# taz.de -- Roma vor dem Referendum in Ungarn: Nach unten treten
       
       > Um das Quorum für das Anti-Flüchtlingsreferendum zu erreichen, setzt
       > Orbáns Fidesz auch Roma unter Druck. Einige beugen sich.
       
 (IMG) Bild: Junge Roma in Budapest vor einem gegen Flüchtlinge gerichteten Plakat
       
       Budapest taz | „Wussten Sie: Die Völkerwanderung ist gefährlich für die
       Zukunft Europas.“ Und: „Illegale Einwanderung erhöht die Terrorgefahr.“ Mit
       diesen Slogans, die seit Monaten landesweit plakatiert sind, macht die
       nationalpopulistische Fidesz-Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán
       Stimmung für einen Volksentscheid am 2. Oktober. Dann nämlich sollen die
       UngarInnen über die Flüchtlingspolitik abstimmen. Die Frage lautet: „Wollen
       Sie, dass die Europäische Union auch ohne Zustimmung des (ungarischen)
       Parlaments die verpflichtende Ansiedlung nichtungarischer Staatsbürger in
       Ungarn vorschreiben kann?“
       
       Orbán macht kein Hehl daraus, wie er in dieser Frage denkt. Im September
       vergangenen Jahres ließ die Regierung Zäune an den Grenzen zu Serbien und
       Kroatien errichten, um Geflüchtete an einer Einreise nach Ungarn zu
       hindern. Derzeit sitzen rund tausend Menschen in Lagern neben sogenannten
       Transit-Zonen fest.
       
       Laut jüngsten Berichten von Menschenrechtsorganisation, wie Human Rights
       Watch und Amnesty International sind die Geflüchteten schweren
       Misshandlungen schutzlos ausgeliefert. Orbán lehnt eine von der EU
       vorgeschlagene Verteilung der Flüchtlinge kategorisch ab. Der EU-Schlüssel
       hätte die Aufnahme vor etwa 2300 Geflüchteten vorgesehen. Bei einem Treffen
       der Regierungchefs der EU in Wien am 24. September schlug Orbán vor,
       Geflüchtetet in einem Lager in Libyen festzusetzen. Dort könnten sie dann
       ihr Asylgesuch stellen.
       
       Damit eine Volksabstimmung in Ungarn gültig ist, müssen mindestens 50
       Prozent der Abstimmungsberechtigten daran teilnehmen. Genau da liegt das
       Problem. Alle Referenden in der jüngeren Geschichte Ungarns, bis auf eines,
       sind an dieser Hürde gescheitert. Laut jüngsten Umfragen, die die
       Wochenzeitung HVG veröffentlichte, sind bislang lediglich 42 Prozent fest
       entschlossen, an die Urnen zu gehen. Um sich die Unentschlossenheit der
       Wähler zunutze zu machen, ist die Opposition zu schwach. So ruft zwar die
       Demokratische Koalition des ehemaligen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány
       zu einem Boykott der Abstimmung auf. Aber die Sozialdemokraten haben nur
       wenig Rückhalt in der Bevölkerung.
       
       ## Roma als Verhandlungsmasse
       
       Um das Erreichen des Quorums sicher zu stellen, versucht Fidesz auch die
       Angehörigen der Roma-Minderheit zu instrumentalisieren. Ein Großteil der
       schätzungsweise 800.000 Roma lebt immer noch unter bzw. am Rande des
       Existenzminimums. Roma haben nur einen sehr beschraenkten Zugang zum
       Bildungs- und Gesundheitssystem. Bei der Arbeitsuche werden sie
       systematisch diskriminiert.
       
       Sie werden zu „Sozialdiensten“ zwangsverpflichtet und verlieren bei
       Nichterscheinen ihren Anspruch auf staatliche Sozialleistungen. Im
       vergangenen Jahr verknüpfte Orbán das Flüchtlingsthema mit der sogenannten
       Roma-Frage. Ungarn könne sich nicht um Flüchtlinge kümmern, denn man habe
       genug Probleme mit der Minderheit der Roma. Die schicke man ja auch nicht
       in andere europäische Länder.
       
       Bei dem Versuch, die Roma für eine Stimmabgabe zu mobilisieren, tut sich
       besonders die Fidesz-freundliche Roma-Partei Lungo Drom (Langer Weg)
       hervor. Der Rom Attila Rontó, Leiter einer Roma-Selbstverwaltung in dem
       kleinen Dorf Köröm im Nord-Osten Ungarns, wandte sich diese Woche in einen
       offenen Brief an die Minderheit. Man solle mit nein stimmen, denn: „Wir
       müssen unsere Kinder, Töchter und Enkelkinder vor den gewalttaetigen
       Migranten-Horden schützen.“ In Köröm waren vor einigen Jahren mehrere
       Roma-Familien wegen massiver Diskriminierung nach Kanada ausgewandert.
       
       ## Unverholene Drohung
       
       Doch nicht nur Rontó trommelt für ein Nein bei der Abstimmung. Dafür werben
       auch viele Roma -Aktivisten in den sozialen Netzwerken. Felix Farkas,
       Sprecher für die Belange der Roma im ungarischen Parlament, äusserte sich
       in der regierungsfreundlichen Zeitung Magyar Idők wie folgt: „Eine
       Migrantenwelle würde der ungarischen Roma-Minderheit, um die sich die
       Regierung sehr bemüht, viele Möglichkeiten nehmen. Schliesslich bräuchten
       die Migranten Wohnungen, Arbeitsplätze und soziale Unterstützung.
       
       Auf das Schüren von Ängsten setzt die Orbán Regierung nicht nur bei den
       Roma. Vor einer Woche organisierte János Lázár, Minister für
       Regierungsangelegenheiten bei Viktor Orbán, in seiner Heimatstadt
       Hódmezővásárhely ein Bürgerforum. Dort drohte er unverhohlen: Gemeinden, in
       denen nur wenige Wähler abstimmen, bekämen die meisten Flüchtlinge, wenn
       doch eine Umverteilung stattfinde. Orbán kündigte übrigens an, dass, sollte
       das Abstimmungsquorum erreicht werden, die Verfassung geändert würde.
       Weitere Details behielt er vorerst für sich.
       
       1 Oct 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tibor Rácz
       
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