# taz.de -- Abgeordnetenhauswahl 2016: Berlin bleibt Berlin
       
       > SPD, Grüne und Linke könnten erstmals zusammen regieren. Deshalb wird
       > aber nicht alles anders. Im Gegenteil.
       
 (IMG) Bild: Darf wohl weiterregieren: Berlins amtierender Bürgermeister Müller im Juli 2016
       
       BERLIN taz | Berlin ist anders, weil selbst seine Autofahrer anders sind.
       Dies ergab vor Kurzem eine Umfrage des ADAC. Zur Überraschung der
       Autofahrerlobby gaben 56 Prozent der Befragten, an, dass der Radverkehr in
       der Hauptstadt mehr Platz brauche. 44 Prozent befürworteten einen
       mindestens zwei Meter breiten Radstreifen auf allen Hauptstraßen. Und 12
       Prozent der Berliner ADAC-Mitglieder gaben an, täglich mit dem Rad zu
       fahren.
       
       Mit den Autofahrern und Radlern in Berlin muss sich auch der nächste Senat
       auseinandersetzen. Binnen kürzester Zeit sammelte eine Initiative mehr als
       100.000 Unterschriften für einen Fahrradvolksentscheid. Die Berliner sind
       zwar nicht in Wechselstimmung, aber sie wollen – unter anderem – eine
       andere Verkehrspolitik. Gut möglich, dass sie die bekommen, wenn jetzt SPD,
       Grüne und Linke eine Dreierkoalition eingehen, was durchaus wahrscheinlich
       ist, auch wenn eventuell noch andere Bündnisse möglich wären.
       
       Nach den ersten Zahlen vom Sonntagabend lag die SPD klar vorne und könnte
       zusammen mit Grünen und Linken locker regieren – numerisch. Die Berliner
       WählerInnen hätten auch keine Angst davor, obwohl die CDU auf den letzten
       Wahlkampfmetern den Slogan „Keine Experimente, gegen Rot-Rot-Grün“
       plakatierte. Eine gute Woche vor der Wahl ermittelte die Forschungsgruppe
       Wahlen eine Zustimmung von 43 Prozent für Rot-Grün-Rot. Eine Fortsetzung
       von Rot-Schwarz wollten dagegen nur 37 Prozent. Der Grund ist einfach. Fünf
       Jahre SPD-CDU-Koalition: Das Lageso bekam lange Zeit die Erstaufnahme für
       Flüchtlinge nicht in den Griff, der BER ist immer noch eine Baustelle, und
       die Bürgerämter sind Warteämter.
       
       Dass es dennoch keine richtige Wechselstimmung gab, spielte dem Regierenden
       Bürgermeister Michael Müller (SPD) und seiner Kampagne in die Karten. Auf
       den Wahlplakaten gab sich die SPD eher bescheiden. „Berlin bleibt frei“,
       hieß es zum Foto einer Dragqueen, „Berlin bleibt zusammen“ zum Bild zweier
       Mädchen, eines davon schwarz, „Berlin bleibt gebührenfrei“ zeigte einen
       Vater mit seinem Sohn im Kita-Alter. Man kann das mutlos nennen, weil die
       SPD keine Antworten auf die Fragen der künftigen Viermillionentstadt hatte
       außer der, dass alles bleiben möge wie bisher.
       
       ## Freiheit à la Berlin
       
       Andererseits spiegelten die Aussagen auch die Stimmung derer wider, die
       Berlin als lebenswert empfinden. Wenn rechte Hetzer oder Islamisten Schwule
       klatschen, wäre Berlin eine andere Stadt. Wenn es nicht mehr bezahlbar
       wäre, ebenso. Verliert Berlin seine Kieze und wird zur Metropole wie
       London, wäre es die Stadt der anderen, nicht mehr die eigene. Und offenbar
       sind es SPD, Grüne und Linke, denen die WählerInnen am ehesten zutrauen,
       das liebenswerte und lebenswerte Berlin, die bunte, offene und tolerante
       Stadt zusammenzuhalten.
       
       Bezahlbare Mieten, sozialer Zusammenhalt, Investitionen in Bildung, das ist
       das rot-grün-rote Programm. Dass es mit der Hoffnung daherkommt, alles möge
       so bleiben, zeigt aber auch, dass es durchaus die Sorge gibt, dass Berlin
       auseinanderfallen könnte in segregierte Milieus, dass es nicht mehr um
       Zusammenhalt geht, sondern um Rückzug, Abschottung, Schutz.
       
       Interessant ist, dass sowohl SPD als auch Grüne auf einen Begriff
       zurückgriffen, der eigentlich zum konservativen Lager gehört. „Freiheit
       statt Sozialismus“ hieß es vor 40 Jahren, als die CDU/CSU die Ostpolitik
       Willy Brandts zum Thema im Bundestagswahlkampf gemacht hatte. Nun werben
       die Grünen mit dem Slogan „Mut zur Freiheit“. „Berlin ist eine Stadt, die
       wie keine andere für Freiheit steht. Hier fiel nach Jahrzehnten der
       deutschen Teilung 1989 die Mauer, weil Menschen den Mut hatten, für die
       Freiheit auf die Straße zu gehen“, hieß es bei der Vorstellung der
       Kampagne. Die SPD wiederum will mit ihrem Begriff der Freiheit einen Bogen
       schlagen von der Luftbrücke, in der die Westalliierten die Freiheit
       Westberlins verteidigten, bis zur Freiheit, so zu leben, wie man will. Man
       kann es auch so sagen: In Zeiten der Globalisierung, des islamistischen
       Terrors und des gesellschaftlichen Rechtsrucks verteidigen Linke die
       westlichen Werte.
       
       Ein Spagat, gewiss, aber ohne Spagat ließe sich Berlin nicht regieren.
       Berlin will weiter wirtschaftlich aufholen, und gleichzeitig weiß der
       Senat, dass die Stadt damit teurer wird. Berlin will als Kulturmetropole
       punkten – und muss damit umgehen, dass ein verwöhntes Staatsballett die
       Choreografin Sasha Waltz nicht als Kointendantin haben möchte. Zur Freiheit
       Berlins gehört auch die Religionsfreiheit, gleichzeitig besteht das
       Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst. Und natürlich werden die Autofahrer
       ein Stück Straße abgeben müssen. Vielleicht packt die SPD aber auch die
       Pläne für den nächsten Bauabschnitt der A100 aus der Tasche. Wegen dieser
       Stadtautobahn war schon 2011 Rot-Grün gescheitert. Klaus Wowereit zog die
       CDU den Grünen vor.
       
       Konfliktfrei würde ein rot-grün-rotes Bündnis also bestimmt nicht werden.
       Interessant wäre, auch für den Bund, ob sich die drei Partner auf Augenhöhe
       begegnen oder ob die SPD versucht, die beiden Kleineren gegeneinander
       auszuspielen. Die Linke hat bereits angekündigt, „Koch-und-Kellner-Spiele“
       nicht dulden zu wollen und eine Art institutionalisierten
       Koalitionsausschuss vorgeschlagen. Damit kann sich auch der Regierende
       Bürgermeister Müller anfreunden: „Warum sollen sich die führenden Köpfe
       nicht auch jenseits von Krisen abstimmen?“
       
       18 Sep 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Uwe Rada
       
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