars oder den Zalando-Gründern
       kickten hier genauso wie das Flüchtlingskind und der Nachwuchs der
       alteingesessenen Ostfamilie. „Wir spüren hier auch die positiven Aspekte
       der Gentrifizierung“, sagt Meyer.
       
       Auch politisch prallen Welten aufeinander. Ehemalige Republikaner-Wähler,
       AfD-Anhänger, hat er alles schon gehabt, sagt Meyer. „In meiner Partei“,
       sagt er, „hält man ja gern ganze Seminare darüber ab, wie man denn mit
       AfD-Anhängern zu sprechen habe. Ja, wie soll ich schon mit denen sprechen?
       Ich würde den Mund dazu empfehlen.“
       
       Links und rechts, Ost und West, Deutsche und Migranten – kicken wollen sie
       eben alle. Die Zahl der Sporttreibenden nimmt insgesamt zu, eigentlich eine
       positive Nachricht. Immer mehr Frauen treiben Sport, die Sparte des
       Seniorinnen- und Seniorensports wächst inner- und außerhalb des
       Vereinssportbereichs. In Berlin sind insgesamt 620.000 Menschen in
       Sportvereinen aktiv, so viele wie nie. In Hamburg sind es, obgleich die
       Stadt halb so viele Einwohner hat, nur 35.000 weniger.
       
       Aber nicht nur die Sportbegeisterung, auch die Probleme haben die beiden
       größten deutschen Städte gemein. Beide scheiterten mit der
       Olympia-2024-Bewerbung – die einen (Berlin) am Deutschen Olympischen
       Sportbund, die anderen (Hamburg) an der Zustimmung der Bevölkerung. Der
       Breitensport sieht sich seither erst recht benachteiligt: An der Elbe
       kochte der Streit um Sportflächen bei der Planung der HafenCity hoch. Wo
       zukünftig bis zu 15.000 Menschen wohnen sollen, soll es keine einzige große
       Sportanlage geben – Fußball auf Großfeld wird es, Stand jetzt, in der
       HafenCity nicht geben. Ein „Jugendfeld“ sei geplant, sagt Bernard Kössler
       vom Hamburger Sportbund.
       
       Die Städteplaner werden kreativer werden müssen. In St. Pauli prüft man
       gerade, ob auf dem Bunker am Heiligengeistfeld ein Spielfeld gebaut werden
       kann. Am Max-Josef-Metzger-Platz in Berlin-Wedding soll eine 400-Meter-Bahn
       in Triangelform entstehen, um für die angrenzenden Schulen ein
       Leichtathletikangebot zu schaffen – für eine Stadionbahn mit üblichen
       Rundungen ist der Platz zu klein. Der bereits fertig gestellte
       Gleisdreieck-Park in der Hauptstadt ist das erste erfolgreiche Beispiel,
       wie man Bewegungskultur und Stadt zusammendenken kann – hier profitieren
       Freizeitsportarten wie Beachvolleyball, Tischtennis und Skaten am meisten.
       
       Der Vereinssport wird verdrängt 
       
       Im Vereinssport, für all die Fuß-, Hand-, Basket- und Volleyballer, gibt es
       dagegen oft genug auch bürokratische Hindernisse. Die
       Sportanlagenlärmschutzverordnung ist eines davon. Sie regelt dezibelgenau,
       wie viel Lärm die Sportanlage je nach Nutzungszeit erzeugen darf. Sie
       bestimmt auch die Abstände zwischen neu entstehenden Sportflächen und
       Wohnhäusern. Oft genug bekamen Anwohner bei Klagen Recht. Ende November ist
       eine Novelle der Verordnung zugunsten der Sportler beschlossen worden; für
       frühere Ruhezeiten (in der Woche 20 bis 22 Uhr, sonntags 13 bis 15 Uhr)
       sollen dann die tagsüber üblichen Werte gelten. Der Abstand zwischen
       Spielfeld und Wohnfläche soll von 150 auf etwa 85 Meter verringert werden.
       Für bereits bestehende Anlagen gelten andere Vorgaben – andernfalls wären
       bei Berolina Mitte auch schon längst die Flutlichter aus.
       
       Stimmt der Bundestag zu, wäre dies ein Fortschritt, ein kleiner. Aber ist
       die Virulenz des Problems damit in der Politik angekommen?
       
       Wirft man einen Blick in den frisch unterzeichneten Koalitionsvertrag des
       rot-rot-grüne Senats in Berlin, so werden dort viele dieser Probleme
       genannt. Im Kapitel „Berlin – Stadt des Sports“ kann man etwa lesen, die
       sportliche Infrastruktur müsse mit der Stadt wachsen, neue Sport- und
       Bewegungsräume müssten erschlossen werden, eine bewegungsaktivierende
       Infrastruktur werde geschaffen, und die Vergabe der Sportanlagen werde
       transparent geregelt.
       
       Auf die Lösungsansätze darf man gespannt sein. Denn bei all den warmen
       Worten sollte man sich bewusst darüber sein, dass man in einigen Bereichen
       bei null wird anfangen müssen. Bislang hat man es nicht mal geschafft,
       einen bezirksübergreifenden Belegungsplan für Sportstätten im Netz
       transparent zu machen – andere Großstädte wie Hamburg haben dies längst.
       Oft genug hat sich in Berlin gezeigt, dass es doch noch irgendwo ungenutzte
       Zeiten gibt – es stehen also Plätze leer, nur weil es organisatorisch
       hapert. Zudem kommen die Behörden nicht nach, die Vergabe der Spielzeiten
       ordentlich zu überprüfen. Beispiele nur, Details. Aber mit Auswirkungen.
       
       Und die Sportlerinnen und Sportler?
       
       Sie ärgern sich seit Jahren, aber sie begehren nicht gemeinsam auf. Nur bei
       den Berliner Turnhallen, da platzte ihnen irgendwann der Kragen: Seit über
       einem Jahr sind Flüchtlinge in Berlin in Sporthallen unter prekären
       Bedingungen untergebracht, noch heute über 3.000 in 38 Hallen. Das traurige
       Paradox: Diejenigen, die überwiegend sehr viel zur Integration der
       Flüchtlinge beitragen – die Sportvereine –, haben den Schaden und müssen
       auf die Hallen verzichten. 620.000 Menschen im organisierten Sport und eine
       solch kleine Lobby, wundert sich auch Verbandsvize Gerd Liesegang. „Wir
       sind zu leise bei den Themen, die den Sport betreffen“, sagt er. Bei
       Berolina Mitte ist man einst auf die Straße gegangen, um für den Erhalt des
       Platzes zu kämpfen.
       
       Vor sieben Jahren sollte das Grundstück Bauland werden, da zog der
       Bero-Tross demonstrierend vor das Rote Rathaus und zum Alexanderplatz. „Wir
       wollten hier nicht weg, und wir wollen hier nicht weg“, sagt Klubpräsident
       Meyer heute.
       
       Der regennasse Kunstrasen draußen glänzt inzwischen im Flutlichtschein. Das
       nächste Spiel läuft, die ersten Bero-Frauen müssen gegen Lichtenberg ran.
       Am Ende wird es das nächste Torfestival, der Heimverein gewinnt mit 6:2.
       
       Nein, sportlich gibt’s wirklich nichts zu meckern bei Berolina Mitte.
       
       25 Dec 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jens Uthoff
       
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