# taz.de -- Nach HDP-Festnahmen in der Türkei: Bundestag übernimmt Patenschaften
       
       > In einem symbolischen Akt stellen sich Dutzende Bundestagsabgeordnete
       > hinter die türkische HDP. Es ist eine Kampfansage an Erdoğan.
       
 (IMG) Bild: Solidarität aus Deutschland kommt nicht mehr nur noch von der Straße, sondern auch aus dem Bundestag
       
       Berlin taz | Mit einer klaren Ansage haben sich Dutzende Abgeordnete des
       Deutschen Bundestags am Freitag hinter die in der Türkei verfolgten
       Abgeordneten der Oppositionspartei HDP gestellt. Parlamentarier von SPD,
       Linkspartei und Grünen erklärten am Morgen in Berlin, dass 60 deutsche
       Bundestagsabgeordnete in den letzten Tagen sogenannte Patenschaften für
       Abgeordnete der HDP übernommen hätten. Das dürfte für neue Spannungen im
       Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei sorgen.
       
       Die linke, überwiegend kurdisch geprägte Oppositionspartei hatte zuletzt
       ihre [1][Arbeit im türkischen Parlament eingestellt], nachdem viele
       Abgeordnete auf Basis vermeintlicher Terrorvorwürfe verhaftet worden waren.
       „In der Türkei wird derzeit eine ganz Gruppe von Parlamentariern einfach
       deshalb verfolgt, weil diese Parlamentarier ihr freies Mandat ausüben. Dem
       können wir nicht einfach zusehen“, sagte Michelle Müntefering (SPD),
       Vorsitzende der deutsch-türkischen Parlamentariergruppe im Bundestag, bei
       der Vorstellung der Initiative am Freitag in Berlin.
       
       Das Projekt [2][„Parlamentarier schützen Parlamentarier“], bei dem sich
       deutsche Abgeordnete im Rahmen von Patenschaften für verfolgte
       Parlamentarier im Ausland einsetzen, ist nicht neu. Es wurde 2013
       gegründet. Seitdem haben insgesamt 75 Abgeordnete Patenschaften für bisher
       110 weltweit verfolgt Personen übernommen. Am Freitag kamen gleich 37 neue
       Patenschaften hinzu. Nie zuvor wurde eine derart große Gruppe von
       Parlamentariern auf einmal in das Programm aufgenommen.
       
       Beteiligt sind sowohl Abgeordnete aus der Regierungskoalition von SPD und
       CDU/CSU als auch Abgeordnete aus den Oppositionsfraktionen von Linkspartei
       und Grünen. Ziel des Programms ist es, dass deutsche Parlamentarier ihren
       Partnern in der Türkei zur Seite stehen, wenn diese aufgrund ihrer
       Mandatsausübung verfolgt werden.
       
       ## Relevant ist die Geste
       
       Die Initiative hat das Zeug, für weitere diplomatische Verstimmungen
       zwischen Deutschland und der Türkei zu sorgen. Unter anderem soll geplant
       sein, dass deutsche Abgeordnete den Vorsitzenden der HDP, Selahattin
       Demirtaş, in der Türkei im Gefängnis besuchen. Demirtaş befindet sich
       derzeit wie viele andere seiner Parteimitglieder wegen angeblicher
       Terrorvorwürfe in türkischer Haft.
       
       Für ihn haben die Fraktionsvorsitzenden Thomas Oppermann (SPD), Sahra
       Wagenknecht (Linksfraktion) und Anton Hofreiter (Grüne) eine gemeinsame
       „Patenschaft“ übernommen. Dass die Türkei einem solchen Besuch zustimmt,
       dürfte aussichtslos sein – relevant ist aber die politische Geste. Ähnlich
       wie im symbolischen Kampf um das Besuchsrecht deutscher Abgeordneter auf
       der Militärbasis Incirlik, dürfte auch dieses Engagement für Aufsehen
       sorgen.
       
       Der Menschenrechtspolitiker Tom Koenigs (Grüne) sagte: „Es geht uns um den
       Schutz vor politischer Verfolgung aufgrund der Mandatsausübung.“ Die
       Linkenpolitikerin Sevim Dağdelen gab an: „Viele türkische Abgeordnete haben
       sich mit der Bitte um Hilfe an uns gewandt.“ Der
       SPD-Menschenrechtspolitiker Frank Schwabe sagte: „Wir werden nun sehr genau
       hinschauen, was mit unseren Kolleginnen und Kollegen in der Türkei
       passiert. Wir wollen sie in den Gefängnissen besuchen und ihnen beistehen.“
       
       ## Steinmeier-Besuch in Ankara
       
       Explizit wiesen die Abgeordneten darauf hin, dass das Programm sich nicht
       nur an türkische Abgeordnete der HDP richte, sondern auch an verfolgte
       Abgeordnete der sozialdemokratischen, kemalistisch geprägten, teils
       nationalistischen Oppositionspartei CHP. Auch aus deren Reihen habe es
       vereinzelt den Wunsch um Unterstützung gegeben. Gleichzeitig gibt es
       offenbar noch Bedenken innerhalb der CHP, sich dem Programm anzuschließen.
       Die Partei hat sich teilweise daran beteiligt, den Boden für die Verfolgung
       der meist kurdischen HDP-Abgeordneten zu bereiten.
       
       Wie das Programm im Lager rund um Recep Tayyip Erdoğan aufgenommen wird,
       darf Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) dann in der
       kommenden Woche erfahren, wenn ein Besuch Steinmeiers in der türkischen
       Hauptstadt Ankara geplant ist. Die deutsche Regierung hat sich mit
       lautstarker Kritik oder politischen Sanktionen bislang weitgehend
       zurückgehalten, arbeitet aber hinter den Kulissen an einem Hilfsprogramm
       für verfolgte Menschen aus der Türkei.
       
       Im Auswärtigen Amt wird derzeit ein Aktionsprogramm vorbereitet, das unter
       anderem die Förderung türkischsprachiger Onlinemedien vorsieht. Das
       Programm soll verfolgten JournalistInnen, WissenschaftlerInnen und
       Kulturschaffenden helfen, ihre Arbeit – notfalls in Deutschland –
       fortzusetzen.
       
       11 Nov 2016
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /!5351453/
 (DIR) [2] https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2014/kw30_psp_strube/284752
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Martin Kaul
       
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